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Erst als ich das Spiel aktiv verfolgte bemerkte ich, dass die Jungs katastrophal spielten. Am liebsten hätte ich meinen Kopf in den Sand gesteckt. Zwar stand es null zu null, doch ehrlich gesagt war auch das nur reines Glück. Gerade als ich aufstehen wollte, drückte mein Vater mich zurück in den Sitz und zeigte auf das Spielfeld: „Da!" flüsterte er bloß. Vor meinen Augen spielte sich ein altbekanntes Bild ab: Eine Seitenflanke von Mario auf Marco, welcher dann den Ball gekonnt die linke obere Ecke des gegnerischen Tors pfefferte. Ich begann zu strahlen. Da war er also, der Funken Hoffnung den ich brauchte, um mich dazu zu motivieren sie überhaupt zu trainieren. Mario und Marco lagen sich in den Armen, während die anderen Spieler auf die Zwei zugestürmt kamen. Doch dann befreiten sich Marco und Mario aus der Umarmung und Mario joggte zu einem Balljungen, der ihm ein Banner zu warf. Ich erkannte es kaum, aber als die Beiden es hoch hielten und die Stadionkamera es einfing, rutschte mir mein Herz in die Hose. Isabella Reus, meine Nummer 1 am Trainerhimmel! Hielt Marco nun das Banner hoch.
Mit großen Augen starrte ich auf die Leinwand und konnte endlich den schnulzigen Text auf dem banner lesen. Das war unangenehm. So kannte ich Marco gar nicht.Ich wusste gar nicht, was ich dazu sagen sollte, obwohl mich seine Unterstützung ja eigentlich freuen sollte. Oder?
Ann-Kathrin schaute erneut zu mir hoch, diesmal aber schockiert - das bemerkte ich in meinem Augenwinkel. Generell lagen alle Augen auf mir. Ich wurde tierisch nervös. Mein Blick wanderte kurz zu Theo, der zufrieden bei meiner Mutter auf dem Schoß saß und als ich bemerkte, dass ich die Tränen kaum noch zurückhalten konnte, stand ich auf und nahm immer gleich zwei Treppenstufen auf einmal um mich irgendwo in den Katakomben zu verkriechen, bevor die Stadionkamera mich einfing. Im Flur schlug mein Herz so stark gegen meine Brust, dass ich mich auf den Boden gleiten ließ und beinahe hyperventilierte. „Bella?" ertönte Anns Stimme zurückhallend plötzlich in meiner Nähe. Mein Schluchzen musste mich verraten haben, so nah wie ihre Schritte plötzlich klangen. Ich konnte es gar nicht so schnell realisieren, so schnell zog sie mich hoch vom Boden in ihre Arme: „Hör auf zu weinen! Du bist dafür zu stark!" sie strich mir liebevoll übers Haar. Ich entfernte mich aus der Umarmung und wischte mir mit dem Ärmel meines Pullovers vergeblich die Tränen aus dem Gesicht: „Man diese Aktion wirft meine Gefühlswelt um Wochen zurück." schluchzte ich. Ann schaute mich verständnisvoll an: „Es war klar, dass Marco dich nicht so einfach gehen lassen wird." murmelte sie leise. Ich nickte: „Irgendwie schon, ja. Er tut momentan auch alles, um die Scheidung hinauszuzögern. Die Papiere liegen wieder bei meinen Eltern zuhause, ununterschrieben." seufzte ich leise. „Mario hat erzählt wie sehr du ihm entgegenkamst.", „Ja, nur genau diese Punkte waren durchgestrichen. Er will nicht, dass ich meinen Mädchennamen wieder annehme, er will mir Unterhalt zahlen und das Haus soll ich behalten. Unterschreiben will er aber auch nicht und zustimmen, dass das Trennungsdatum fälschlicherweise zurückdatiert wird um ein Jahr erst recht nicht. Es macht mich so wütend. Ich will weder in diesem Misthaufen von Haus versauern, noch diesen Namen behalten." schniefte ich. Ann-Kathrin lachte amüsiert: „Vielleicht wäre ein Trennungsjahr gar nicht so schlecht, um euch über das alles klar zu werden. Ihr müsst erstmal wieder eine Ebene finden und wer weiß, vielleicht findet ihr ja nochmal wieder zusammen. Das habt ihr immer oder es öffnet sich demnächst eine ganz neue Tür die du nicht erwartest." versuchte sie mich aufzumuntern. Ich schüttelte meinen Kopf: „Ich glauben nicht, dass ein Trennungsjahr alles ändern würde. Er hat mich betrogen, Ann. Das könnte ich ihm nie verzeihen - und ich könnte nie wieder mit ihm schlafen. Ich bin der festen Überzeugung, dass es ohnehin nicht mehr funktionieren würde. Marco hat sich ja nicht ohne Grund jemand anderen gesucht. In seinem tiefsten Inneren war er unglücklich und das schon länger. Das können wir nicht mehr aufarbeiten. Wir haben uns voneinander entfernt und dafür trage ich wahrscheinlich noch mehr Schuld als er. Er vermisst das alte Wir, nicht das Wir das wir in den letzten Jahren geworden sind. Und etwas Neues mit jemand anderen? Das kann ich nicht, nicht jetzt." So langsam hatte ich mich wieder beruhigt. Ann und ich machten einen Spaziergang um das Stadion herum an der frischen Luft, es tat gut mal wieder vernünftig, wie in alten Zeiten mit ihr zu sprechen, ich fühlte mich direkt besser. In mir keimte die Hoffnung auf, dass wir uns wieder zusammenraufen würden - schließlich waren wir schon so lange enge Freundinnen. Das konnte ich wahrscheinlich aber nur mit der Zeit herausfinden. Als wir wieder hoch auf die Tribüne wollten, kamen uns in den verzweigten Gängen des Stadions etliche der Fans bereits entgegen. Das Spiel war vorbei. Ich checkte mein Smartphone: ein Unentschieden 1:1. Besser als verloren zu haben.
„Ich suche mal besser Enriquo. Der Arme war noch nie so lange mit den drei Kids alleine." lächelte sie und zog mich nochmal in eine Umarmung, bevor sie in der Menschenmasse verschwand. Ich atmete tief ein und aus. Was war das nur wieder für ein Tag?
Ein wenig verloren irritierte ich daraufhin durch die Katakomben um eventuell meine Eltern zu finden. Ich war froh, dass bereits abgesprochen war, dass sie den Kleinen ins Bett brachten, weil ich doch eigentlich mit Mats und Mario in die Bar wollte. Ich war so froh ihre Unterstützung zu haben. Aber nach einem Barbesuch fühlte ich mich nicht mehr. Ich würde viel lieber mit meinem Sohn im Bett kuscheln und einen Film schauen.
Irgendwann bemerkte ich Mario mit seiner Sporttasche über den Schultern in einen anderen Flur abbiegen. Schnell eilte ich ihm hinterher: „Mario!" rief ich so leise wie möglich. Er schaute sich sofort um. Als er mich bemerkte, wurde sein Blick ganz weich - wahrscheinlich weil ich mal wieder total fertig aussah. Der arme musste doch denken ich nutze ihn aus und wartete nur darauf, dass er mich wieder auffing. Ein schlechtes Gewissen machte sich in mir breit. Er ließ seine Tasche auf den Boden sinken, schloss die restlichen Meter zwischen uns und nahm mich in einer seiner unglaublich entspannenden, festen Umarmungen. Wie konnte Ann-Kathrin so etwas nur hinter sich lassen?
„Warum hast du ihm geholfen bei dieser dummen Aktion?" fragte ich ihn enttäuscht. Er räusperte sich: „Weil er mein Freund ist und sich dazu entschlossen hat, dich wie auch immer zurück zu erobern." lachte er bitter. Ich löste mich von seiner Brust und schaute ihn fragend an: „Mario, wieso-" begann ich, doch stoppte lieber. „Ich soll ihm helfen." seufzte er.
Irgendwie konnte ich diesen Blick nicht deuten. Er versuchte mich optimistisch anzublicken, doch seine Augen verrieten ihn irgendwie. Sie waren trüb. Er brauchte mir doch nichts vormachen. Ich wusste doch auch, dass das zwischen Marco und mir Geschichte war.

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now