32.

757 48 10
                                    

Immer noch hielt ich zittrig das Schreiben in meiner Hand. Nicht einmal aufstehen konnte ich, dabei wollte ich mich eigentlich fertig machen, um mir die zwei letzten zur Auswahl stehenden Kindergärten anzusehen, die für Theo in Frage kamen. Mein Herz hämmerte so sehr gegen meine Brust, dass ich komfortsuchend meine Knie an den Brustkörper anwinkelte und mein Kinn darauf abstützte.
Ich wusste nicht so recht, was ich denken sollte - worüber ich zuerst nachdenken sollte. Im ersten Augenblick fühlte ich mich von seinen Bedingungen unter Druck gesetzt, irgendwie eingeengt und unverstanden. Meine Augen wanderten zu den unterschriebenen Scheidungsunterlagen und das Hämmern wurde zu einem stechenden Schmerz. Ich raufte mir die Haare. Unfassbar. Nach fünf Jahren Ehe lag die Scheidung wortwörtlich in meinen Händen und sie wäre sofort rechtsgültig würde ich sie einreichen.
Schluckend legte ich die Papiere vor mir auf den Tisch und seufzte.
„Bella Schatz, warum bist du denn noch hier?" ertönte die Stimme meines Vaters plötzlich im Hausflur, bevor die Tür lautstark ins Schloss fiel. Ich schluckte, war jedoch wie erstarrt und konnte ihm nicht antworten. Kein einziger Ton verließ meine Lippen, so sehr ich es auch versuchte. Papa kam ins Wohnzimmer und setzte sich zu mir auf das Sofa: „Was ist das?", „Ließ einfach" murmelte ich leise und starrte ihn während er es überflog hilflos an. Papa seufzte und verfrachtete das Papier in dessen Umschlag: „Er hat das für dich gemacht?", „Wie bitte?" rutschte es mir heraus. „Es hört sich bescheuert an und ich kann verstehen, dass du die Bedingungen als ein Angriff siehst, aber du solltest Marcos Entscheidung mal mit deinem früheren Blick auf ihn bewerten. Er liebt dich und trotzdem hat er dich betrogen. Er möchte dich gehen lassen, dich aber nicht verlieren. Die Bedingungen kommen dir so streng vor, weil er euer gemeinsames Leben nicht aufgeben will, Bella." Ich schaute meinen Vater entsetzt an. So hatte ich es noch gar nicht gesehen. Er hatte wahrscheinlich mehr als recht mit seiner Vermutung. Ich musste unbedingt vernünftig mit ihm sprechen. „Du hast recht." gab ich kleinlaut zu: „Ein Gespräch zwischen uns ist lange überfällig, ich glaube erst jetzt habe ich den richtigen Abstand um ihn nicht die ganze Zeit hysterisch anzubrüllen." Papa musste leise lachen: „Genau" grinste er: „Das wusste er bestimmt auch." ich warf meinem Vater ein breites Grinsen zu. Ja, Marco kannte mich besser als jeder andere Mensch, sogar besser als mein Papa mich kannte. Er wusste genau, hätte er mich eher zu einem Gespräch gedrängt, hätte ich echt gemacht und wäre zu einer hysterischen Alten geworden, das konnte man auch nicht mehr unter Temperament abstempeln. „Papa" seufzte ich erschöpft: „Ich weiß gar nicht mehr, ob ich überhaupt das richtige tue und, ob die Scheidung überhaupt der richtige Weg ist. Als das alles passiert ist war sie für mich der einzige Ausweg und jetzt bin ich mir unsicher was ich überhaupt will." Mein Vater legte seinen Arm um mich und zog mich eng an sich heran: „Ich kann dir diese Entscheidung nicht abnehmen, aber dir verdeutlichen, dass es das Trennungsjahr nicht umsonst gibt. Was meinst du wie viele Ehen in dieser Zeit wieder gekippt werden? Das kann man sich gar nicht vorstellen. Ihr müsst reden, reden, reden. Und du Bella, musst ihm zuhören. Auch wenn keine Entschuldigung oder Rechtfertigung der Welt seine Fremdgehen ungeschehen machen wird, ist es wichtig miteinander zu sprechen. Für ich seid ihr zwei immer noch mein Herzenspaar. Ihr habt euch immer perfekt ergänzt, nur habt ihr euch irgendwann für selbstverständlich genommen und zwischen euch ist viel geschehen, dass euch immer weiter voneinander entfernt hat. Das solltest du im Hinterkopf behalten." Ich nickte. Für solche Gespräche liebte ich meinen Vater. Er schaffte es immer, mir beide Seiten zu erläutern ohne, dass ich mich von ihm hintergangen fühlte. Ich wusste, er war auf meiner Seite egal wofür ich mich entschied. Auf ihn war verlass. „Wie soll ich morgen nur auf dem Platz antanzen, wenn ich mich so hundeelend und erniedrigt fühle. Ich habe gar nicht mehr genug Selbstbewusstsein für so eine Rolle." schluckte ich. Papa schüttelte seinen Kopf: „Du hörst jetzt auf dich hängen zu lassen, ziehst dir etwas an und spazierst dann zu den Kitas damit dein Sohn ein Betreuung bekommt, während du wieder arbeiten gehst." Er hatte wieder recht - ich raffte mich mit einem dankbaren Nicken auf, zog mich in meinem ehemaligen Kinderzimmer um und stieg daraufhin ins Auto, um mir endlich diese Kitas anzuschauen.
Wenig später hatte mich die eine abgewiesen, weil ich den Termin nicht einhielt und die andere gefiel mir überhaupt nicht. Ich spazierte in Richtung Innenstadt und wollte nichts mehr als einen Kaffee - es dauerte nicht lange, da sah ich Marco und den Kinderwagen in dem sich mein Sohn. Befand vor unserem Lieblingskaffee sitzen. Schweren Herzens überwand ich mich dazu, auf ih zu zugehen und rückte den Stuhl vom Tisch: „Ist hier noch Platz für deine Ehefrau?" scherzte ich - vielleicht war es dafür zu früh, doch meine Unsicherheit konnte ich nur so überspielen. Marco grinste mich schief an, bevor er mich von oben bis unten musterte - dann nickte er. Sein Blick auf mir, das löste ein Gefühl aus das ich nicht erwartet hatte. Räuspernd ließ ich mich auf dem Stuhl sinken und seufzte: „Keine Sorge, ich störe deine Zweisamkeit mit Theo nicht allzu lange, ich bestelle mir nur einen Kaffee zum mitnehmen und haue dann ab." rechtfertigte ich mich. Marco winkte wortlos ab, im selben Augenblick streifte einer der Kellner unseren Tisch: „Entschuldigen sie bitte? Ich würde gerne einen Milchkaffee bestellen für meine Frau - mit ganz viel Schaum und Süßstoff bitte." lächelte er freundlich wie immer. Der Kellner nickte und verschwand. Marco schaute mich daraufhin an und realisierte, dass er gerade für mich bestellt hatte ohne mich überhaupt zu fragen was ich wollte. Doch er hatte jedes recht dazu, weil er eigentlich genau wusste was ich wollte - nämlich genau diesen dämlichen Milchkaffee mit viel Schaum und Süßstoff anstatt Zucker, nur hätte ich ihn mir nicht bestellt, weil es mir immer zu dumm war das zu sagen. Er jedoch hatte es für mich getan, trotz all unserer Differenzen tat er mir diesen öden Gefallen und in diesem Augenblick wurde mir plötzlich bewusst, dass wir verheiratet waren. Unsere Bindung zueinander basierte nicht auf bloßen gefühllosen Sex - wir hatten unsere Höhen und Tiefen, liebten uns doch aber eigentlich immer Heiß und Innig. Das was wir hatten sollte sowas eigentlich nicht aus der Bahn bringen. Und doch hatte es mich zutiefst verletzt.
Unbemerkt hatte ich Marco die ganze Zeit mit einem dämlichen Grinsen auf den Lippen angestarrt. Ich befreite mich aus meiner Starre und schaute ihn etwas ernster an. „Es tut mir leid, dass ich dir die Bestellung vorweg genommen habe, ich habe das reicht gar nicht dazu." entschuldigte Marco sich. Ich biss mir auf die Unterlippe: „Du weißt eben am besten, wie ich meinen Kaffe am liebsten trinke." rutschte es mir über die Lippen. Er begann mich erleichtert anzustrahlen und kratzte sich peinlich berührt den Hinterkopf.
„Wollen wir endlich miteinander darüber sprechen?" brachte ich die Frage nach etlichen, kräftezehrenden Wochen schließlich über die Lippen.

Optimisten - Marco ReusWhere stories live. Discover now