53.

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sich zunächst alles erst einmal an, wie in einem Traum. Ich wickelte die Sofadecke um meinen nackten Körper und hielt kurz inne. So, wie ich mich gestern Abend fühlte, so wollte ich mich wieder jeden Tag fühlen. Lebendig, frei, ausgelassen. Das Marios nackter Oberkörper halb auf mir lag, löste für die Dauer eines Augenaufschlags Panik in mir aus, doch diese erstickte beinahe sofort im Keim, als ich ihn leise Ein- und Ausatmen hörte. Es hatte etwas beruhigendes, friedliches an sich. Kurz fragte ich mich, ob ich es bereute mit Mario geschlafen zu haben, doch in mir flammte weder Reue noch Unzufriedenheit auf. Ein bisschen fühlte es sich so an, als wären mein Körper und meine Seele wieder in einem Gleichgewicht. Für wie lange das anhielt, das wusste ich nicht. Denn wenn mir eines klar war, dann der Fakt, dass diese Nacht früher oder später ein riesiges Problem darstellen wird. Doch damit wollte ich mich jetzt nicht befassen, denn jetzt gerade fühlte ich mich das erste Mal seit Wochen gut. „Dein Smartphone hat vor gut 20 Minuten geklingelt." brummte Mario plötzlich verschlafen als ich ihm gedankenverloren mit meinen Fingernägeln über den Rücken strich. Ruckartig schnellte ich hoch und griff nach meinem danach. Ein Anruf in Abwesenheit, danach eine Mail - von Watzke. „Mist" murmelte ich. „Hm?" machte Mario verschlafen. Er raffte sich auf und schaute mir das erste Mal seit gestern Nacht in die Augen. Für einen kleinen Moment konnte ich es nicht fassen, dass wir miteinander geschlafen hatten. Das Gefühl wie seine Bartstoppeln meine Haut berührten überkam mich plötzlich und ich musste mich kurz schütteln. „Ich muss in zwanzig Minuten in der Geschäftsstelle sein." ich verzog gequält mein Gesicht. Mario grinste in sich hinein, ich hatte ihm heute Nacht von allem, was ich dem Vorstand an die Birne geworfen habe, erzählt und er ließ keinen Zweifel daran, dass er es amüsant fand und nicht nur das - er hatte gesagt, dass es genau das richtige war. Mal sehen ob ich das noch genau so nach dem Gespräch, das mir gerade aufgezwungen wurde, empfand. „Na los, dann geh! Ich passe auf Theo auf.", „Wie, wirklich?" fragte ich perplex und er nickte: „Natürlich." Ich begann zu strahlen und hätte ihm am liebsten einen dicken Schmatzer auf die Wange gedrückt, doch ich ließ es lieber bleiben. Schnell hielt ich die Decke die um meinen Körper geschlungen war fest und sprintete die Treppen hoch ins Badezimmer. Ich hatte keine Zeit mehr zu duschen, also schlüpfte ich in das schickte Sommerkleid, dass ich hatte und versuchte den Fakt, dass meine Haare nach Marios Parfum rochen zu ignorieren. Nervosität breitete sich in mir aus. Entweder ich würde nun die Kündigung um die Ohren gehauen kriegen, oder mir würde freigestellt werden, selbst zu kündigen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die gestrige Debatte ein gutes Ende nehmen würde. Nicht nachdem, was ich den hohen Tieren um die Ohren geworfen hatte. Als ich wieder herunter kam, lagen meine braunen langen Haare offen über meine Schultern. Das lässige, hellblaue Hemdkleid das ich trug, reichte mir bis kurz über das Knie, dessen Farbe betonte meine gebräunte Haut und verlieh mir eine gesunde Gesichtsfarbe, die mir in den letzten Wochen fehlte. Mario stand mit dem Babyphone in der Hand an der Arbeitsplatte der Küche und beförderte akribisch Joghurt in eine Schüssel. Ich lächelte und versuchte, der Unsicherheit die in mir wuchs, keinen Raum zu geben. Mario lächelte zuversichtlich zurück, bevor er mir seinen Löffel in den Mund steckte: „Das wird schon. Wenn die dich feuern, dann haben sie endgültig den Verstand verloren." Ich zuckte mit den Achseln: „Könnte ja sein" aber Mario ließ das nicht auf sich sitzen: „Nein, das haben sie aber nicht. Du hast sie wahrscheinlich wach gerüttelt.". Eine Sekunde lang starrte ich ihn an, bevor ich mir auf die Unterlippe biss: „Danke, dass du auf den Kleinen aufpasst, vielleicht bin ich noch zurück, bevor er wach ist. Falls du weg musst, sag mir bescheid und ich lasse alles stehen und liegen." Mir wurde bewusst, wie wichtig es wäre, endlich einen Kita-Platz zu bekommen. Vielleicht waren meine Chancen in ein paar Wochen ja besser. Für Theo wäre es wichtig feste Bezugspersonen und Zeiten zu haben, oder auch der Kontakt zu anderen Kindern wäre nicht verkehrt. Außerdem konnten Marco und ich nicht noch weiter die Geduld unserer Freunde und Familie ausreizen. Marco und ich, das hörte sich nach dieser Nacht so anders an. Als würde es diesen Zustand erst einmal nicht mehr geben - zumindest nicht in der Form, in der ich es gerne wieder hätte. Uns alls Paar wurde die Unbeschwertheit und das Vertrauen genommen. Das konnte man schlecht wieder aufbauen. Kurz fühlte es sich so an als hätte ich schon mit allem abgeschlossen, doch das hatte ich ganz und gar nicht, sonst würde ich nicht schon wieder an meinem Grübeln zugrunde gehen.
„Bella" hielt Mario mich noch einmal leise zurück, gerade als ich mich umgedreht hatte. Verwundert runzelte ich meiner Stirn und schaute ihn fragend an: „Wenn du diese Nacht bereuen solltest oder irgendetwas anderes in dieser Art-" er hielt kurz inne: „wir können sie einfach vergessen. Ich will dass du glücklich bist, nicht, dass du alles auch noch mit dir herum trägst." brachte er über die Lippen. Ich schluckte fest und schaute wie erstarrt Mario an. Für mich kam es so rüber, als hätte er sich gerade eine Art Schlupfloch gebaut. Während ich mit allen Konsequenzen – voll und ganz hinter dieser einen Nacht stand und mich bis gerade noch so gut fühlte, dass ich am liebsten den halben Globus umarmt hätte. Jetzt aber verließ mich dieses Gefühl auf einen Schlag. Mario vermittelte mir mit diesen Worten seine Reue, er gab mir den Rat, dass wir alles vergessen sollten. Mit hochroten Wangen nickte ich wortlos, griff nach meiner Tasche und verließ meine Wohnung fluchtartig.
Auf dem Weg nach Brackel war ich alles andere als optimistisch gestimmt - eher erwartete ich einen noch härteren Aufschlag dem Boden der Tatsachen.

Optimisten - Marco ReusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt