Fortyfirst

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Der Himmel über Allans Kopf wurde langsam röter, als er nachdenklich auf der Terrasse in Tonys Hinterhof stand und die Kühe auf der Weide beobachtete. Er brauchte ein wenig frische Luft, ein bisschen Zeit für sich, während Cedric und Tony oben die Kinder zu Bett brachten. Er seufzte leise. Soziale Kontakte waren anstrengend. Aber er war froh darüber, hier zu sein und Tony kennengelernt zu haben. Ein paar Verbündete in seinem neuem Zuhause könnten ihm sicherlich guttun.
„Alles in Ordnung?"
Nach Luft schnappend fuhr Allan herum und erblickte Tony, welcher mit verschränkten Armen und besorgtem Blick im Türrahmen lehnte. Seit wann stand er dort?
„Ja...", murmelte Allan peinlich berührt und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
„Tschuldige, ich wollt' dich nicht erschrecken", sagte Tony und lächelte entschuldigend.
„Ach, halb so wild", Allan zuckte mit den Achseln und brachte ein wackliges Lächeln zustande. „Ich bin halt schreckhaft."
Tony nickte leicht, als wüsste er nicht recht, was er erwidern sollte. Dann sagte er: „Dein Liebster ist noch oben und liest Matty eine Geschichte vor. Haste was dagegen, wenn ich mich zu dir geselle?"
„Nein, nur zu", sagte Allan zaghaft. Er musste sich noch daran gewöhnen, mit Fremden außerhalb seiner Arbeit sinnvoll zu interagieren. Er fühlte sich wie der schüchterne Neue in der Klasse.
Tony grinste ihn leicht an und führte dann zwei Flaschen Bier zu Tage. „Willst' 'n Bier?"
Allan lachte leise auf und streckte eine Hand aus. „Klar doch."
Tony öffnete die beiden Flaschen und reichte ihm zwinkernd eine davon. „Es geht doch nichts über ein Bier, quatschen und dabei Kühe beobachten."
Nun lachte Allan wirklich auf, und die beiden stießen kurz an, bevor sie sich an die Kante der Terrasse setzten und einen Schluck nahmen. Der eiskalte Biergeschmack fühlte sich in Allans Kehle wie eine seltsame Mischung aus Wut und Genuss an, dunkle Erinnerungen und bloße Lebensfreude. Eine seltsame Kombination. Er entschied sich, dem Genuss mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
„Ich muss ein Faible dafür haben, mit Sheriffs auf meiner Veranda zu sitzen und zu saufen", meinte Tony schelmisch und machte dabei ein gespielt nachdenkliches Gesicht. „Solange ich nicht verhaftet werde."
Allan nahm grinsend einen Schluck Bier. „Keine Sorge, bin nicht im Dienst. Aber das nächste mal in Uniform, öffne ich dir dein Bier mit meiner Knarre."
„Wow", meinte Tony beeindruckt, „und das Ding ballert nicht einfach los?"
„Natürlich nicht", erwiderte Allan. „Die sind doch gesichert."
Tony starrte einige Sekunden in die Luft, bevor er genervt die Augen verdrehte. „Ich bin ein Esel, war ja klar, dass ich sowas vergesse."
Dann blickte er Allan mit großen Augen an. „Aber du machst das doch hoffentlich wirklich, oder, Mann?"
Allan lachte verhalten. „Gerne."
Glücklich wie ein Kleinkind grinste Tony ihn an und setzte dann sein Bier für einige große Schlucke an die Lippen. Allan lächelte leicht und blickte wieder zur Weide hinab. Es erinnerte ihn an frühere Zeiten, in denen er mit Cedric unterwegs gewesen war und an solchen Orten seine Freizeit mit ihm verbracht hatte. Sie hatten in einem ähnlichen, aber größeren Dorf gewohnt, hatten jeden Wald und jedes Feld erkundet, waren spazieren und klettern gewesen. Fast immer Hand in Hand. Allan hatte dieses Gefühl von Sicherheit, die von Cedric ausging, schon immer geliebt.
Er hatte ihn schon immer geliebt.

„Denkst du an ihn?"
Allan schielte zu Tony herüber und lief dabei puterrot an. „Ja..."
„Dacht' ich mir", meinte Tony mit einem wohlwollenden Lächeln. „Du sahst so glücklich aus."
Unwillkürlich musste Allan wieder lächeln und wandte peinlich berührt den Blick ab. „Er macht mich ja auch glücklich."
Allan konnte förmlich das Grinsen aus Tonys Stimme heraushören. „Ihr beide seid schon echt knuffig. Ihr passt wirklich gut zusammen."
„Danke", nuschelte Allan zaghaft und trank einen weiteren Schluck Bier.
„Ihr kennt euch schon lange, richtig? War Cedric schon immer so ein Kindskopf?"
„Ein liebevoller Kindskopf", korrigierte ihn Allan und gab sich dabei gedanklich eine Ohrfeige. Wie schnulzig redete er denn bitte?
„Yup, da gebe ich dir schon recht. Ohne ihn dir wegschnappen zu wollen, versteht sich", sagte Tony und zwinkerte ihm dabei zu. „Er ist ein wirklich guter Mensch. Er kümmert sich doch hoffentlich gut um dich?"
Allan unterdrückte ein Schaudern bei dieser Frage und blickte wieder in die Ferne. Hatte Cedric viel von ihm erzählt? „Kein anderer könnte es besser", erwiderte er knapp.
Tony nickte. „Gut so. Jemanden wie dich sollte man so lang es geht behalten."
Allan wusste nicht, was er sagen sollte, also schwieg er und trank sein Bier aus. Die leere Flasche stellte er neben sich ab.
Schließlich wandte er sich doch wieder an Tony. „Sag mal, du warst doch damals in Cedrics Klasse, oder nicht? Wie kommt es, dass ihr beide in Josephina Hills wohnt? Habt ihr zusammen hierher gefunden?"
Tony nickte. „Der Typ, der Cedric damals den Job zum Hilfssheriff besorgt hat, hat mir 'nen guten Deal für das Grundstück hier geboten. Also sind wir beide hergekommen. Später ist Cedrics Gran noch dazugekommen, als der Typ sich verabschiedet hat, und lebt jetzt in seiner alten Wohnung."
„Oh", machte Allan überrascht. „Er hat überhaupt nicht davon erzählt."
„So kennen wir ihn doch", meinte Tony und lachte leise. „Redet immer um den heißen Brei herum. Aber ich mein', so wichtig ist die Story ja auch wieder nicht." Er leerte sein Bier ebenfalls. „Und wie hast du hierher gefunden? Hast du die Liebe deines Lebens gesucht?"
„Nein, tatsächlich nicht", gab Allan zu. „Es ist eine lange Geschichte."
„Ich hab Zeit", lächelte Tony. „Und ich bin noch nicht zu besoffen, um zuzuhören."
Allan schmunzelte. „Gut. Ich hatte... einen Unfall auf der Arbeit. Eine Kugel hat mich während eines Einsatzes erwischt. Herzinfarkt, Reanimation, zwei Wochen Koma. Als ich aufwachte, war nicht alles in Ordnung. Ich hab POTS, eine Erkrankung des autonomen Nervensystems, aber mit meinen Medikamenten geht es."
„Das tut mir leid, Mann", unterbrach ihn Tony und schlug ihm harsch auf die Schulter. „So 'nen Scheiß will ich echt nicht erleben müssen."
„Ist schon gut", erwiderte Allan lächelnd. „Nun, ein paar Monate später auf der Arbeit sagte mein Chef, er würde mich versetzen. Meine Einsatzfähigkeit in der Großstadt würde nicht mehr mit meiner physischen Gesundheit zusammenspielen wollen. Er wollte, dass ich einen ruhigen, gut bezahlten Bürojob auf dem Land annahm, um mein Herz zu schonen."
„Ich würde sagen, letzteres ist nicht so gut gelungen", grinste Tony und zwinkerte dabei wissend.
Schmunzelnd fuhr sich Allan durch die Haare. „Das stimmt schon. Weder physisch, noch psychisch. Erst finde ich meine Jugendliebe wieder, und dann werde ich auf Verfolgungsjagden durch stockdunkle Wälder mit ebendieser gehetzt und muss einen Typen anschießen, der uns droht, uns umzubringen. Nein, mein Herz hat nicht wirklich viel Ruhe bisher erlebt."

Nur du zählst...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt