Third

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Cedric blinzelte frustriert die Tränen weg. Gottverdammt, er war ein 34-jähriger Cop, da konnte er doch nicht rumflennen, bloß weil er seinen alten Freund vermisste!
Er sog einen Schwall Luft ein. Ganz ruhig bleiben. Alles wird gut.
Kurz warf er einen Blick zu seinem Haus, wo Allan Dearing noch immer stand und wartete. Er überlegte, ob er einfach so tun sollte, als erinnere er sich nicht mehr an ihn. Vielleicht war es besser so, denn nach all den Jahren war er sich sicher, dass Allan sich wahrscheinlich nicht mehr an ihn erinnerte.
Warum er...
Wütend schüttelte er den Kopf. Warum machte er sich bloß Gedanken darum? Allan würde bloß sein Hilfssheriff sein. Er würde sich nicht mehr an ihn erinnern, an all das, was sie erlebt und durchgemacht hatten. Er würde bloß sein Kollege sein.
Und in meinem Haus wohnen.
„Gottverdammt", murmelte er schwach.

~

Unruhig warf Allan einen Blick auf seine Uhr.
Es war schon fast ein Uhr mittags, und Cedric Lahey war noch immer nicht aufgetaucht.
Cedric... Cedric Lahey, sein bester Freund aus Kindertagen. Nein, nicht bloß sein bester Freund...
Lass den Quatsch. Du weißt, dass es keine Bedeutung hatte.
Allan blickte sich hilflos um und fuhr sich mit der Hand durch die dunklen Haare. Verdammt nochmal, warum dachte er bloß so?
Weil es die Wahrheit ist.
Fahrig spielte er mit der Haarsträhne in seiner Stirn und seufzte auf. Es stimmte schon, wahrscheinlich wusste Cedric nicht einmal mehr, dass er überhaupt existierte. Es war fast zwanzig Jahre her, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, und dieser Tag war nicht gerade schön verlaufen. Im Gegenteil, sie waren angegriffen worden, hatten sich auf ihrer Flucht verloren und dann nie wiedergesehen.
Ein beigefarbener Fleck tauchte einige Meter von ihm entfernt auf. Seine Muskeln spannten sich krampfhaft an, und sein Herz begann zu rasen. Er kämpfte gegen den aufkommenden Schwindel an und versuchte, ruhig zu atmen.
Was sollte er bloß sagen? Was sollte er tun? Was, wenn er sich doch erinnerte?
„Guten Tag, sind Sie der Kollege, den Jon Creasy geschickt hat?"
Allan zuckte beim Klang der tiefen Stimme neben sich zusammen und schaute auf. Da stand er, in beigefarbener Uniform, die Hände lässig in den Hosentaschen vergraben, und blickte ihn aus denselben hellen blauen Augen an, die er so gut kannte.
Doch es lag kein Erkennen in ihnen. Allan unterdrückte die aufkommende Enttäuschung. Er beschloss, so zu tun, als erinnere er sich ebenfalls nicht mehr an ihn. Er wollte nicht, dass es genauso endete wie damals, also würde er es erst recht nicht mehr versuchen.
Ein gespielt leichtfertiges Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, und er streckte die Hand aus. „Genau", antwortete er, „Mein Name ist Allan Dearing."
Cedric ergriff seine Hand und schüttelte sie. „Schön, Sie kennenzulernen", sagte er, „Cedric Lahey. Ich bin froh, dass Creasy Sie zu mir schicken konnte. Ich brauche hier dringend etwas Hilfe mit der Arbeit."
„Es ist mir eine Freude", erwiderte Allan leise.
Er erinnert sich nicht an mich.
„Kommen Sie– oder darf ich Du sagen?" Cedric blickte ihn fragend an.
Lag da etwas versteckt in seinen Augen? Allan wusste es nicht.
„Natürlich", antwortete Allan lächelnd.
„Gut, Allan", sagte Cedric nach einem tiefen Atemzug. Er stieg das kleine Treppchen zu seinem Haus hinauf und öffnete die Tür. „Nach dir", bot er an, und Allan trat ein.

„Das ist unser Büro", stellte Cedric den Raum vor. Er rieb sich verlegen den Nacken, und Allan versuchte, ihn nicht anzustarren. „Tut mir leid, dass es so unordentlich ist, aber ich komme einfach nicht mit dem Papierkram zurecht. Mein alter Kollege Lucas hat vor ein paar Wochen gekündigt. Er hat sich zuvor um die ganzen Unterlagen und Kleinigkeiten gekümmert, aber seitdem er weg ist, komme ich einfach nicht mehr hinterher."
Allan nickte und verkniff sich einen bestätigenden Kommentar. Der Schreibtisch auf der linken Seite des Raumes war übersät von Akten- und Papierstapeln, und der Tisch auf der rechten Seite des Raumes sah nicht viel besser aus. Auch auf dem Boden lagen kleine Papierstapel, und generell schien eine ziemliche Unordnung zu herrschen.
„Ich denke, ich sollte mich bald an die Arbeit machen", meinte Allan und drehte sich mit mildem Lächeln zu Cedric um.
Cedric grinste verlegen. „Das wäre toll", sagte er. „Es sind noch so viele Unterlagen unausgefüllt, die ich abschicken muss. Ich hatte gestern noch einige Notizen gemacht, aber ich denke, die habe ich auch verloren." Er seufzte auf, und Allan lachte leise. „Keine Sorge, die werde ich schon finden", winkte er bescheiden ab.
Cedric nickte dankbar. „Gut. Ich zeige dir, wo alles steht. Du kannst diesen Schreibtisch haben, dort hast du mehr Platz." Er deutete nach links. „Die wichtigsten Schreibutensilien befinden sich in den Schubladen und den kleinen Schränken, und wie du siehst, sind hier auch einige Aktenschränke, aber die wichtigsten Unterlagen wirst du in unserem Archiv finden. Komm mit, ich zeige es dir."
„In Ordnung." Allan stellte seine Tasche auf dem Boden ab und folgte Cedric in den schmalen Flur direkt gegenüber der Haustür. Cedric tastete nach einem Lichtschalter zu seiner rechten, und eine Lampe sprang an und tauchte den Flur in ein gelbliches Licht.
„Hier ist das Archiv", sagte Cedric und führte ihn zu einer Tür auf der linken Seite. „Es ist nicht groß, aber es gibt genug Platz für alle wichtigen Dokumente. Falls du private Unterlagen hast, die du sicher verwahren möchtest, haben wir sogar eine Schublade für ebendiesen Anlass."
Allan wurde in einen kleinen verschlossenen Raum mit verstaubten Fenstern geführt, in dem ebenfalls ziemlich viel Unordnung herrschte. Es war nicht so schlimm wie im Büro, doch er runzelte beim Anblick offener Schubladen und herausquellender Akten zweifelnd die Stirn.
Cedric bemerkte seinen Blick. „Ich weiß, es sieht grauenhaft aus", sagte er.
„Grauenhaft ist gar kein Ausdruck", platzte Allan heraus. Er verfluchte sich und fuhr sich nervös mit der Hand durch die Haare. „Entschuldigung."
„Nein, nein, du hast schon recht", winkte Cedric ab. „Ich bin einfach kein ordentlicher Mensch. Wenn ich einmal etwas verlege, finde ich es niemals wieder. Die Bude ist der reinste Saustall, wenn man sich den ganzen Papierkram ansieht. Das meiste gehört nicht einmal hierhin, und ich habe keine Ahnung, wie der ganze Mist hierher kommt."
Allan unterdrückte ein Grinsen. Cedric redete noch immer genau so unangemessen wie früher.
„Also gut, weiter geht's", sagte Cedric schließlich. Ihre Blicke trafen sich, blau traf auf braun und schien noch immer krampfhaft zu schweigen.

Allan nickte, und Cedric führte ihn weiter durch den Flur. An dessen Ende befand sich hinter einer verglasten Tür eine kleine Küche mit einem runden Tisch in der Mitte, und eine Fliegengittertür führte in einen winzigen Garten mit Schuppen. Cedric schien besonders stolz auf den großen Kirschbaum zu sein, der die Hälfte des Gartens einnahm, und Allan merkte sich den Anblick seines Gesichtsausdrucks.
Anschließend gelangten sie über eine Treppe am Anfang des Flurs ins erste Stockwerk, wo sich Cedrics Schlafzimmer, ein Bad und zwei Gästezimmer befanden.
„Ich denke, Creasy hat dir bereits gesagt, dass du hier wohnen wirst?" Cedric blickte Allan fragend an.
„Ja." Allan nickte und fuhr sich nervös mit der Hand durch die Haare. Das war eines der Details, die er sich hatte merken können, als er nervös Creasys Bericht zugehört hatte.
Cedric lächelte freundlich und führte ihn zu einem Raum auf ihrer linken. „Das hier ist das größere Gästezimmer. Ich hoffe, es entspricht irgendwie deinem Stil."
Sie traten in einen Raum mit großem Fenster, einem Kleiderschrank links neben der Tür und einem Bett mit Blümchenbettwäsche.
„Ich muss mich entschuldigen, diese Bettwäsche stammt von meiner Großmutter", erklärte Cedric peinlich berührt.
Seine Großmutter. Allan verkniff es sich, nach ihr zu fragen. Er lachte leise und zuckte die Schultern. „Es wird mich schon nicht umbringen", meinte er.
Cedric nickte. „Ich hoffe allerdings, dass du mehr Gepäck als diese kleine Tasche dabeihast?", fragte er.
„Natürlich", versicherte Allan. „Das Problem ist allerdings, dass ich nach meiner Verletzung noch nicht so schwer tragen darf, deshalb musste ich meinen Koffer vorerst im Auto lassen."
Cedric verschränkte die Arme vor der Brust, und Allan ignorierte die Tatsache, dass sich der beigefarbene Stoff über leichten Armmuskeln spannte. „Soll ich deinen Koffer für dich holen und du schaust schon einmal, was du im Büro tun kannst?"
Allan lächelte. „Klingt nach einem guten Deal." Er fischte seinen Autoschlüssel aus seiner Hosentasche und reichte ihn Cedric, der ihn bereitwillig entgegennahm. „Wo hast du geparkt?"
„Neben dem Torbogen, ein grau-grüner Mercedes 560", erklärte Allan.
„Ein Oldtimer." Cedric grinste. „Gefällt mir."
Allan nickte. Ich weiß. Du hast schon immer für Oldtimer geschwärmt.
Die beiden gingen zurück ins Erdgeschoss, und während Cedric das Haus verließ, blieb Allan im Durcheinander des Büros stehen. Die Tür fiel hinter Cedric mit leisem Klicken ins Schloss, und dann herrschte Stille.
Allan blickte ihm traurig hinterher und lehnte sich gegen die Kante seines neuen Schreibtisches. Er vergrub das Gesicht in den Händen und versuchte krampfhaft, seine Gefühle in den Griff zu bekommen.
Das hier würde nicht einfach werden.

Nur du zählst...Where stories live. Discover now