Kapitel 87

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Alone- Alan Walker
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Mit diesen Worten joggt unser ältester Bruder los und versucht unsere kleine ,aber ziemlich flinke Schwester einzuholen. Auch die Zwillinge und ich folgen nach ein paar Sekunden den beiden. Allerdings im Sprint. Deswegen dauert es auch nicht lange, bis wir zuerst Blake und anschließend Amelia einholen. Diese ist hinter einer Ecke stehengeblieben und beobachtet etwas. „Was guckst du dir denn da an?", frage ich sie belustigt. Als ich allerdings sehe, was sie sich anguckt, verschwindet mein Lächeln sofort. Oh nein!
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Valentino

Ziemlich bestimmt ziehe ich sie an den Schultern zur Seite und stelle sie dann sofort zur Rede. „Sag mal bist du irre? Das ist nicht für deine Augen bestimmt! Du bist noch viel zu jung!",schreie ich sie schon fast an. Eigentlich will ich ihr gegenüber gar nicht so ein Ton erheben, allerdings dreht mein inneres gerade durch ,weil ich immer noch das Bild vor Augen habe, wie sie Blickkontakt mit einem Jungen hatte. Wir alle (ausgenommen unserer Mutter) haben ihr immer klar und deutlich gemacht, dass wir sie bis sie älter ist nie mit jemanden von dem anderen Geschlecht sehen möchten. Ausgenommen sind die, die mit uns verwandt sind oder sich in unserer Freundesgruppe befinden. Daran hat sie sich auch immer brav gehalten- bis heute. Ich dachte eben ich werde verrückt. Meine Schwester ist noch viel zu jung für einen Freund! ich möchte sie in den nächsten Jahren nicht weinend im Bett vorfinden, weil jemand ihr das Herz gebrochen hat. Wenn es irgendjemand wirklich jemals wagen sollte, dann hat er es mit uns allen zutun, insbesondere mit mir. Meine kleine Schwester ist mein kleines Baby und ich werde sie immer mit allem beschützen was ich habe und was in meiner Macht steht. Ich werde sie auch bestimmt nicht einfach so teilen. Immerhin muss ich sie schon mit unseren sechs weiteren Brüdern und unseren Cousins teilen. Da bleibt ganz sicher kein Platz für einen weiteren Jungen, der vor allem wildfremd ist. „Ich-", fängt sie mit deutlich hörbarer Unsicherheit an, wird allerdings direkt von mir unterbrochen. „Nein Amelia! ich will dich nie wieder mit einem Jungen sehen. Alleine wie er dich schon mit seinen Blicken ausgesaugt hat gefällt mir gar nicht! Ich will ihn nie wieder auch nur in der Nähe von dir sehen, sonst muss ich zu härteren Maßnahmen greifen! Hast du das verstanden?", frage ich bedrohlich nach. Mein Herz zieht sich immer mehr zusammen, da sie mit jedem Wort, was ich sage förmlich innerlich zusammenschrumpft. Ich will sie nur beschützen und sie nicht angreifen oder zu angsteinflößend sein. Leider kann ich mein bereits ausgesprochenes nicht mehr rückgängig machen. Eine kleine Träne kullert ihr die Wange herunter und nun ist es bei mir endgültig vorbei. Voller Schuldgefühle ziehe ich sie in meine Arme und drücke ihren kleinen zierlichen Körper ganz fest an meinen. Die Zwillinge und Blake, die neben uns aufgetaucht sind verdränge ich bewusst. „Es tut mir leid! Ich wollte dich nicht so anschreien. Ich will bloß keinen Jungen in deiner Nähe sehen, denn dann ist es mit meiner Selbstbeherrschung vorbei wie du bemerkst!", entschuldige ich mich bei ihr, wobei ich zum Ende hin leicht schmunzeln muss. Manchmal kann ich mich halt einfach nicht zurückhalten. Leider fasst Amelia es nicht ganz so belustigt auf wie ich. Ein kleiner Schluchzer löst sich aus ihrer Kehle, welcher direkt von ganz vielen anderen allerdings viel lauteren gefolgt wird. Dann ist bei unserem ältesten Bruder anscheinend Schluss. Mit einer Schnelligkeit wie ich sie noch nie vorher gesehen habe reißt er mir unsere kleine Schwester aus den Armen und umfängt sie stattdessen mit seinen. Sehr behutsam, allerdings doch ziemlich dominant wird sie nun an ihn gedrückt. „Alles ist gut, Engelchen!", flüstert er ihr ins Ohr, ehe er einen kleinen Kuss auf ihrem Kopf platziert. Wenn Blicke töten könnten, dann wäre ich jetzt tot. Mit einem sehr eindeutigen Blick wendet er sich von mir ab und hebt unsere kleine Schwester in seine Arme. Dann wendet er uns den Rücken zu und verschwindet mit Amelia in entgegengesetzte Richtung.

„Ich hätte genauso reagiert!", erklärt mir Matteo während er den beiden nachguckt. „Ich auch!", stimmt sein Zwilling mir Schulterklopfend zu. Ein bisschen beruhigt es mein Gemüt zu wissen, dass ich nicht als einziger so reagiert hätte. Aber trotzdem habe ich eindeutig die Grenze zwischen Verdeutlichung und Anschreien überschritten. Zwischen beiden existiert nur ein ganz schmaler Grat, welchen man schnell mal übertreten kann. Es sollte eigentlich nie passieren und doch ist es passiert. Ich fühle mich enorm schlecht dafür und ich weiß nicht, ob ich es jemals wieder gutmachen kann. Vergessen wird sie es jedenfalls nie ,da bin ich mir sicher. „Wir sollten zurückgehen! Blake ist sicherlich schon mit Amelia da und wir wollen ja nicht, dass sie sich Sorgen um uns machen!", deutet Alejandro nach einigen Minuten der Stille an. Mit einem Nicken stimmt Matteo sofort zu und auch ich gebe nach ein paar Sekunden mein Einverständnis. „Ja, wir sollten zurückgehen! Ich muss mich nochmal aufrichtig bei ihr entschuldigen! Trotzdem wird sie diesen Jungen nie wieder sehen!", seufze ich, wobei ich es am Ende schon fast zische. Mein Standpunkt diesbezüglich ist immer noch eindeutig und das wird auch so bleiben. Ich teile nicht!

Zu dritt machen wir uns wieder auf den Rückweg, welcher nicht lange dauert. Wir waren nicht einmal einen Kilometer von unseren Wohnmobilen entfernt. Sobald wir bei den anderen ankommen werden uns verwirrte Blicke zugeworfen. „Wo sind Blake und Amelia?", fragt unsere Mutter verwirrt. Zusammen mit dem Rest unserer Familie sitzen sie auf Klappstühlen in einem Kreis und tauschen irgendwelche lockeren Gespräche aus. Unsicher werfen wir drei uns untereinander vielsagende Blicke zu. Am liebsten würde ich jetzt im Erdboden versinken, denn das was wir ihnen gleich erzählen werden, wird ihnen allen nicht gefallen. Innerlich könnte ich jetzt über den Reim am Ende lachen, allerdings ist mir jetzt nicht zum Lachen zumute. Betroffen schaue ich zu Boden, ehe ich meinen Blick vorsichtig anhebe. Dort Blicke in einen Haufen fragender Gesichter. „Valentino, was ist passiert?", fragt unser Vater scharf nach. Den Klos in meinem Hals schlucke ich hinunter und stattdessen beginne ich zu erzählen.

„Du hast was gemacht?!",fragt Luciano nur so brodelnd vor Wut. „Und du bist dir wirklich sicher, dass sie einen stetigen Blickkontakt mit diesen unbekannten Jungen hatte?",fragt Leonardo zischend. Betreten nicke ich. Ich schäme mich enorm für mein Verhalten. Egal wie sauer ich war, ich hätte nie so aggressiv ihr gegenüber werden dürfen. Ich hoffe sie verzeiht mir irgendwann.

Nur der Wille zähltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt