Kapitel 80

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Sorry- Halsey
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Sobald wir an der Tür angekommen sind erlasse ich sie aus meinen Armen, drücke sie allerdings mit dem Rücken direkt wieder fest an mich um ihr Sicherheit zu geben. Ich weiß nicht, wie sie mit ihrem Verhalten auf andere Personen reagiert, selbst wenn es ihre besten Freundinnen sind. Als die Tür aufgeht und ihre Lina und Sophie auftauchen rechne ich mit allem, aber nicht mit diesem...
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Amelia

Gespannt und mit ein bisschen spürbarer Vorfreude schiebt mich mein Bruder noch ein bisschen vor sich, während sich ganz langsam und vorsichtig die Türe öffnet. Auch ich bin aufgeregt, was mich erwartet. Zugleich bin ich aber auch ziemlich ängstlich, denn meine Angst gegenüber anderen Menschen ist noch nicht vollständig weg. Noch immer ist der Traum fest in meinem Kopf verankert und die Folgen sind noch spürbar merklich. Trotzdem reiße ich mich zusammen und versuche meine Unsicherheit so gut wie möglich zu verstecken. Dafür schiebe ich meine Neugierde, welche unermesslich ist in den Vordergrund. Mit jedem Stückchen mit welchem die Tür mehr und mehr aufgeht beginnen meine Hände zu zittern. Als die Tür ein paar Zentimeter geöffnet ist, wird sie auf einmal von außen mit einem Schubs aufgedrückt und meine beiden besten Freundinnen treten breit grinsend in mein Blickfeld. Als ich Sophie erblicke fangen meine Hände sofort an stark zu zittern und ich gehe mein weit aufgerissenen Augen automatisch ein paar Schritte zurück. Leider komme ich nicht allzu weit, denn nach wenigen Zentimetern stoße ich mit meinem Rücken an Valentinos Brust. Dieser bemerkt meine panische Angst sofort und legt als eine beschützende Geste seine muskulösen Arme um mich. Beruhigen tut es mich aber überhaupt nicht. Meine Aufmerksamkeit liegt voll und ganz auf Sophie, welche sich immer mehr nähert. Immer stärker verkrieche ich mich in der Umarmung meines großen Bruders um irgendwie den Abstand zu meiner Freundin zu vergrößern. Obwohl Sophie mich im Blick hat fällt ihr mein Unbehagen nicht auf. Eher im Gegenteil.

Als sie nur noch wenige Schritte von mir entfernt ist breitet sie mit einem starken Grinsen im Gesicht ihre Arme aus. Dann war Schluss für mich. Meine Panik übernimmt die Überhand und ich werde wieder mit den Gedanken in die Geschehnisse aus dem vergangenen Traum zurück katapultiert. Ich kann nichts dagegen machen. Mein Körper ist vollständig im Beschützer Modus drin. Er tut alles ,um mögliche Angriffe zu verhindern und das ist in meinem Fall flüchten. Mit Tränen in den Augen versuche ich mich aus Valentinos Armen zu befreien und einen sicheren Abstand zu erzeugen. Mit all meiner Kraft stemme ich mich gegen seine Arme, welche sich meiner Meinung nach viel zu spät lösen. Sobald er von mir ablässt gehe ich so schnell ich kann Rückwärts immer weiter zurück. Dabei habe ich immer Sophie im Blick, welche mich sehr verwirrt anguckt. In ihren Augen erkenne ich aber unter anderen auch Schmerz, Angst und Unsicherheit. Es zerreißt mir selbst das Herz, dass ich so panische Angst vor meiner langjährigen Freundin habe, allerdings kann ich nichts dagegen tun. Ich habe ein Trauma durch meinen Traum davongetragen und kann es nicht so leicht wieder löschen. Am liebsten würde ich ihr jetzt in die Arme rennen und mich entschuldigen, aber das geht nicht. Mein Körper stemmt sich gegen meinen Wunsch, weshalb ich ihn schweren Herzens verwerfen muss. Die Bilder wie sie mich sowohl verbal als auch nonverbal fertig macht spielen sich immer wieder in Dauerschleife vor meinen Augen ab und ich kann es nicht stoppen. Ich kann nicht stoppen, wie meine Angst vor meiner Freundin von Sekunde zu Sekunde stärker wird und meine Panik immer und immer mehr zunimmt. Alle Augen ruhen auf mir und ich fühle mich schrecklich. Schrecklich, weil ich wieder einmal ein Drama aus allem mache und nicht einfach meine schlechten Erinnerungen und die dazu resultierende Angst herunterschlucken kann. Dass ich andere Leute durch mein Verhalten verletze und ihnen Sorgen bereite. Wie soll ich es jemals schaffen unabhängig zu sein? Meine Probleme selber zu lösen ohne dabei jemanden zu verletzten?

Sobald ich die Wand an meinem Rücken spüre stoppe ich. „Es tut mir leid, Sophie!", schluchzte ich. Trotz meines ausgeprägten Tränenschleiers erkenne ich wie verletzt sie ist. „Warum hast du Angst vor mir", fragt sie mich. Dabei zittert ihre Stimme deutlich. „Ich... ich...", fange ich an, werde aber durch eine erneute Panikwelle unterbrochen. Ich merke nur noch mehrere Hände an mir, die mich zwar vorsichtig aber ziemlich bestimmt wegziehen.

Ich weiß nicht wie viel Zeit seitdem vergangen ist, allerdings sitze ich inzwischen auf dem Sofa und werde von all meinen Brüdern, meinen Eltern, meinen Patenonkeln und meinen beiden besten Freundinnen mitleidig angeguckt. Bei meinem Anblick ist es aber auch verständlich. Zusammengekauert drücke ich mich so tief wie möglich in die Rückenlehne und versuche nebenbei meinen Atmen wieder in Ruhe zu bringen. Wenn ich das nämlich bald nicht schaffe, dann habe ich ein Problem. Ich kann mir jetzt schon bildlich das Gesicht von unserem Privatarzt vorstellen, wenn er den Anruf erhält, dass ich wieder einmal untersucht werden müsste, da ich bewusstlos bin. Zum Glück ist Martin fest angestellt und kommt in so welchen Situationen zu uns, denn wenn wir deswegen immer ins Krankenhaus fahren müssten, könnten wir dort schon eine Monatskarte kaufen. Beim zehnten Mal bewusstlos da ankommen wird ein Krankenzimmer nach mir benannt oder so. Wobei sich das ziemlich merkwürdig anhören würde, denn wenn man sich vorstellt, dass plötzlich durchs Krankenhaus „die liegt in Amelia!", gerufen wird, wird vermutlich an was anderes gedacht. Dementsprechend verwerfe ich diesen amüsanten Gedanken schnell wieder, aber ich habe sowieso andere Probleme.

Dadurch, dass ich mit meinen Gedanken so abgedriftet bin habe ich überhaupt nicht gemerkt, dass ich inzwischen auf Lucianos Schoß sitze. „Ruhig und vor allem langsam ein- und ausatmen!", weist er an. Währenddessen strahlt er so eine Ruhe und Gelassenheit aus, dass seine Worte direkt ihren Zweck erfüllen. Mein Atem ist nicht mehr so schnell und stoßweise wie davor und auch meine Tränen werden immer weniger. Vorsichtig schaue ich rüber zu Sophie, welche auf der anderen Seite des Sofas sitzt.

„Gehts wieder?", fragt meine Mutter fürsorglich. Leicht benommen nicke ich, während ich Sophie weiterhin im Blick behalte. Meine Angst gegenüber ihr ist immer noch immens, allerdings entspanne ich mich so nach und nach, da ich weiß, dass sie mir hier und jetzt nicht wehtuen kann und auch nicht wird. Wäre ich mit ihr alleine in einem Raum, dann wäre es aber schon wieder was anderes! „Warum hast du Angst vor mir, Amelia?", fragt mich Sophie erneut allerdings flüsternd. Deutlich hörbar schlucke ich und überlege, ob ich die Wahrheit sagen oder mir eine Notlüge ausdenken soll...


Nur der Wille zähltWhere stories live. Discover now