Kapitel 71

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What About Us- P!nk
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„Amelia! Es ist alles gut! Es war nur eine Spinne!", versucht mich Luciano zu beruhigen. Das Wort ‚Spinne' in den Mund zu nehmen war aber keine gute Idee, denn sofort kommen wieder die Bilder von der Spinne nur wenige Zentimeter von mir entfernt ins Gedächtnis. Mein Atem beschleunigt sich und ich verfalle immer mehr in eine Panik. Schwarze Punkte erscheinen in meinem Sichtfeld und nehmen es auch nach kurzer Zeit vollständig ein. Ich verliere das Bewusstsein und nehme nur noch mehrere Arme wahr, die meinen Körper auffangen...
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Amelia

Und schon wieder bin ich in der allzu bekannten Schwärze gefangen. Dieses mal erscheint allerdings direkt in der Sekunde ,wo ich in die schwarze Welt eintauche das helle weiße Licht, auf welches ich auch direkt zusteuere. Sobald ich es erreicht habe zögere ich keine Sekunde und trete in den weiß scheinenden Kreis hinein. Dann wird alles plötzlich ganz hell und ich spüre nichts mehr. Nach und nach klart meine Sicht auf und ein Blick nach unten reicht um zu erkennen, dass sich mein Körper immer mehr auflöst. Meine Beine sind schon vollständig in einer Art grauen Rauch verschwunden. Dieser steigt immer hoher und innerhalb weniger Momente verliere ich meine Sehkraft erneut.

Ich weiß nicht wie lange ich jetzt in diesem Zustand, indem ich weder etwas sehen noch etwas fühlen kann war, aber allmählich kehrt mein Körpergefühl zurück. Meine Sicht klärt auf, allerdings nur von weiß zu schwarz. Erkennen kann ich weiterhin nichts. Ich weiß echt nicht, ob ich eine Dauerkarte gebucht habe und nun regelmäßig diese ‚Welt' besuche kann, aber wenn ja, dann gebe ich sie freiwillig wieder zurück. So langsam reicht es mir nämlich, in eine Welt zu gelangen wo man keine Kontrolle über sich selbst hat. Alle Funktionen des Körpers sind eingeschränkt und man kann rein gar nichts dagegen tun. Dann kommt auch noch die dauernde Enttäuschung dazu, welche entsteht, wenn sich die Situation verändert und du Hoffnung bekommst, dass bald wieder alles normal ist. Man könnte es mit Uno vergleichen. Wenn man kurz davor ist alle zu gewinnen, weil man nur noch eine Karte hat, dann plötzlich vergisst ‚Uno' zu sagen und man schneller als man gucken kann wieder die komplette Hand voll mit Karten hat. Wenn das dann auch noch mehr als drei mal passiert, bildet sich eine so immense Aggression, dass man das Spiel abbrechen muss, weil man sich immer mehr anfängt gegenseitig zu beleidigen. So fühle ich mich gerade, allerdings bin ich schon längst über drei Runden hinaus. Ich müsste jetzt ungefähr bei der fünfzehnten sein.

Sobald ich wieder vollständig mein Körpergefühl erhalten habe versuche ich mit all meiner Kraft die schwärze von meinen Augen wegzuschieben. Erstaunlicherweise funktioniert es direkt bei aller ersten Versuch, weswegen nun ein kleines Glücksgefühl meiner Aggression Gesellschaft leistet. Sofort nehme ich helles Licht wahr, was mich meine Augen wieder zukneifen lässt. Lange lasse ich sie allerdings nicht zu, denn dafür bin ich zu neugierig was mich jetzt erwartet. Erneut schlage ich also meine Augen auf und lasse sie auch auf, obwohl ich das Gefühl habe kurz zu erblinden. Schnell legt sich das Gefühl aber und ich kann mich endlich umsehen. Das Bett indem ich mich befinde ist meins und auch der Rest der Einrichtung des Raumes kann ich als meins identifizieren. Ich müsste mich als in meinem Zimmer befinden. Ich bin aber alleine in dem Zimmer. Keiner meiner Brüder und auch nicht meine Eltern sind in meinem Zimmer. Mit zusammengezogen Augenbrauen schlage ich die Bettdecke, welche über mir ausgebreitet ist zur Seite und setze mich aufrecht hin. Erneut fahren meine Augen durch mein Zimmer, können allerdings nichts außergewöhnliches feststellen. Das helle was mich zuerst geblendet hat ist der Mond. Dieser scheint mit dem hellsten Licht was er verfügt genau in mein Gesicht. Augenblicklich fluche ich innerlich warum ich vergessen habe die Jalousien runterzufahren, bis mir jedoch eine Art Rückblick vor meinen Augen erscheint. Der Grill Abend, die Verfolgungsjagd mit Valentino und anschließend das Blickduell mit der Spinne, welches aber sehr einseitig war. Ich habe gestarrt und fast einen Herzinfarkt gekriegt und die Spinne hat es nicht die Bohne interessiert. Glaube ich zumindest, denn sie hat nicht den Anschein gemacht, als würde sie Angst oder wenigstens Respekt vor mir haben. Pustekuchen, denn davon war rein gar nichts vorhanden. Wenn ich merken würde, dass jemand Angst vor mir hat, dann würde ich auf Abstand gehen oder einfach ganz verschwinden. Das achtbeinige Tier hat allerdings gar nichts davon gemacht. Bevor es in meinem Kopf aber weiter ins Detail geht, bringe ich mich lieber auf andere Gedanken. Ein Gedanke, welcher mich sehr beschäftigt ist zum Beispiel: Wo sind die anderen? Es ist das aller erste mal von den ungefähr mindestens fünfzehn malen, wo keiner darauf wartet, bis ich wieder aufwache. Selbst als es drei Uhr morgens war, saß mindestens einer bei mir am Bett und hat aufgepasst. Ab und zu war es auch Martin, aber ich bin sehr froh, dass er dieses Mal augenscheinlich nicht hier ist. Lieber wäre ich dann noch ein bisschen bewusstlos, anstatt eine Spritze oder andere medizinische Dinge verabreicht zu bekommen. Auf meinem Nachttisch befindet sich mein Handy, welches ich in einer sehr gelenkigen Art und Weise zu greifen bekomme. Durch die Bewegung erleuchtet der Speerbildschirm und direkt fällt mir die Uhrzeit ins Auge. 22:12! Um diese Uhrzeit müssten noch alle wach sein und da ich mich in diesem Moment sowieso sehr fit fühle kann ich auch kurz unten nachschauen, ob ich mit meiner Vermutung richtig liege. Gesagt ,getan! Mit einer enormen Kraft springe ich in einer Bewegung aus dem Bett und lande trotzdem vorsichtig auf meinen beiden Füßen. Meine Beine fühlen sich an wie Wackelpudding und meine Körperspannung lässt auch zu wünschen übrig. Das verändert aber nichts an meinem Vorhaben. Mit langsamen und zögerlichen Schritten, welche mit jedem Meter immer sicherer werden gelinge ich ohne Zwischenfälle im Wohnzimmer. Neun erschrockene und gleichzeitig aber auch erleichterte Gesichter erwarten mich dort verteilt. Innerhalb von wenigen Sekunden befinde ich mich dann auch schon direkt in einer Gruppenumarmung.

„Oh man, Engel! Was machst du denn für Sachen?", fragt mich mein ältester Bruder sofort, als sich alle anderen nach und nach von mir lösen. „War nicht meine Absicht!", stelle ich klar und hebe zum Beweis meine Hände. „Was machst du überhaupt hier unten? Martin hat dir ein Mittel verabreicht das sorgt, dass du die nächsten paar Stunden schläfst! Nun stehst du hier unten und bist eindeutig nicht am schlafen!", erklärt mein Vater. Fragend sehe ich ihn an. Ist das jetzt schlimm? Bin ich jetzt noch besonderer als besonders? „Du bist immer besonderer als besonders und ob es schlimm ist weiß ich nicht! Es ist auf jeden Fall ungewöhnlich", redet er weiter. Nun sehe ich ihn neben dem fragenden Blick auch noch erschrocken an. Woher weiß er was ich denke? „Du redest laut, mein Schatz!", klärt meine Mutter mich lachend auf. Oh! Das erklärt einiges. „Ich habe Martin jetzt gerade mal angeschrieben und die Situation erklärt. Er hat geantwortet, dass es passieren kann, da er eine sehr geringe Dosierung des Schlafmittels verabreicht hat. Dein Kreislauf war nämlich nicht besonders stark!", schaltet sich nun Santiago ein. Gegen Ende hört er sich ziemlich vorwurfsvoll an. Genervt verdrehe ich meine Augen. Entschuldigung, aber was kann ich denn dafür? Die Spinne war schuld. Ich nenne sie jetzt einfach mal Cordula. „Du brauchst jetzt gar nicht deine Augen zu verdrehen, denn es wird noch besser. Du sollst jetzt am besten die nächsten vierundzwanzig Stunden viel schlafen und essen, damit dein Kreislauf wieder zu Kräften kommt und das Schlafmittel aus deinem Körper verdrängt wird!", erklärt er weiter. „Ich bin aber wirklich alles andere als müde!". Mit einem ist-das-dein-ernst-Blick werde ich von jedem aus meiner Familie angeguckt. Okay gut, ich gebe es ja zu! Ein bisschen müde bin ich schon, allerdings ist alles noch im Rahmen. „Ich bin wirklich ni...", weiter komme ich nicht, da mein verräterischer Körper sichtbar vor allen anwesenden meine Lüge enttarnt, indem ich gähnen muss. Ohne ein weiteres Wort hebt mich mein Vater hoch und geht mit mir in den Armen die Treppen hoch um zu meinem Zimmer zu gelangen. In Rekordzeit liege ich im Bett und werde von ihm liebevoll und voller Zuneigung zugedeckt.

„Schlaf gut, Prinzessin!", flüstert er noch bevor er mir ein Kuss auf die Stirn gibt und anschließend mein Zimmer verlässt. Davor denkt er aber zum Glück daran meine Jalousien runterzufahren. Eine Weile starre ich noch auf die Tür, welche vollständig geschlossen ist. Dann fallen meine Augen erneut zu, aber diesmal vor Müdigkeit. Dass das die schlimmste Nacht in meinem Leben wird und die Zukunft sehr verändert sehe ich in dem Moment noch nicht kommen.

Nur der Wille zähltWhere stories live. Discover now