Kapitel 8

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Der Omega saß am Bahngleis und betrachtete die Uhr, die an dem Bahnhofs-Gebäude hing. Der Putz war von der Wand abgeplatzt und lag auf der verwitterten Uhr, die gleichmäßig vor sich hin tickte.
Vincent kam die Situation surreal vor. Er konnte einfach nicht fassen, dass er nur noch in diesen Zug steigen muss und dann endlich hier wegkam.

Sein Blick wanderte zu der Anzeigetafel neben dem Bahngleis und er stellte fest, das sein Zug gleich da sein müsste. Zum gefühlt hundertsten Mal nahm er sein Zugticket und betrachtete es. Die Stadt, die auf ihr abgedruckt war, hatte er noch nie besucht. Na ja, eigentlich ist er noch nie aus dem Gebiet seines Rudels heraus gekommen. Deswegen hatte er auch keine Anhaltspunkte, als er angefangen seine Flucht zu planen. Vincent hatte sich einfach für einen Ort entschieden, den er mit seinem Geld erreichen konnte und der eine Notschlafstation für Obdachlose hatte.

Er hatte jetzt keinen Ort mehr, an dem er schlafen konnte und auch keine Verwandten oder Freunde bei denen er unterkommen könnte. Der Omega erhoffte sich dort Hilfe zu bekommen, um sich ein Leben bei den Menschen aufbauen zu können. Er wollte nicht mehr auf seinen Omega-Status reduziert werden und ein Leben ohne Werwölfe führen. Vielleicht würde er sich sogar in ein nettes Mädchen oder Jungen verlieben und könnte seinen Mate hinter sich lassen.

//Ich bin mir gar nicht so sicher, ob wir uns jemals in jemanden verlieben können, außer in Elias//, meldete sich Milo zu Wort.
//Na dann bleiben wir wohl für immer alleine. Bevor ich mich in diesen Alpha verliebe, friert die Hölle zu//, erwiderte Vincent.
Er war sich eigentlich gar nicht so sicher dabei, ob er wirklich niemals Gefühle für den Alpha entwickeln könnte, wenn dieser ihn anders behandeln würde, aber das war jetzt egal. Vincent würde dieses Gottverdammte Gebiet verlassen und nie wieder kommen.
Als hätte die Mondgöttin seine Gedanken gehört und gewollt das die Szene dramatischer wirkte, kam genau in diesem Moment der Zug angefahren.

Der Omega stand auf und stellte sich hinter die Linie an dem Gleis. Bei der Bewegung machte sich die blau verfärbte Stelle an seinen Bauch wieder bemerkbar, doch Vincent verzog nur kurz das Gesicht vor Schmerz, bevor er sich gerade hinstellt. Der Windstoß, des bremsenden Zuges, stieß gegen ihn und ließ ihn frösteln.
Seine schwarzen Haare wurden durch die plötzliche Luftmasse durcheinander gebracht. Während Vincent die Strähnen wieder in ihre ursprüngliche Position strich, blieb der Zug quietschend vor ihm stehen. Er drückte den Knopf und die Türe vor ihm öffnete sich.

Einen Moment stockte er, bevor er in den Waggon trat. Wenn er das jetzt macht, verlässt er offiziell sein Rudel, seine Mutter und vor allem seinen Gefährten. Tief atmete er durch und straffte die Schultern. Jetzt hatte er endlich Entscheidungskraft über sein Leben und er würde sich eine bessere Zukunft erkämpfen. Vincent setzte sich in eine der vielen leeren Sitzreihen. Er checkte noch einmal, ob er alles hatte und machte es sich dann so bequem wie es ging, was durch das Hämatom an seiner Rippe nicht gerade leicht war.
Ihm war immer noch kalt, weswegen er seine Jacke anbehielt. Seinen Kopf lehnte er gegen das Fenster und betrachtete die an ihm vorbeiziehende Landschaft. Da es mittlerweile dunkel geworden ist, erkannte er nur grob die Umrisse der Bäume und kleinen Feldwege. Die Gegend, in der das Gebiet seines Rudels lag, war sehr ländlich, weswegen der Zug nach kurzer Zeit schon aus der Stadt war und nun an kleinen Wäldern oder Felder vorbei tuckerte.

Plötzlich durchfuhr den Omega ein Gefühl von Leere. Es war nur ein kurzer Moment, doch es hatte sich angefühlt, wie wenn ein kälter Schauer durch in ging.
//Wir haben gerade die Rudelgrenze überquert. Ich hab keine Ahnung wie das funktioniert, aber da wir mit der Absicht zu gehen diese Grenze überschritten haben, ist die Verbindung zu dem Rudel jetzt weg. Wir sind rudellos//, erklärte sein Wolf das Gefühl.
Vincent verstand nicht, wie das funktionierte. Schließlich kann man im Normalfall die Grenzen der Territorien ohne Folgen übertreten, doch ihm war es egal. Er war sowieso nie ein richtiges Mitglied des Rudels. Trotzdem war es ein komisches Gefühl für ihn rudellos zu sein.
Es lag in der Natur von Werwölfen eine Gemeinschaft zu bilden und gerade er als Omega war von dem Schutz seines Rudels abhängig.
Zum Glück lebte er in moderneren Zeiten in denen rudellose Wölfe nicht mehr getötet wurden, wenn sie dem Territorium eines Rudels zu nah kam.

Leider wusste er nicht, ob die Stadt, zu der er fuhr, zu einem Rudel gehört. So etwas konnte er nicht über das Internet herausfinden und jemanden zu fragen wäre sehr riskant gewesen. Er hoffte einfach, dass es dort keine Werwölfe gab und wenn doch, das sie nichts gegen Omega hatten und er dort einfach unter den Menschen leben dürfte, ohne gestört zu werden.

Vincent sah auf sein Handy und musste feststellen das sein Akku schon bald leer sein würde. Seufzend sah er sich um, entdeckte aber keine Steckdose bei seinem Sitz. Es musste sich wohl um einen sehr alten Zug handeln. Er stellte sein Handy in den Energiesparmodus und packte es wieder in seine Tasche.
Sein Blick wanderte zu der Uhr über der Tür des Wagons. Elias würde in zirka zwanzig Minuten volljährig werden.

Vincent war froh diesen Moment nicht miterleben zu müssen, da er sich gar nicht vorstellen wollte, wie der Alpha reagieren würde. Er verbannte diesen Gedanken aus sein Kopf und schloss die Augen. Er war müde und wollte in Ruhe etwas Schlaf nachholen.

Jetzt ist unser armer Omega rudellos. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, wird die Zukunft zeigen.
Das Kapitel war relativ unspektakulär, aber das wird sich bald ändern 😉

Ein Alpha zum DavonlaufenWhere stories live. Discover now