i. the third quarter quell

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"June!" Gaia fängt mich sofort ab und zieht mich zur Seite. "Du hättest vor Stunden schon bei mir sein sollen. Ich möchte es genauso wenig wie du, aber du musst dich dringend umziehen." Sie beginnt bereits aus einer dunklen Hülle das Kleid herauszuziehen und mich von oben bis unten zu betrachten. "Deine Haare sind voller Späne, das müssen wir auch noch in dieser kurzen Zeit ausbessern. Und du hast etwas Blut an der Wange, sieht aus als hättest du dich geschnitten." Sie hockt bereits auf dem Boden um den Tüll des Kleides zurecht zu streichen.

Noch bevor Gaia weitersprechen kann unterbreche ich sie mit entschlossener Stimme:

"Nein."

Unmittelbar stoppt ihre Hand über das Kleid zu streichen und sie steht in Sekunden auf. "Was soll das heißen? June, ich verstehe deine Wut, aber-"

"Nein", wiederhole ich mich. "Das Kapitol soll mich so sehen wie ich bin. Aus meinem Leben gerissen. In meinen dreckigen, gestreiften Hemd, mit der schweren, schwarzen Hose und den klobigen Schuhen." Mit überzeugtem Blick schaue ich sie an; gespannt darauf, was Gaia dazu sagen wird.

Doch sie grinst nur. "Okay, June." Sie umhüllt das Kleid vorsichtig wieder in der dunklen Schutzhülle und mustert mich erneut. "Dann machen wir auch wenigstens deine Haare auf. Wenn schon, denn schon!"

Nachdem sie meinen geflochtenen Zopf geöffnet hat und meine Haare hinter die Ohren gestrichen hat, gibt sie mir ihr Einverständnis um wieder zu den anderen zurück zu gehen. Doch als ich wieder hinter dem Justizgebäude ankomme warten dort nicht nur Johanna und Ash, sondern auch meine Eltern.

"Wir wollten euch Beide noch einmal sehen, bevor es soweit ist", klärt meine Mutter mich auf und mein Vater nickt ihr zustimmend zu, ehe er uns zu fünft in eine Umarmung zieht.

"Johanna, du bist wie eine zweite Tochter für uns geworden. Wir wüssten nicht, was wir ohne euch beide machen würden. Egal wie die Ernte heute ausgeht, wir sind auf euch Beide stolz. Möge das Glück stets mit euch sein."

Ich schließe meine Arme fest um meine Eltern und um meinen Bruder; schaffe es überhaupt nicht mich aus der Umarmung zu lösen. Sie haben dieses ganze Chaos nicht verdient, dass ich durch meinen Sieg über sie gebracht habe.

Mein Vater streicht mir über meine Wange, als er sich von uns löst, "June, ich erinnere mich noch an dich, als kleines Mädchen. Du hast immer die Blumen unter unserem Haus überwässert, weil du nicht wusstest, wann es genug war. Du bist so eine starke Frau geworden, die nie bereit ist aufzugeben."

"Danke, ich liebe euch", bringe ich gerade noch so heraus, bevor Lucinia die Tür zum Justizgebäude öffnet und uns mitfühlend anschaut. So habe ich sie noch nie gesehen.

"Es geht los", stammelt sie nur und verschwindet erneut im Justizgebäude. Hat sie überhaupt nicht bemerkt was ich trage oder hat sie es bewusst ignoriert?

Johanna und ich tauschen einen aufgeregten Blick auf, kurz bevor wir meinen Eltern und meinen Bruder ein letztes Lächeln schenken und durch das Justizgebäude auf die Bühne von Distrikt 7 marschieren. Alles sieht aus wie die letzten Jahre auch. Die Reihen der Jugendlichen sind gefüllt und hinter ihnen warten ihre Eltern. Wie erleichtert sie wohl sein müssen, dass sie ihre Kinder heute wieder nach Hause begleiten werden.

"Willkommen zu der Ernte der 75. Hungerspiele und damit des dritten Jubeljubiläums!"

Neben Lucinia, die in der Mitte der Tribüne vor dem Mikrofon steht, warten die beiden Lostrommel bereits auf dunklen Holztischen auf ihren Einsatz. Normalerweise quellen sie beinahe über vor Namen, doch in diesem Jahr ist das anders. Auf dem Boden der Lostrommeln liegen zwei einsame Namen und in der Lostrommel neben Blight liegt einzig und allein seiner. Blight starrt emotionslos den Menschen entgegen; es wirkt beinahe so, als schaue er durch sie hindurch.

"Wie immer natürlich, Ladies first!", nehme ich Lucinias angespannte Stimme war, als sie sich langsam zu unserer Lostrommel begibt. Aus der Nähe erkenne ich, wie ihre Unterlippe zittert, als sie ihre Hand über den beiden Zetteln kreisen lässt und sich schlussendlich dafür entscheidet, den Linken zu greifen. Sie trägt ihn, immer noch geschlossen, in die Mitte der Tribüne.

Nachdem man sie wieder hektisch in das Mikrofon atmen hören kann, faltet sie den Namen auf und haucht zögernd:

"Juniper Sylva."

Kurz bevor ich eine Schritt zu ihr mache möchte, spüre ich Johannas Hand, die mich zurück hält und wie sie gerade beginnen will zu sprechen. Doch ich drehe mich in Windeseile zu ihr um und lege meinen Finger auf ihren Mund. "Nein, Johanna. Unsere Diskussion ist vorbei."

Ihre Augen wandern nervös hin und her, doch zum Glück hört sie auf mich und lässt mich zu Lucinia gehen, die allerdings bereits den Zettel mit Blights Namen in der Hand trägt.

"Blight Atwood."

Weiterhin schweigend stellt sich Blight an meine rechte Seite und ich tue es ihm gleich und schaue über die Leute hinweg. Denn jetzt sehe ich, dass sein Blick auf die hohen Bäume hinter dem Justizgebäude fokussiert ist. Wie aus Reflex nehme ich seine Hand und hebe sie nach oben, als ich mein Lächeln für das Kapitol aufsetze.

Für einen Augenblick stehen wir dort, bis eine weibliche Stimme die Stille auf dem Platz des Justizgebäudes unterbricht.

"Mein Wald, mein Leben!" Sofort erkenne ich den weichen Ton der in dieser Stimme liegt.

Es ist Maple. Meine alte, liebe Freundin Maple.

"Mein Wald, mein Leben!" Die Schreie um dem Platz stimmen mit ihr ein, bis es so laut ist, dass man es im ganzen Distrikt wahrnehmen kann. Ganz am Ende schreien auch Blight und ich:

"Mein Wald, mein Leben."

Und es ist das Erste, das ich Blight seit Tagen sagen höre.

ɢʟɪᴛᴛᴇʀ ᴀɴᴅ ɢᴏʟᴅ ⏤ finnick odairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt