xxii. it comes in waves

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"what can I do when the night comes and I break into stars."

Es sind nur ein paar Stunden vergangen, als ich erneut aufschrecke und mich in meinem Haus im Dorf der Sieger wiederfinde. Es hat sich täuschend echt angefühlt. Es war fast, als sei ich erneut in Distrikt 12 gewesen, dabei ist die Tour schon ein halbes Jahr her und in ein paar Tagen beginnt mein erstes Jahr als Mentorin. Johanna hat mich vermutlich gut darauf vorbereitet, doch habe ich das Gefühl, als wüsste ich überhaupt nicht was auf mich zukommt. Seitdem wir wieder Zuhause sind treffen wir uns fast täglich.

Am schwersten fällt es mir weiterhin zu schlafen; offensichtlich. Meistens schaffe ich es meine Schuldgefühle zu verdrängen, indem ich mir immer wieder vor Augen halte, dass ich nicht die bin, die diese Gefühle haben sollte. Doch wenn die Sonne untergeht und ich alleine in diesem großen Haus im Bett liege fällt es mir schwer, meine positiven Gedanken bei zu behalten. Trotzdem empfinde ich es so, als lägen die schwersten Tage bereits hinter mir, denn ich spüre, wie es Tag zu Tag aufwärts geht und ich besser mit wiederkehrenden Erinnerungen umgehen kann.

Seit meinen Spielen und abgesehen von der Tour der Sieger, war ich regelmäßig im Kapitol. Meistens zu Veranstaltungen von President Snow oder zu Interviews mit Caesar. Ich habe schnell gemerkt, dass President Snow mich gerne vorzeigt, da ich einen starke Charakter mit absoluter Treue und Dankbarkeit ihm gegenüber vermittle.

Mein Verhalten in der Öffentlichkeit schützt zwar meine Familie vor dem Tod, aber nicht vor den umstrittenen Meinungen unserer Mitbürger im Distrikt 7. Die Meisten verstehen nicht, dass ich mich nur so gebe um niemanden zu gefährden. Ich mache mir deshalb nicht viel daraus, denn ich weiß auf welcher Seite ich, beim ersten Funken einer Rebellion, stehe.

Durch einen Spalt an den verdunkelten Fenstern erkenne ich einen schwachen Sonnenstrahl. Wenn das so ist, denke ich, werde ich wohl aufstehen. Ich schäle mich aus dem Bett und öffne die großen Fenster des Raumes. Während ich einen Moment den Ausblick auf die Wälder genieße, erinnere ich mich erneut an die Tour der Sieger und wie schwer es mir in manchen Distrikten viel die Rede zu halten. Zum Beispiel in den Distrikten, dessen Tribute ich mit meinen eigenen Händen getötet habe. In Distrikt 1 verharrte mein Blick dauerhaft auf Fleurs Familie. An den wuterfüllten Blick ihrer Mutter, der Fleur wie aus dem Gesicht geschnitten war. Ebenso wie ihre kleine Schwester, die wirkte, als würde sie mir am liebsten die Kehle aufreißen. Auch die Sieger des Distrikts waren von meinem Erscheinen nicht begeistert. Ich spüre förmlich noch den Blick von Augustus Braun auf mir, der die Spiele vor zwei Jahren gewann.

Als ich dem Sieger der 65. Hungerspiele allerdings entgegen blickte, fühlte ich mich kein bisschen unwohl. "Es ist mir immer wieder eine Freude dich zu sehen", flüsterte Finnick mir noch zu, bevor Lucinia mich zurück zum Zug ziehen konnte. Dabei wünschte ich mir nichts mehr als noch ein kleines bisschen länger mit ihm sprechen zu können.

Allmählich mache ich mich auf den Weg in die Küche, nehme ich ein Glas aus dem Schrank und fülle es mit Wasser. Im Haus gegenüber, in das meine Eltern und Ash eingezogen sind, brennt ebenfalls bereits Licht in der Küche. Fast im selben Moment tritt mein Bruder aus der Tür. Eigentlich muss er nicht mehr arbeiten gehen, da mein Sieg sie ebenfalls versorgt, doch er möchte nicht auf seine Arbeit im Wald verzichten. Ich überlege mir, dass ich ihn dort später besuchen und helfen werde. Vielleicht lenkt mich die Arbeit ab?

Gerade als ich das Glas neben mich stelle, höre ich ein ruhiges Klingeln aus dem Wohnbereich. Was ist das denn?, frage ich mich augenblicklich und beschließe dem Geräusch nachzugehen. Beim näheren Betrachten bemerke ich das Telefon, dass auf einem der hinteren Tische steht. Warum habe ich das bis jetzt nicht bemerkt? Und viel wichtiger als das ist, wer ruft auf diesem Telefon an. Meine erste Überlegung ist Präsident Snow. Nur bei den Gedanken an diesen Mann verkrampft sich mein ganzer Körper, ich werde direkt zappelig und hadere damit, das Telefonat überhaupt anzunehmen. Nervös greife ich nach dem Hörer und frage zögerlich "Hallo?"

"Das klingt doch, als sei ich nicht der Einzige, der von seine Träume geplagt wird."

"Finnick Odair, was verschafft mir diese Ehre", gebe ich ihm direkt als Antwort, ohne meine Erleichterung unterdrücken zu können. Zu sehr freut es mich seine Stimme zu hören. "Dabei sehen wir uns doch in ein paar Tagen wieder."

Ich schaue mich in dem Wohnbereich um und beschließe mich auf den Durchtritt der Tür zur Veranda zu setzen, während die Sonne mir mittlerweile ins Gesicht leuchtet. Meine Anspannung fällt von mir ab, als ich am anderen Ende der Leitung Finnicks Grinsen wahrnehme. Wenn er schmunzelt, atmet er gleichzeitig ein wenig aus, weshalb ich es unverkennbar finde.

"Ich kann die Vögel zwitschern hören", erwidert er leise. "Mir war es wichtig dich zu sprechen, ohne ein gewisses Bild aufrecht erhalten zu müssen."

Also hatte ich doch recht, denke ich. Hinter ihm steckt mehr, als es jemals jemand im Kapitol erkenne könnte. "Wolltest du nur sicher stellen, dass ich an meinen Erfahrungen zerbrochen bin oder gibt es dafür noch einen anderen Grund?", frage ich Finnick.

"Mir fallen direkt mehrere Gründe ein, aber das war auf jeden Fall keiner davon. Ich habe es nie in Frage gestellt." Er macht eine kurze Pause, bevor er weiter spricht "Aber du warst im letzten Jahr ziemlich oft im Kapitol, das hat mir ehrlich gesagt mehr Sorge bereitet."

Ich lasse mir einen Moment Zeit um über meine Antwort nachzudenken, weil ich mir noch nicht im Klaren bin, ob ich ihm die Wahrheit sagen soll.

"Was verwundert dich gerade mehr: dass es mir auffiel oder dass ich mich sorge?", höre ich Finnicks Stimme noch bevor ich etwas sagen kann.

Ich zögere, doch beschließe ihm die Wahrheit zu sagen. "Präsident Snow ist der Meinung, dass ich ein 'wertvolles Bindeglied unseres Systems bin'", zitiere ich das Gespräch, dass ich mit Präsident Snow kurz vor der Siegertour hatte. "Meine Stärke sei es andere durch meine Worte zu beeinflussen. Er schätzt meine Gabe, gut sprechen zu können und am Wichtigsten sei ihm, dass ich somit in der Lage bin den Menschen ein gewisses Gefühl von Sicherheit zu vermitteln."

Es bleibt für eine Weile still am anderen Ende des Hörers und ich schaffe es nicht, mich für eine Erklärung dafür zu entscheiden. Meinen Gedanken kreisen darum, ob ich noch mehr dazu sagen sollt oder ob ich eventuell doch schon zu viel gesagt habe.

"Gut-", höre ich seine nachdenklich klingende Stimme. "Er verlangt also nur von dir, dich mehr in der Öffentlichkeit zu zeigen? Mehr steckt nicht dahinter?"

Über mein Gesicht zieht sich ein leichtes Grinsen, während ich mich frage, wie lange ihn diese Fragen wohl schon beschäftigen.

"Ich denke schon", gebe ich ihm als Antwort zurück. "Ich habe unter anderem viele Gespräche mit Bürgern oder Interessengruppen des Kapitols, aber es war nie mehr."

"Na schön, das lässt mich auf jeden Fall besser schlafen, Juniper." Ein Kribbeln durchfährt mich, wenn ich ihn meinen Namen aussprechen höre. Daran könnte ich mich gewöhnen. "Dann sollten wir uns auf schöne Dinge konzentrieren. Erzähl mir von Distrikt 7", flüstert Finnick.

Ich überlege kurz, bevor ich sage "Sylvan sagte, bevor wir das Distrikt verlassen mussten, dass der Wald uns etwas bietet, dass es sonst nicht in Panem gibt und das ist Freiheit. Wenn du ganz oben in einer Tanne sitzt, zwischen den dunkelgrünen Zweigen und der Geruch der Kiefern dir in die Nase steigt, ist es fast so, als würde man eine andere Welt betreten. Alles was du hörst sind die Gesänge von den unterschiedlichsten Vögeln und das Leben vieler anderer Lebewesen." Ich lache kurz, als mir eine Geschichte von früher einfällt. "Einmal sind Maple und ich, sie ist meine beste Freundin - einmal sind wir-"

Unser Gespräch fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Erst um die Mittagszeit, als meine Mutter um mein Haus gelaufen kam und mir deutlich machte, dass sie meine Hilfe braucht, beendeten wir das Telefonat; gerade als Finnick mir von den goldenen Stränden und dem Geräusch der Wellen aus Distrikt 4 erzählte.

ɢʟɪᴛᴛᴇʀ ᴀɴᴅ ɢᴏʟᴅ ⏤ finnick odairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt