xix. familiar faces

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"We've got to live, no matter how many skies have fallen."

"Katniss nicht!" Meine Stimme bricht im Satz ab, als Haymitch Abernathy instinktiv auf die Situation reagiert und Katniss Hand, die verteidigend eine Spritze mit Kanüle hält, an ihrem Handgelenk an die Wand drückt.

"Du mit einer Spritze gegen das Kapitol? Keine gute Idee." Durch den Druck den Haymitch ausübt fällt die potentielle Waffe aus ihrer Hand. Schnell stürme ich auf die Beiden zu und werfe die Spritze in den Restmüll neben mir, während Katniss' Stimmlage immer lauter und hysterischer wird. Ihr war sofort bewusst, wo Peeta sein muss, wenn er sich nicht im Hovercraft mit uns befindet.

Nur die Injektion, die Plutarch Heavensbee Katniss aus Reflex verabreicht, schafft es, dass sie sich beruhigt und wenige Minuten später wieder bewusstlos zu unseren Füßen liegt.

"War das notwendig?", erkundige ich mich, als ich mit Finnick beginne Katniss zurück zu ihrer Liege zu bringen.

"Ja", antwortet mir Plutarch Heavensbee nur dumpf.

Es ist wie ein Déjà-vu als ich aus meinem Traum erwache und die unzähligen, kleinen Monitore an den Wänden unterschiedlichste Geräusche von sich geben. Der Raum ist in gedimmtes, rötliches Licht gehüllt. Durch eine milchige Glastür mit horizontalem Muster erkenne ich die Krankenpfleger und Ärzte hektisch durch den Gang schwirren. Sie haben noch nicht bemerkt, dass ich wieder wach bin. Das letzte Mal, dass ich auf einer Krankenstation wie dieser lag, war nach den 69. Hungerspielen.

Nachdem wir in Distrikt 13 angekommen sind, wurden wir alle, ob bei Bewusstsein oder nicht, auf den Krankenflügel für verschiedene Untersuchungen gebracht. Und ehrlicherweise, können wir alle die auferlegte Ruhe gebrauchen. Beetee und Katniss sind weiterhin weg getreten und werden es wohl noch für ein paar Tage sein, dabei ist ebenso schon klar, dass Beetee durch den Schlag des Gewitterbaumes eine Querschnittslähmung davon tragen wird. Finnick geht es zwar körperlich gut, doch plagen ihn die selben Vorwürfe, die meine Gedanken seit Ende der Spiele beherrschen. Seitdem er erfahren hat, dass Annie Cresta ebenfalls ins Kapitol gebracht worden ist, erwische ich ihn immer wieder dabei, wie seine Augen einen Punkt an der Wand fixieren und seine Gedanken abdriften.

"Ms. Sylva". Lächelnd richte ich meinen Blick auf den Arzt, der soeben mit einem Klemmbrett den Raum betreten hat. "Sie wissen, dass sie heute die Krankenstation verlassen dürfen. Wir sind uns sicher, dass sie soweit stabil sind."

Zustimmend werfe ich die weiße Bettdecke von mir runter und springe auf die Beine. Bereits heute morgen habe ich zum ersten Mal seit Wochen wieder saubere Klamotten an. Wie fast alle hier, haben wir bei der Ankunft eine Auswahl von einheitlichen Kleidungsstücken bekommen, die das graue Farbspektrum quasi nicht verlassen. Ein paar Ausrutscher nach Weiß oder Schwarz, sind die größten farblichen Unterschiede, die es hier gibt. Doch ich bin nicht böse darüber; denn ich bin es Leid die glamourösen Kleider des Kapitols zu tragen. Wer sollte sie mir auch entwerfen, fällt mir ein. Gaia ist nicht mehr unter uns.

Nachdem ich meine Arme weit in die Luft gestreckt habe und zumindest die körperliche Anspannung von mir abfällt, blicke ich ein letztes Mal in den Spiegel, der neben wir an der Wand hängt. Durch das Spiegelbild wende ich mich dem Arzt zu, ehe ich mich zu ihm umdrehe. "Sie sagten, dass das Gold bereits nach den 69. Hungerspielen eingesetzt worden sein muss?"

"Jawohl", er beginnt auf seinem Klemmbrett ein paar Seiten zu über blättern, bis er näher an mich heran tritt und mir die Abbildung auf dem Papier zeigt."Wir setzen uns schon länger mit dieser Technologie auseinander, da diese Art von Prothesen revolutionär sind. Es erlaubt die vollständige Funktionswiederherstellung und Verbesserung aller Nerven und Muskelstränge. Das sie erst kürzlich gemerkt haben, dass ihr ganzer Arm betroffen sein könnte, erklärt sich mir nur damit, dass sie über ihren Zustand völlig im Dunklen gelassen worden sind."

Mit dem goldenen Finger streiche ich über die einzelnen Abbildungen. Unter meinen Fingerspitzen spüre ich jede kleine Unebenheit in der Zusammensetzung des dunklen Papiers. Jeder Strich der schwarzen Zeichnungen setzt sich tastbar ab, sodass ich das Gefühl bekomme, als könnte ich selbst mit geschlossenen Augen erkennen, was die Bilder darstellen sollen.

„Dankeschön für die ausführliche Erläuterung."

"Nichts zu danken, Ms. Sylva. Das ist immerhin mein Job hier in 13. Sie sind alle auf die eine oder andere Art vom Kapitol gezeichnet worden. Ich bin mir sicher, dass Präsident Snow ihnen diese Prothese nur gab, weil er dachte sie würden auf seiner Seite kämpfen. Wir sind froh, dass sie bei uns sind."

Dankend nicke ich dem freundlichen Mann zu, der allerdings erneut den Mund öffnet und ergänzt:

„Mr. Odair wartet bereits auf Sie."

„Vielen Dank!" Ohne zu zögern stürme ich dem Ausgang des Krankenabteils entgegen und stoße mit meiner wiedergefundenen Kraft die Tür auf. Meine Beine tragen mich von alleine zu dem breiten Grinsen von Finnick Odair, unter dessen Augen nichtsdestotrotz tiefe Augenringe auf die nervenaufreibenden Tage die hinter uns liegen hindeuten. Freudestrahlend falle ich ihm um den Hals, während er mich fest an sich drückt. Für einige Minuten stehen wir stumm beisammen, während seine Hände durch meine Haare fahren und ich mein Gesicht tief in dem grauen Anorak vergrabe. Ich hebe meinen Kopf an und streiche mit meiner linken Hand über seine ausgeprägten Gesichtszüge, bis er seine Hand in meine legt, einen Kuss auf meinem Handrücken platziert und beginnt mit leiser Stimme zu sprechen:

"Annie. Johanna. Peeta. Ich wünschte sie wären tot, June. Ich wünschte sie müssten diese Qualen nicht erleiden." Sein Blick fällt auf den Boden, als er seine Hände hebt und sie über seine Augen legt.

"Hey", ruhig nehme ich sie schnell wieder aus seinem Gesicht und verwinkelt sie in meinen. "Wir werden sie befreien. Wir sind es ihnen schuldig."

Wortlos fällt seine Stirn an meine, bis er tief einatmet und die bis jetzt geschlossenen Augen wieder öffnet. "Du hast natürlich wieder recht", lächelt er zuversichtlich.

Hand in Hand treten wir die letzten Schritte aus dem unterem Stock, bis wir mit dem Aufzug zu den Speisesälen von Distrikt 13 fahren. Es ist das erste Mal, dass wir unter so vielen Menschen sind, seitdem wir im Untergrund des 13. Distriktes sind.

Doch es dauert nicht lange, bis ich mit Tränen in den Augen, mich am Arm von Finnick immer mehr festhalte. Denn umso mehr Gesichter im Speisesaal mir bekannt vorkommen, desto mehr wird mir klar, dass in Distrikt 7 etwas Tragisches geschehen sein muss. Sofort erkenne ich die vielen Holzfäller, die mit meinem Vater und Bruder lange Zeit gearbeitet haben. Acacia und Palmer, bis mein Blick auf Sylvans Familie fällt.

"June!"

Ich schaffe es nicht mehr mich zusammen zu reißen, als die braunen Locken von Maple in mein Blickwelt springen und ihre roten, geschwollenen Augen auf mich fokussiert sind. Wir rennen aufeinander zu, bis wir uns in den Armen liegen. Doch noch ehe wir es geschafft haben unsere Worte wiederzufinden, breche ich erneut in lautes Schluchzen aus, als ich nach so langer Zeit in die dunklen Augen meines Bruders starren kann.

"Ash." Gemeinsam mit meinen Eltern, die hinter ihm stehen und sich gegenseitig stützen um nicht auf der Stelle auf den Boden zu sinken, werfe ich meine Arme um ihre Hälse. Die Freudentränen sind nicht mehr aufzuhalten. "Ich bin so froh euch zu sehen."

"Wir sind alle hier, June. Alle die es geschafft haben raus zu kommen. Distrikt 7 ist Geschichte."

ɢʟɪᴛᴛᴇʀ ᴀɴᴅ ɢᴏʟᴅ ⏤ finnick odairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt