xxi. the 76th hunger games

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„Maybe we exist to bleed. Maybe we exist to burn."

Es kommt mir vor wie der längste Flug in das Kapitol, den wir je hinter uns bringen mussten. Bei jedem Propellerschlag der uns näher bringt, blitzen die Erinnerungen an unsere letzte Rettungsaktion auf. Ich sitze auf dem gleichen Platz wie auch damals, als wir Johanna, Peeta und Annie aus dem Kapitol befreit haben. Mit wippendem Bein beobachte ich den kleinen Bildschirm neben mir, der unsere Flugroute anzeigt. Gerade überwinden wir den Luftraum von Distrikt 3. Wie es wohl in der Heimat von Beete aussieht? Auch in Distrikt 3 haben die Bewohner angefangen zu rebellieren, so viel ist mir bewusst. Keines der winzigen Fenster im Hovercraft ermöglichen einen Blick auf das Gelände unter uns. Es gibt mir keine Chance herauszufinden, was hier passiert sein könnte. Nicht viel ist über die aktuelle Lage in Distrikt 3 bekannt. Nicht alles Nachrichten schaffen es nach Distrikt 13. Die letzte Nachricht die wir von einem der anderen Distrikte direkt erhielten ist schon länger her; sie war aus Distrikt 5.

Es war während eines Abendessens, einen Tag nachdem Peeta das letzte Mal bei Caesar Flickerman saß und aussah wie der wandelnde Tod. Ich saß still neben Finnick, als er sich zunächst über belanglose Dinge mit einem Mann aus Distrikt 4 unterhielt und die letzten Bissen seines farblosen Essens verspeiste. Erst als wir gemeinsam erneut mit einem warmen Tee am Tisch saßen, senkte der Mann seine Stimme und begann von Distrikt 5 zu berichten. Wie die Bewohner mitten in der Nacht los gingen. Geradewegs zu auf den Staudamm und die daran angeschlossenen Stromtürme, die das Kapitol rund um die Uhr mit Strom versorgen. Wie sie sich den unzähligen Friedenswächtern entgegenstellten und versuchten Kisten mit Sprechstoff an den Türmen zu platzieren. Keine Schutzkleidung, keine schusssicheren Westen, die sie hätten retten können; sie haben sich für die Rebellion erhoben und waren bereit ihr Leben zu geben.

"Und dann BUM!" Mit einer auffächernden Handbewegung verdeutlichte er uns, wie die Türme am Staudamm gesprengt wurden. "Alle Lichter im Kapitol müssen ausgegangen sein. Die ganze Stadt in Dunkelheit gehüllt."

Jetzt sind wir es, die in der Dunkelheit sitzen, denke ich. Mit der Unwissenheit im Kopf, was im Kapitol in den leeren Straßen auf uns warten könnte.

Finnick wirkt neben wir ungewöhnlich angespannt und still. Er hat mir bisher nicht erzählt, was er mit Boggs aufgeregt besprochen hat. Es gibt mir das Gefühl, als habe es mit mir zu tun. Als sei das der Grund, warum er verschwiegen auf den Boden starrt und es kaum wagt zu blinzeln.

Erst als ich beschließe seine Hand zu nehmen und einen sanften Kuss auf seinen Handrücken drücke, hebt sich sein Kopf leicht an und seine Schultern verlieren ihre Anspannung. Ein dezentes Lächeln beginnt sich in seinem Gesicht zu formen. "Tut mir leid, ich wirke bestimmt sehr abwesend."

"Mach dir keine Sorgen", beruhige ich ihn schnell. "Wir sind alle nervös."

"Es ist mehr als das, June. Umso näher wir dem Kapitol kommen, desto größer wird meine Angst, dass dir etwas passieren könnte. Ich könnte es mir nie verzeihen."

Ich sorge mich auch. Doch schnell winke ich ihm ab und lege meine Stirn sanft gegen seine. "Alles wird gut ausgehen. Wir dürfen nur nicht die Hoffnung verlieren."

Mit einem dumpfen Knall landet das Hovercraft in dem äußeren Bezirk des Kapitols, als Finnick einen Kuss auf meine Stirn drückt und ein leises "sicherlich" ausstößt.

Still schnallen wir uns ab, währenddessen sich die Laderampe langsam senkt und uns den ersten Blick frei gibt. Der aufwirbelnde Staub wird durch die schwarz gehüllten Soldaten durchbrochen, die uns ein Stopp symbolisieren, bis sie und den Weg nach draußen erlauben.
Unsere lauten, chaotischen Schritte schallen hinter uns im Hovercraft. Mein linker Fuß betritt den steinernen Boden des Kapitols. Ich spüre wie wackelig ich in ersten Moment noch bin, doch nach einem tiefen Atemzug wird mein Gang langsam fester, während sich meine Körperhaltung ihnen anpasst.
Draußen haben sich bereits die ersten Blicke zu dem gelandeten Hovercraft gewandt. Mein Blick schweift zunächst an ihnen vorbei. Hinter uns eröffnen sich die hohen Berge des Kapitols, die im Einklang mit der Kleidung der Soldaten grau in der bewölkten Sonne schimmern.  Langsam drehen mich meine Beine ganz automatisch auf der Stelle; entlang der Bergkette.  Aus der Entfernung wirken die Hochhäuser vor ihr noch intakt, doch es ist eine Täuschung. Kein Licht erleuchtet sie mehr; das Leben ist aus ihnen verschwunden. Das aufsteigende Hovercraft mit der Aufschrift K-7 spiegelt sich in den schwarzen Scheiben.
Eine halbe Drehung weiter blicke ich auf das hohe Gebäude, vor dem sich mittlerweile eine Gruppe gesammelt hat. Das Getuschel wird immer lauter, bis ich unsere Namen klar und deutlich verstehen kann. Die bis eben noch herrschende Hektik hat sich gelegt. Die Menschen um uns herum wirken wie eingefroren; als würde jeder noch so kleine Atemzug zu laut sein.
Um Finnick und mich kehrt Stille ein.

ɢʟɪᴛᴛᴇʀ ᴀɴᴅ ɢᴏʟᴅ ⏤ finnick odairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt