iv. filled with poison

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"The things of the night cannot be explained in the day. Because they do not then exist."

Es ist kurz nach Mitternacht, als ich mich in den hellgrauen Leinen erneut umdrehe und mir die Decke über den Kopf ziehe, um mich vor dem gelblich leuchtenden Licht zu schützen, dass an der Wand neben den Betten angebracht ist. Das gleichmäßige Rauschen der Wasserleitungen, die hinter den Wänden und Decken versteckt sind, wirkt ebenso unnatürlich wie die Helligkeit. Ich seufze, während ich mir wünsche, aufstehen zu könnten, um ein Fenster aufzureißen. Ich wünschte mir, die kalte Nachtluft würde mich umhüllen und das Mondlicht würde den Raum erhellen, während die Geräusche des Waldes vom Wind zu mir getragen werden. Stattdessen liege ich hier; tief unter der Erde, wo weder das Mond- noch das Sonnenlicht eine Chance hat vorzudringen. Alleine mit den Gedanken, die ich am Meisten versuche zu verdrängen.

"Nein." Erschreckt schlage ich die Augen auf, komme unter der Decke hervor und blicke zu Finnick, der in seinem Bett bis eben noch ruhig schlief, allerdings jetzt hektisch atmet und sich im Bett wild hin und her bewegt. "Mags, nein!"

Ohne zu Zögern springe ich auf und werfe mich auf seine weiche Matratze, während ich beginne mit den Fingern beruhigend über seine Arme zu streichen und seinen Namen flüstere. Es vergehen ein paar Minuten, in denen er weiter weinend nach seiner ehemaligen Mentorin ruft und der Schweiß in seinen Haarsträhnen hängen bleibt. Doch beharrlich streiche ich über seine Wange, bis er schließlich die Augen öffnet und aus seinem Kissen aufschreckt. Schwer atmend blickt Finnick mich mit einem unschuldigen Blick an, den ich nur selten bei ihm sehe und der mich daran erinnert, dass wir alle nur Kinder waren, als wir das erste Mal den Spielen ausgesetzt worden sind. Wir waren naive Kinder, die sich nichts mehr gewünscht haben, als eine Wahl zu haben. Kinder, die manchmal in uns wieder hervor kommen und sich vermutlich fragen, mit was sie dieses Schicksal verdient haben.

"Manchmal denke ich, dass sie noch da ist und dann erinnere ich mich daran, was passiert ist. Wie  sie sich für uns geopfert hat und es ebenso für Annie tat."

"Sie ist noch da." Fürsorglich lege ich meine Hände an Finnicks Wangen und stütze meine Stirn an seine. "Menschen leben in unseren Erinnerungen weiter und solange wir sie in unserem Herzen tragen, sind sie nie wirklich fort."

Wortlos zieht Finnick mich dankbar in eine Umarmung, bevor seine Lippen zu meinen wandern und wir gemeinsam zurück in das Bett fallen und ich höre, wie seine Atmung sich langsam beginnt zu normalisieren. Als wir uns kurz voneinander lösen, haucht er ein leises "Danke" entgegen, woraufhin ich ihn selbstverständlich ein Stück näher an mich heran ziehe.

Wir haben alle Albträume, denke ich und sie werden uns ein Leben lang begleiten.

Als ich am nächsten Morgen in den warmen Armen von Finnick langsam aufwache und sich augenblicklich ein Lächeln über mein Gesicht zieht, fällt mein Blick zu der blinkenden Uhr auf dem Tisch zwischen den Betten. Es ist zwar noch früh am Morgen, trotzdem entschließe ich mich dazu aufzustehen und für Finnick im Frühstücksraum etwas zu holen. Vorsichtig manövriere ich mich aus seinem beschützenden Griff hinaus, ohne ihn im besten Fall dabei zu wecken. Auf Zehenspitzen bewege ich mich zu meinen Klamotten und nachdem ich den monotonen Overall angezogen und meine Haare in einen Zopf gebunden habe, tippe ich leise aus unserer Wohneinheit.

Mit einer schnellen Bewegung schließe ich die Tür hinter mir, um Finnicks Ohren vor der Hektik, die in den Gängen bereits herrscht, zu schützen. Das Leben in Distrikt 13 ist immer in vollem Gange, dadurch, dass der Rhythmus, den die Sonne uns vorgibt hier nicht greifen kann. Während meine Schritte durch die Gänge hallen, betrachte ich die Menschen um mich herum etwas genauer, bis mir das bekannte Gesicht von Katniss plötzlich gegenüber steht.

"Guten Morgen", begrüße ich sie direkt, auch wenn sie zunächst perplex erscheint.

Sie erwidert meine Begrüßung und schenkt mir ein kleines Lächeln, ehe sie misstrauisch um blickt und erst weiter spricht, als keiner mehr in unserer Nähe ist.

"Ich werde einwilligen ihr Spotttölpel zu sein, June. Aber ich werde ein paar Bedingungen an Plutarch und Präsidentin Coin stellen. Unter anderem, dass Peeta, Johanna und Annie aus dem Kapitol befreit werden und Immunität erhalten", erklärt Katniss mit gedämpfter Stimme.

Zustimmend nicke ich und verschränke die Arme vor den Schultern. "Ich danke dir, dass du Johanna und Annie mit einbeziehst. Wenn sie dem zustimmen, werden Finnick und ich sicher dabei helfen sie zu befreien."

"Darauf habe ich gehofft. Ich-" Katniss Hand fährt durch ihre offenen, dunkelbraunen Haare, die in Wellen über ihre Schultern fallen. "-ich bin dankbar, dass du mich in dieser Position unterstützt und ich diese Last nicht alleine tragen muss. Danke, Juniper."

Lächeln winke ich direkt ab, ehe ich ihr antworte "Nicht dafür. Weder du, noch ich wollten je in einer solchen Situation sein und gerade deshalb ist es wichtig, dass wir uns die nötige Kraft geben." Ihre Lippen formen erneut ein lautloses Danke, als sie meine Hand drückt und ihren Weg zum Gespräch mit Präsident Coin und Plutarch Heavensbee fortsetzt.

Auf dem restlichen Weg, bis ich im Speisesaal angekommen bin, einen Tee aufgegossen und ein bisschen Essen zusammen gepackt habe, denke ich über die Präsidentin des 13. Distriktes nach. Ich bin mir nicht sicher, ob Präsidentin Coin die Anforderungen von Katniss annehmen wird. Auch wenn ich mein Bestes gebe ihr zu vertrauen, kann ich das Gefühl nich ablegen, dass man ihr mit einer gewissen Vorsicht gegenüber treten muss. Ihre kontrollierte und besonnene Art strahlt für mich genau das Gegenteil aus und es fällt mir schwer mit ihrer Empathielosigkeit umzugehen. Oder liegt es an mir, denke ich, bin ich vielleicht auch nur zu misstrauisch geworden?

Mit vollen Händen, in denen ich die Teetasse und den Teller balanciere, drücke ich mit einem Fuß die Schiebetür zu unserem Wohnraum auf, doch noch ehe ich sie vollständig aufgeschoben habe, wird sie mit einem großen Schwung von einer anderen Person geöffnet. Lächeln blickt Finnick mich mit verschlafenen Augen an, als sein Blick auf den Tee fällt, den er mir direkt abnimmt. Mit der freien Hand sperre ich erneut den Lärm der Gänge aus und folge Finnick zu dem eckigen Metalltisch, der am Fuß meines Bettes steht.

Kurz nachdem ich gegenüber von ihm Platz genommen haben, beginne ich ihn über die neusten Geschehnisse zu informieren. "Finnick", lenke ich seinen Blick von dem Teller auf mich. "Katniss handelt eine Vereinbarung aus mit Präsidentin Coin. Sie möchte die Siegern, die im Kapitol gefangen sind, befreien und ihnen Immunität zusprechen lassen. Sie hat Annie mit eingeschlossen. Wenn es gut läuft, werden wir Peeta, Johanna und Annie bald wieder bei uns haben."

Augenblicklich fällt Finnick das Stück Brot aus der Hand, in das er gerade noch rein beißen wollte. "Das-", er hält seine Hände ungläubig über den Mund. "Das wäre großartig." Hinter seiner Hand, die er nun langsam aus seinem Gesicht entfernt, breitet sich ein großes Lächeln aus. "Das ist großartig. Wir sollten ihnen in diesem Fall helfen sie zu befreien."

Grinsend beuge ich mich über dem Tisch und drücke einen Kuss auf seine Stirn. "Das habe ich Katniss bereits gesagt. Ich war mir sicher, dass du so antworten würdest." Ich lehne mich angespannt in den Metallstuhl zurück, als ich daran denke, dass Johanna bald in Sicherheit sein könnte.

Es ist eben in diesem Moment, als durch einen kleinen Lautsprecher auf dem Tisch die Stimme von Präsident Coin ertönt.

"Ich bitte alle Bewohner von Distrikt 13 sich zu einer Bekanntgebung in der großen Halle zu versammeln. Ich danke Ihnen."

Finnick und ich tauschen einen vielsagenden Blick aus, bevor er entschlossen sagt: "Ich glaube, dass sie es geschafft hat."

ɢʟɪᴛᴛᴇʀ ᴀɴᴅ ɢᴏʟᴅ ⏤ finnick odairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt