xiv. the lonely victor

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"I no longer make my parents proud."

Meine Schritte werden immer schwerer. Sylvan zieht mich mit sich, damit wir dem hellen Ausgang endlich näher kommen. Es sind nur noch wenige Schritte nach draußen, als ich auf einmal nach unten gerissen werden. Ich blicke neben mich, um die Ursache heraus zu finden und bemerke, dass Sylvan über gestolpert. "Hoch mit dir!", murmle ich, damit die Kreaturen hinter uns nicht noch näher kommen. Gerade steht er wieder auf, als er wieder auf den grauen Höhlenboden gerissen wird. Doch dieses Mal nicht, weil er gestolpert ist, sondern, weil uns die Mutationen unerwartet bereits eingeholt haben. Anscheinend haben sie sich an uns ran geschlichen, als sie sich uns genähert haben. Das fehlt uns auch noch; dass sie schlau sind und nicht einfach nur wahllos töten. Nur durch das dezent einströmende Licht erkenne ich überhaupt, dass eine von ihnen sich in Sylvans Bein verbissen hat. Er tritt mit dem anderen Bein dem wolfartigen Tier ins Gesicht. Ich lasse Sylvans Schulter schnell los, da ich ihn bis eben noch versucht habe wieder nach oben zu ziehen und greife meine Axt. Kurzerhand schwinge ich sie schräg direkt auf die Mutation zu. Ein schmerzendes Heulen klingt dem Tier hinterher, während letztendlich ganz von Sylvan ablässt.

Sofort greife ich wieder nach ihm, nachdem er es geschafft hat aufzustehen. Endlich erreichen wir die Helligkeit und augenblicklich bemerke ich die Kälte, die der Wind mit sich trägt. Das Licht, dass der Schnee reflektiert sticht mir in den Augen. Wir waren zulange in den dunklen Gängen und düsteren Höhlen. Nach ein paar Mal blinzeln drehe ich mich zu dem Gang um, aus dem wir eben kamen. Die Mutationen müssten uns schon längst eingeholt haben.

Ich erkenne sofort das Maul, das absurder Weise mit dem Blut meines Distriktpartners verschmiert ist. Doch anstatt auch ins Licht zu treten heult die Mutation einmal laut und als sie eine Pfote in die Sonne setzt bemerke ich, warum sie uns nicht in das Tageslicht gefolgt sind. Es scheint, als könnten sie es nicht. Die Pfote des Wolfs verbrennt sofort, weshalb sie sie direkt wieder zurück zieht.

Erleichtert lasse ich mich neben Sylvan fallen "Sie können nicht ins Licht. Wir sind in Sicherheit; wir sind sicher", wiederhole ich mich erschöpft und begutachte meine Verletzung an der Schulter. Geschockt stelle ich fest, wie tief der Schnitt von Aces Schwert tatsächlich war. Es scheint mir wie ein Wunder, dass sie nicht mehr so stark blutet, geschweige denn, dass ich meinen Arm noch vollständig bewegen kann. Mein gesamter Körper ist überzogen mit kleineren Verletzungen, aber alles sieht nicht so schlimm aus, oder kommt mir zumindest nicht so schlimm vor, wie die, der Person die mir gegenüber sitzt. "Aber wie lange sind wir das?", antwortet er mir besorgt. "Ich schaffe das doch sowieso nicht mehr lange."

"Sag sowas nicht. Wenn wir eine Creme oder ähnliches bekommen, können wir dich anständig versorgen", widerspreche ich Sylvan. Doch hat er nicht eigentlich recht? Was würden wir tun, nachdem es ihm besser geht? President Snow würde weitere Mutationen schicken, bis einer von uns gezwungenermaßen stirbt.
Auch Sylvans Blick sagt mir was anderes. Er rückt ein Stück mehr in meine Richtung, bevor er sich auf den hohen Schneehaufen neben mich fallen lässt. "June-", doch er wird unterbrochen. Die helle Sonne über uns verschwindet, der Himmel verdunkelt sich und ich schließe die Augen, als ich die bekannte Hymne höre, die mir in meinem verbleibenden Leben für immer durch die Ohren klingen wird.

Zuerst erscheint das glorreich daher blickende Gesicht von Fleur am sternenbedeckten Himmel; doch ich habe nur ihren Gesichtsausdruck vor mir. Als das Licht aus ihren Augen glitt und danach das Leben aus ihrem Körper. Zum ersten Mal seitdem denke ich auch an die Schreie ihrer Familie, die vielleicht in Distrikt 1 auf sie gewartet haben. Die von Anfang an an diesen glorreichen Gesichtsausdruck geglaubt haben, doch ihn nun nie wieder sehen werden. Ebenso mit Ace. Wer hat auf ihn zuhause gewartet? Eine Familie? Eine Freundin, deren Herz mit meiner Axt zerrissen wurde? Als das Gesicht von Gloria danach in der Dunkelheit verschwindet, bleibt nur noch Mason übrig, von denen, die auf unsere Karten gingen.

"Worte können nicht beschreiben, wie ich mich fühle, das Gesicht dort oben zu sehen", spricht Sylvan meine Gedanken aus. "Allein der Gedanke, dass ich einer Mutter ihren Sohn genommen habe-" "Ich weiß", unterbreche ich ihn, ich kann mir nicht noch einmal das anhören, was ich eben selbst schmerzlich durchdacht habe.

Es erscheinen noch weitere Gesichter im Himmel, was mir leider immer mehr klar werden lässt, dass wir hier bald raus kommen werden. Als letztes erkenne ich Sierras Gesicht am Himmel. Sie war auch kurz davor die Siegerin zu sein. Wenn ich richtig mitgezählt habe, müsste nur noch ein anderes Tribut irgendwo auf den Bergen sein. Unmittelbar bevor ich meinen Gedanken aussprechen kann, ertönt eine Stimme durch die Arena. "Mitbürger von Panem: Wir präsentieren die Finalisten der 69. Hungerspiele!"

Nein, das kann nicht sein. Ich schaue direkt zu Sylvan, doch im Gegensatz zu meinem geschockten und verzweifelten Blick, wirkt er entspannt. "Was machen wir jetzt?", versuche ich mit stotternder Stimme seinen Gesichtsausdruck zu ergründen. Doch er lacht mich nur an. "Du wirst nach Hause gehen." Das kann nicht sein Ernst sein. "Wir gehen zusammen nach Hause!", bestreite ich seine Aussage noch, auch wenn mir klar ist, dass dies unmöglich ist. Ich lasse mich neben ihn fallen. Ich werde nicht in der Lage sein ihn umzubringen. Ganz zu schweigen davon, dass ich damit nicht leben könnte.

"Du wirst für uns beide nach Hause gehen", entgegnet er mir, als er nach seinem Schwert greift. Ich weiß nicht, wie ich die Situation behandeln soll, trotz der Gewissheit, dass es nur einen Ausweg geben wird. "Du wirst mich rächen und alle anderen die in dieser Arena bleiben. Egal welchen Kampf du kämpfen musst, ich werde dein Schatten sein; ich werde da sein um dir aufzuhelfen, wenn du fällst. Das sind die Gedanken, die du von mir in in Erinnerung halten musst, denn dann werde ich nie wirklich tot sein." Als er dies ausspricht bemerke ich erst, dass meine Tränen in den Schnee fallen und kleine Löcher hinterlassen. Ich schluchze, ohne zu wissen, was ich ihm darauf noch antworten soll. Gibt es überhaupt was, was ich ihm noch sagen kann?

"Ich werde alle dafür zahlen lassen, die mit verantwortlich sind, dass du nicht mit zu Hause aus dem Zug steigen kannst." Noch bevor ich weiter sprechen kann, höre ich ein schmerzerfülltes Stöhnen neben mir. "Nein!", schreie ich. Gerade als ich meinen Blick von ihm abwandte, hat er sein Schwert erhoben und mit seiner letzten Kraft, es sich selbst durch die blutenden Klamotten gestoßen.

Der Schneeberg unter ihm verfärbt sich rot. "Ich glaube an dich, June", flüstert Sylvan, während seine Stimme immer leiser wird. Ich knie mittlerweile neben ihm. Meine Tränen verschmelzen mit dem Schnee und der Schnee mit seinem Blut.

"Weißt du noch als wir in den Zug gestiegen sind, Sylvan. Wir haben über die Freiheit gesprochen und über den Wald. Denk an ihn.

Denk an alle Tannen, die im Winter beinahe den Himmel verdecken und an die Farben der Eicheln und Buchen im Herbst.

Denk an den Regen, der den Duft des Waldes durch das gesamte Distrikt fegt und an deine Eltern", murmle  ich ihm mit verweinter Stimme zu. Auf seinem Gesicht zeichnet sich ein letztes Lächeln ab.

"Danke", entfährt es ihm noch, als schließlich auch sein letzter Atemzug durch die Kälte davon getragen wird und der Schnee auf seinen dunklen Haaren landen.

"Ladies und Gentlemen, die Siegerin der 69. Hungerspiele! Juniper Sylva", hallt es durch die Arena, doch ich bin die Einzige, die es hört.

ɢʟɪᴛᴛᴇʀ ᴀɴᴅ ɢᴏʟᴅ ⏤ finnick odairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt