xi. afterglow

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"Human beings are made of water - we were not designed to hold ourselves together. Rather run freely. Like oceans. Like rivers."

In ruhigen Wellen hinterlässt das Wasser des Sees unscheinbare Spuren im Sand. Regelmäßig tragen sie die Blätter der Bäume, die durch den Hovercraft aufgewirbelt wurden, zurück auf den festen Boden. Ab und zu schwemmt es kleine Muscheln an die Füße von Katniss und Peeta. Finnicks Bewegungen im Wasser sind so grazil, dass auch sie die Wellen nicht aus der Ruhe bringen. Wortlos und höchst konzentriert steht er mit erhobenem Speer bis zu den Knien im Wasser und beobachtet aufmerksam einen unwissenden Fisch. Es ist sein Element, denke ich. Das was Finnick von klein auf gelernt hat und von dem er dachte, dass es sein Lebensinhalt werden würde.

Ich komme mir fast schon überflüssig vor zwischen den Beiden. Wie ich ebenfalls tief im Wasser stehe und dabei scheitere, zwischen den Wogen was anderes zu erkennen, als die glitzernde Sonne, die sich auf der Oberfläche spiegelt und sie zum funkeln bringt. Fasziniert von dem Anblick merke ich, wie ich mich geistig ausklinke. Wie meine Gedanken mich fort tragen von meinem verwurzelten Stand im See; über die hohen Bäume der Arena, die Berge des Kapitols und raus in die Distrikte von Panem, bis Distrikt 7 mir erscheint. Doch es ist weder der Marktplatz, noch das Dorf der Sieger. Meine Fantasie erkennt im Wellenschlag nur noch das Gesicht einer Person, die einen anderen Teil des Distriktes bewohnt. Ein Gesicht, dass mir nicht ferner sein könnte, doch in den letzten Stunden näher schien, als ich es in den vergangenen sechs Jahren für möglich hielt. Vieles erscheint mir wieder seitdem wir die Arena betreten haben. So wie das Wasser die Blätter an Land spült, so kommen in diese Umgebung Erinnerungen zurück, die sich tief in meinem Unterbewusstsein viele Jahre versteckt haben.

"Starr mich nicht so an. Oder hast du einen Geist gesehen?", lacht die tiefe Stimme von Sylvan mich verzückt an. Seine Gesichtszüge werden immer deutlicher, bis ich jede kleinste Sommersprosse und dünnste Haarsträhne erkennen kann. "Ich bin stolz auf dich, June. Du kämpfst für das Richtige, vergesse das nicht. Du rächst meinen Tod in jedem Moment, in dem du dafür sorgst, dass dieses System fällt."

Als Finnicks Dreizack blitzschnell durch die Wasseroberfläche schießt, verschwimmen Sylvans Gesichtszüge langsam. "Ich bin bei dir, June", höre ich meinen ehemaligen Verbündeten noch sagen, während sein Grinsen vollständig verschwindet und ich meine Augen schließe. Doch ich spüre sofort, dass ich es nicht schaffe die Tränen zurück zuhalten. Instinktiv hebe ich meine Hände vor meinen Mund und wische mir über die nassen Wangen.

"Was ist los, meine Liebste?" Mit den aufgespießten Fischen auf seinem Dreizack stürmt Finnick auf mich zu, nachdem er meinen leisen Schluchzer bemerkt hat. Fürsorglich legt er seine Hand auf meinen Rücken und streicht vorsichtig entlang meiner Schultern.

"Ich musste an jemanden denken", gestehe ich ihm, ohne Sylvans Namen auszusprechen. Aber Finnick scheint es sofort zu verstehen, als er mich wortlos in den Arm nimmt. "Danke", flüstere ich, während meine Wange sich an seine Brust drückt.

Nachdem ich mich wieder gefasst habe, beschließen wir zu Katniss und Peeta zurück zu gehen, um die gefangenen Fische zu essen. Es ist unsere erste feste Mahlzeit seit wir das Kapitol verlassen haben.

Eine Weile sitzen wir stillschweigend nebeneinander und sind größtenteils mit dem Essen beschäftigt. Allerdings ist mir auch nicht nach Reden zu Mute. Meine Gedanken kreisen weiterhin um Sylvan und die vergangenen Jahre.

Doch ein lauter Knall, der offensichtlich nicht von der Kanone stammt, lässt uns von unseren Plätzen aufschrecken. "Das ist neu", stellt Peeta mit fokussiertem Blick auf den Dschungel gegenüber von uns fest.

Angespannt schwenke ich meinen Blick zwischen den Baumreihen hin und her, bis wir aus einem tiefen Teil des Waldes das sich anbahnende Wasser sehen können. Die Wellen schlagen über die Baumkronen hinaus und reißen mit ihrer gesamten Kraft alles mit, was sich in ihrem Weg befindet, bis sie die letzten Baumreihen vor den Strand erreicht haben und ich reflexartig einen Schritt zurück trete. Die gigantische Welle reißt in einer unfassbaren Geschwindigkeit alle Bäume um, als sie auf den im Vergleich kleinen See trifft. Der Lärm des Wassers und der brechenden Bäume ist ohrenbetäubend und vermischt sich mit dem unverkennbaren Knallen des nächsten toten Tributes, das es offensichtlich nicht geschafft hat, sich vor der Welle zu retten.

Doch noch mehr verschlägt es uns die Sprache, als das Wasser an einer unsichtbaren Wand abprallt und sich über das Füllhorn ergießt, ohne seinen Weg weiter vorzusetzen. Die letzten Ausläufer der schäumenden Welle befeuchten den Sand zu unseren Füße, während ich Finnick mit ungläubigen Blick anschaue.

Der Nebel, erinnere ich mich zurück. Er wurde von einem ähnlichen Kraftfeld von uns abgeschnitten.

"Jemand ist hier", reißt Katniss meine Aufmerksamkeit auf sich. Sofort greife ich nach der Axt zu meinen Füßen, als ich einen Schritt näher zu den anderen Personen gehe, ehe ich mit verkniffenen Augen erkenne um wen es sich handelt.

"Beetee!", schreie ich sofort den Neuankömmlingen entgegen, während Beetee der aufgeregten Wiress noch Handzeichen gibt, dass sie aus dem Wald kommen soll.

"Juniper!" In Beetees Hand erkenne ich eine Rolle Kupferdraht, aber schnell fällt mein Blick auf seine nass wirkenden Haare und den blutrot gefärbten Neoprenanzug. Die Gesichter von Wiress und Beetee sind dunkel beschmutzt, das Blut hat sich in jede Falte ihrer Mimik gezogen und tropft langsam von ihrem Kinn.

"Was ist passiert?", frage ich, als ich bei den beiden Siegern ankomme. Hinter mir höre ich bereits wie Finnick mir folgt.

"Wir waren tief im Dschungel," Ohne zu zögern lässt Beetee sich mit Wiress in der anderen Hand in den See fallen und spült das Blut von seinem Gesicht. "Da begann es zu regnen. Im ersten Moment dachten wir es sei Wasser, doch es war Blut. Heißer Blutregen!"

Als er halbwegs sauber das reinigende Wasser des Sees verlässt und Katniss und Peeta ebenfalls zu uns gestoßen sind, blickt Beetee mich mit einem traurigen Blick an.

Unsicher, was es zu bedeuten hat, ziehe ich meine Augenbrauen nach oben. "Was?", erkundige ich mich nervös.

"Blight. Er-", Beetees Stimmlage verrät mir bereits was er mir gerade versucht bei zubringen. "Er ist gegen ein Kraftfeld gekommen. Er war sofort tot. Es tut mir leid, Juniper."

Die Welt um mich herum verschwindet ein weiteres Mal für heute. Finnicks Stimme mischt sich mit dem ständigen Tick Tock, dass Wiress verwirrt von sich gibt. Katniss und Peetas aufgeregtes Gespräch verblasst im Hintergrund, während mein Kopf in meinen Nacken fällt und ich in den hellgelben Himmel blicke. Wie in Zeitlupe atme ich die gesamte Luft aus, die sich in meinen Lungen befindet. Der arme Blight.

Der arme Blight. Wiederholt sich die raue Stimme von Sylvan in meinen Ohren.

Er ist bei uns. Flüstert mir Olives liebliche Stimme zu.

Mein Blick fällt auf den mitleidsvollen Ausdruck in Beetees Gesicht, als ich meine Verbündeten stehen lasse und auf einen Pfad des Füllhorns trete.

In der Mitte bleibe ich stehen und erhebe meine Stimme, und beginne zu sprechen. So laut, damit es jeder Einwohner des Kapitols verstehen kann; damit es bis zu jedem Mienenarbeiter in Distrikt 12 durchdringt.

Damit Präsident Snow es in seinen tiefsten Träumen hören wird und die Drohung in meinen Worten spüren kann:

"Ich sah den Wald im Sonnenglanz,

Vom Abendrot beleuchtet,

Belebt von düstrer Nebel Tanz,

Vom Morgentau befeuchtet:

Und lieben mußt' ich ihn noch mehr,

Ihn meiden könnt' ich nimmer.

Schön ist er, düsterschön und hehr,

Und Heimat bleibt er immer.

Ich sah mit hellen Augen ihn,

Und auch mit tränenvollen;

Bald sänftigt' er mein Grollen.

In Sommersglut, in Winterfrost, –

Konnt' er mir mehr nicht geben, –

So gab er meinem Herzen Trost;Und drum:


Mein Wald, mein Leben!"*













*Emerenz Meier(1874-1928), deutsche Dichterin und Erzählerin

ɢʟɪᴛᴛᴇʀ ᴀɴᴅ ɢᴏʟᴅ ⏤ finnick odairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt