x. the hanging tree

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"He's not a villain. He's just a boy."

Ein lautes Lachen erklingt, als ich mich mit den Händen am Metalltisch abstütze und ein Bein anhebe um neben Finnick auf die Bank zu gleiten. Kaum sitze ich, greift er nach meiner Hand und wirft mir ein kurzes Lächeln zu. Doch schnell dreht er sich wieder um, schüttelt daraufhin aufgeregt mit dem Kopf und erwidert Cove, der gerade dabei ist mit meinem Bruder Geschichten auszutauschen: "Nein, nein, nein; das stimmt nicht", ein Lachen durchzieht seine Stimme. "Du bist derjenige, dem das erste Mal auf See so übel war, dass er eine ganze Woche gebraucht hat, bis er das Meer nur erneut riechen konnte!" Schuldig reißt Cove die Hände in die Luft, als die drei gemeinsam erneut beginnen zu schmunzeln.

Es ist bereits Abend geworden, auch wenn ich das nur an der simulierten Dunkelheit noch zu unterscheiden weiß. Bereits den ganzen Tag sitzen in dieser Konstellation im Speisesaal; es ist kaum zu glauben, dass heute noch niemand nach Finnicks oder meiner Anwesenheit gefragt hat.

Durch die künstlichen Lichtpaneele in den Tischmitten wirken die Gesichter von Ash und Cove, die uns gegenüber sitzen, verschoben und gelblich betont. Ruhig bleibe ich neben dem dreier Gespann sitzen und stochere in dem Essen herum, dass ich noch nicht geschafft habe zu identifizieren. Es entspannt mich, nicht der Mittelpunkt einer Unterhaltung zu sein.

Ebenso gibt es mir ein gutes Gefühl zu sehen, wie gut Finnick und Ash sich verstehen. Noch dazu ist die Begeisterung von Ash über die neue Freundschaft mit Cove nicht zu übersehen. In den letzten Stunden hat sein Mund nur still gestanden, wenn Cove eine seiner ausgefallenen Geschichten aus seinem ungewöhnlichen Leben in Distrikt 4 erzählt hat. Seine Augen haben vor Staunen geglänzt, während Cove davon sprach, wie er einmal tief in der Nacht, nachdem er zu viel von seinem selbstgebrauten Alkohol getrunken habe, durch ein helles Singen aufwachte und auf einem Felsvorsprung kurz vor seiner Hütte, mit Sicherheit, eine Meerjungfrau sitzen sah.

Ebenso begeistert von den Unterhaltungen ist Finnick, der fasziniert in Erinnerungen schwelgt. Cove wiederum will alles über Distrikt 7 erfahren. Über unsere Arbeit und die Fabriken, über unsere Umgebung und über die Mädchen. Auch wenn er stets erwähnt, dass er es sich nicht vorstellen kann, sich an jemanden zu binden, so ändert es nichts an seiner Interesse. "Ich bin wie die See und somit gehöre ich niemandem", sind seine Worte, die bald wie ein altes Sprichwort klingen.

Kurz nachdem Finnick durstig einen großen Schluck aus seinem Wasserglas geleert hat, dreht er sich schlussendlich von Cove und Ash weg und widmet seine grünen Augen mir. "Was hat Katniss gesagt, was haben sie gemacht?"

"Sie waren erneut in Distrikt 12 um ein Propagandavideo zu drehen", berichte ich von dem Gespräch, dass ich eben mit ihr geführt habe, nachdem sie zusammen mit Gale in den Speisesaal gekommen ist. "Katniss hat wohl ein Lied gesungen aus der ersten Rebellion. Es handelt von einem Mann, der es für seine Liebste sang, um sie vor dem Regime zu warnen und sie aufzufordern zu fliehen, selbst wenn dies nur möglich ist, indem sie sich das Leben nimmt.

Sie werden versuchen es später im Kapitol zu senden, während Caesars Interview mit Peeta in der Hoffnung, dass er es sehen kann. Beetee sei wohl damit beschäftigt das System zu knacken."

Nickend schiebt Finnick seine Unterlippe etwas nach vorne und kneift überlegend die Augen zusammen, ehe er ein entschlossen nickt. "Das klingt soweit gut. Ich hoffe allerdings, dass ihnen bewusst ist, das wir Johanna, Annie, Peeta und Enobaria so schnell wie möglich befreien müssen, wenn das Video bis ins Kapitol durchdringen sollte. Sie setzen sie damit nur noch mehr Risiko aus."

"Das hoffe ich. Ich möchte nicht länger mit dem Gedanken leben, dass wir ihnen nicht helfen können", erwidere ich Finnick.

"Ich hoffe das ebenso", klingt sich Ash in unsere Konversation ein, als ich bemerke, wie für einen Augenblick das Funkeln aus seinen Augen weicht und sich ein dunkler Schleier über sie legt. "Ich vermisse Johanna. Ich vermisse ihre Art und ihr schräges Lächeln." Über den Tisch strecke ich fürsorglich sofort meine Hand zu meinem Bruder aus, der sie dankend greift und mit der anderen Hand seinen Kopf stützt. Johanna ist nunmal auch ein Teil seines Lebens geworden und so schmerzhaft es auch ist, so fühlt das Vermissen einer geliebten Person sich eben an, als würde ein Teil unserer Selbst fehlen.

ɢʟɪᴛᴛᴇʀ ᴀɴᴅ ɢᴏʟᴅ ⏤ finnick odairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt