3

30 4 0
                                    

Mia

"Holt mich hier raus!", schreie ich nun schon etwa das hundertste Mal, doch wie immer verhallen meine Schreie ungehört in dem weißem Nichts. Auch meine Freunde haben sich nicht mehr blicken lassen. Ist das nun die Hölle? Habe ich es geschafft und bin endlich tot? Ich dachte immer, dass wenn man die Augen für immer schließt, dass man erlöst ist und keine Schmerzen mehr fühlt. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist nervenaufreibend, angst einflößend und schmerzhaft. Meine Lieder werden langsam schwer, doch ich kann mich noch immer nicht bewegen. Könnte ich im Stehen einschlafen? Ich würde nicht umfallen da ich nicht bewegen kann, also von diesem Standpunkt her würde es funktionieren. Vorsichtig schließe ich meine Augen und verlagere mein Gewicht nach vorne. Und tatsächlich: ich bleibe stehen. Es fühlt sich so an, als würde ich mich auf einer schrägen Platte liegen. Bevor ich einschlafen kann, höre ich einen lauten Knall. Sofort bin ich wieder hellwach und sehe, wie die Decke des unendlich hohen Saals aufbricht und herabbröckelt. Jedoch bevor die Bocken den Boden, oder auch mich berühren, verschwinden sie. Mein Blick huscht zu dem Loch und ich kann ein Bruchstück des blauen Himmels erkennen. "Hallo!", schreie ich hinauf. Doch statt einer Antwort ziehen sich plötzlich schwarze Risse quer über die gesamte Decke. Ich quieke auf vor Freude, denn jetzt habe ich eine Möglichkeit zu fliehen. Bevor ich mir überlegen kann, wie ich mich aus meiner Starre befreien kann, explodiert alles um mich herum. Tonnenschwere Steine fallen von der Decke herab und auch die Wände geben der unsichtbaren Kraft nach! Schützend halte ich meine Arme über den Kopf und kneife meine Augen zusammen. Nur nebenbei bemerke ich, dass ich wieder Kontrolle über meinen Körper habe. Die Sache, die mir vor allem auffällt ist, dass alle Giganten, ohne Ausnahme verschwinden. Als ich meine Arme wieder sinken lasse und keuchend meine Augen öffne, stehe ich wieder im Wald. Um mich herum zwitschern Vögel und die Sonne strahlt, als wäre nie etwas geschehen.

Ich stolpere über den Waldboden und schaue hektisch um mich. Wie kann das alles passieren? Wann hört dieser Alptraum endlich auf? Wann kann ich einfach in Ruhe tot sein? Was muss ich machen, um mein Ziel zu erreichen? Muss ich überhaupt etwas machen oder ist das hier endgültig, die Hölle? Oder soll das etwa der Himmel sein? Wenn, dann fühlt es sich definitiv nicht so an. Und wie viel Zeit ist seit meiner Landung hier im Wald vergangen? Warum wird es nicht dunkel? Mein Kopf dröhnt und noch immer schmerzen all meine Glieder. Auf diese und noch mehr Fragen finde ich einfach keine Erklärung. Es ergibt einfach keinen Sinn! Ich fange an zu rennen, ohne eine bestimmte Richtung einzuschlagen. Meine Haare flattern und mein Herz schlägt sofort schneller. Immer wenn sich mir Wurzeln oder Äste in den Weg legen, springe ich darüber hinweg. Plötzlich breche ich aus dem Unterholz und stürme auf eine helle Lichtung. Überall blühen Blumen und durch die Luft schwirren Bienen und kleine Vögel. Der Himmel ist in eine wunderschöne blaue Farbe getaucht und die Wolken hängen am Himmel wie Wattebälle. Auch die Blumen haben einen unglaublichen Geruch und ich kann zwei Pferde hören, wie sie glücklich wiehern. Vollkommen überwältigt bleibe ich stehen und drehe mich im Kreis. Ein kleiner Trampelpfad führt auf einem kleinen Hügel, auf dem ein kleines, liebevoll gestrichen und gepflegtes Haus. Es passt perfekt in das Bild dieser so perfekten Lichtung. Plötzlich fängt alles an zu verschwimmen. Als würde ich vor einem Gemälde stehen und jemand fährt mit einem nassen Schwamm darüber, sodass alle Farben ineinander überlaufen. Jedes Ding hatte zuvor klare Linien, doch jetzt ist es nur noch eine bunte Masse, die mich zu überrollen droht. Ich schreie auf und kann mich nicht mehr bewegen. Das letzte was ich bemerke ist, wie mein Kopf auf das Gras aufschlägt.

Ich schlage meine Augen auf. Stille. Keine Tiergeräusche, Wind oder das Plätschern eines Baches. Nur mein eigener Atem und mein schnell schlagendes Herz. Ich liege in einem erstaunlich bequemen Bett und als ich mich aufrichte, blicke ich durch ein Fenster auf eine vertraute Landschaft. Bevor ich nur einen klaren Gedanken fassen kann, schwingt die Tür auf und eine Frau kommt herein. Eher eine Jugendliche als eine Erwachsene, doch der Schein trügt, das weiß ich. Denn Thea ist Jahrzehnte älter als man es von ihrem Aussehen glauben mag. Ihre dunkelblonden Haare schmiegen sich um ihr Gesicht und ihre klaren, kalten Augen mustern mich. Auch wenn ihre Augen mit Kälte gefüllt sind, so ist das Lächeln umso freundlicher. Aber ich kann sie einfach nur anstarren, denn dass Thea hier ist, ist vollkommen unmöglich. „Deine Fragen werde ich später beantworten. Jetzt musst du dich zuerst ausruhen. Und wenn du ausgeschlafen bist, können wir über alles reden." Als Antwort nicke ich, denn ich bin zu überrascht um auch nur einen Ton von mir zu geben. Bevor ich blinzeln kann, will sie wieder den Raum verlassen. Gerade noch kann ich ihr eine Frage hinterher schreien. „Wo bin ich und warum bist du hier?" Sie bleibt stehen, dreht sich um und lehnt sich an den Türrahmen. „Na bei mir zu Hause.", lächelt sie. „Und das ich in meinem Haus bin, sollte wohl nicht verwunderlich sein, oder?", fügt sie hinzu und schließt die Tür. „Warte!", rufe ich, doch die Tür bleibt geschlossen. Vorsichtig schwinge ich ein Bein über die Bettkante. Ich zucke zusammen, denn der Schmerz sitzt immer noch tief in meinen Gliedern. Gerade als ich aufstehen will, falle ich zurück und schließe meine Augen. Ich kann einfach nicht anders. Denn mein ganzer Körper schreit nach Schlaf da er ausgelaugt und müde ist. Thea hat Recht. Sie kann mir die Fragen später auch noch beantworten. Also lasse ich es zu und hinter meinen Liedern fangen kleine Männchen an, mir meine Traumwelt zu zeichnen.

Keuchend wache ich auf. Mir ist zu warm und sofort schlage ich meine Bettdecke zurück und springe aus dem Bett. Wie von selbst gleitet das Fenster auf und ich atme tief ein. Kurz verschwimmt der Raum vor mir, jedoch nur weil mein Kreislauf mit meinem schnellen Aufstehen nicht mitgekommen ist. Meine Finger krallen sich an den Fensterrahmen, lassen ihn in der nächsten Sekunde aber wieder los. Ich versuche meine Atmung zu beruhigen und setze mich auf die Bettkante. Plötzlich schwingt die Tür auf und im Türrahmen steht Leon. Ich bin so überrascht, dass ich aufkreische. Er schließt die Tür und ich beobachte ihn, wie er näher kommt. Ihm scheint es gut zu gehen, doch irgendetwas an ihm ist anders. Was es ist, kann ich nicht sagen. Es verlangt all meine Konzentration, nicht sofort auf zu springen und ihn zu küssen. Aber ich will zuerst wissen, was an ihm so verändert ist. „Warum bist du hier? Ich meine wie bist du hergekommen?", frage ich langsam und kann mir selbst nicht erklären, warum meine Lippen noch nicht auf seinen liegen. „Ist das denn wichtig?", murmelt er mit einer rauen Stimme. Mit schnellen Schritten durchtrennt er die letzten paar Meter und hebt mich hoch. Ohne noch weiter zu warten, drückt er seine Lippen gegen meine. Das erste was mir auffällt ist, dass die Bilder verschwunden sind. Ich sehe nicht mehr Leon, der in einer Blutlache mit aufgeschlitzter Kehle liegen, sondern kann nur seine Haut auf meiner spüren. Meine Beine schlingen sich um seine Hüfte und seine Hand drückt sanft gegen meinen Hinterkopf und auch sein Kuss wird fordernder.

FairytaleWhere stories live. Discover now