13. Angetrunken

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Leon

Mia liegt schlafend auf dem Sofa und Ly liegt auf einer Matratze irgendwo weiter hinten. Die zwei vertragen sich immer noch nicht. Finn sitzt draußen vor einem Lagerfeuer. Langsam schleiche ich zur Tür. Zuvor bleibe ich bei Mia stehen. Ihr Arm ist unter den Kopf geklemmt und der andere hält die Decke. Vorsichtig streiche ich ihr die Haare, die ihr ins Gesicht gefallen sind, weg. Sie brummt und dreht sich um. Sogar wenn sie schläft kann ich sie nicht berühren, ohne dass sie diese Flashbacks hat. Ich seufze und drücke die Tür auf. Und tatsächlich: wenige Meter von mir entfernt sitzt Finn und versucht ein Feuer in Gang zu bringen. "Hey.", brumme ich. Er nickt mir zu und wendet sich dann wieder dem Feuer zu. Ich setzte mich vor den kleinen Steinkreis, in dem schon die ersten Flammen lodern und lehne mich an einem Baumstamm. Dann blicke ich ins Tal. Der dunkelblaue Himmel hängt über den schwarzen Bäumen. Jetzt lässt sich Finn neben mir fallen. Das Feuer hat eine beachtliche Größe angenommen und wirft Schatten auf Finns Gesicht. Auch im Radius von zwei Meter lässt es alles in einem sanften Orangeton leuchten. Da zieht Finn eine Flasche aus einer großen Tasche, die neben dem Baumstamm liegt. Es ist Whiskey. "Woher hast du die?", frage ich verdutzt. "Was glaubst du liegt unter den losen Planken in der Hütte?" Mit diesen Worten hält er mir die Flasche hin. "Danke, aber ich trinke nicht.", winke ich ab. "Dein Ernst? Wir sind gerade aus einer Bergstadt entkommen, haben es über diesen Berg zu dieser Hütte geschafft und sind zumindest für heute in Sicherheit." Ich mustere ihn. Dann nicke ich. "Ich wusste doch, dass ich mich auf dich verlassen kann.", gratuliert er mir und überreicht mir die Flasche.

Mia

Durch ein Raunen werde ich wach. Als ich die Augen aufmache, sehe ich Leons Gesicht vor mir. Sofort bin ich hellwach und weiche bis ans Ende der Couch zurück. Ich schaffe es immer noch nicht, die Erinnerungen zu verdrängen. "Wie spät ist es?", murmle ich, als ich merke, dass es draußen noch dunkel ist. "Keine Ahnung.", nuschelt Leon. "Warum hast du mich geweckt?", frage ich skeptisch. Er steht auf und kommt auf mich zu. Dann beugt er sich zu mir herunter. Sofort dringt ein beißender Geruch in meine Nase. Alkohol. Sein Gesicht ist schon sehr nahe an meinem. Langsam drücke ich ihn weg. Er schielt mich an. "Hast du getrunken?", frage ich. "Nein!", sagt er. "Leon.", sage ich streng. "Vielleicht ein bisschen.", gibt er kleinlaut zu. "Du solltest ins Bett gehen.", rate ich ihm. "Das will ich aber nicht! Ich will bei dir bleiben.", antwortet er so trotzig wie ein kleines Kind. "Aber du kannst nicht bei mir schlafen." "Warum nicht?" Als ich darauf nicht antworte lässt er sich an das Fußende fallen. "Ich weiß warum. Du willst nicht, dass ich bei dir schlafe." Ich schlucke. "Stimmt doch, oder?", sagt er etwas lauter. "Shhh.", sage ich und hebe die Hände. "Hör zu, du bist betrunken. Wie wäre es wenn wir morgen darüber reden?" "Nein. Ich will nicht morgen darüber reden!", antwortet er. "Du hast gesagt, dass du all das noch nicht kannst. Das zwischen uns. Ich darf dich nicht mal berühren! Aber immer wenn ich dich sehe, zieht es meinen ganzen Körper zu dir hin. Ich will dich küssen. Aber weißt du, warum ich es nicht mache? Weil mir deine Gefühle wichtiger sind als meine. Und ich schwöre, dass ich nicht noch mal versuche dich zu küssen, ohne dass du es mir erlaubst."

Er macht eine kurze Pause, in der er nach Worten zu suchen scheint. da redet er weiter. "Und weißt du was? Irgendwann hoffe ich, dass wir zusammen sein können. Dann kann ich dich berühren, ohne dir jedes Mal diese Erinnerungen aufzuzwingen. Denn immer wenn du vor mir zurückweichst, bricht mein Herz ein kleines Stück mehr. Aber ich respektiere deinen Wunsch, nicht berührt zu werden. Ich würde für immer weggehen, wenn du es von mir verlangen würdest. Denn weißt du was? Ich liebe dich. Ist es das was du hören willst? Du denkst, dass du andere mit deinen Kräften verletzt, aber ich sag dir was: mir sind deine Kräfte egal, auch wenn sie mich töten könnten. Das einzige wie du mich verletzen könntest ist, deine Art mit mir umzugehen." Ich starre ihn an. Hat er gerade gesagt, dass er mich liebt? "Und du denkst vielleicht, dass ich das alles nur sage, weil ich betrunken bin, aber dieses Gespräch hätte sowieso stattgefunden. Nur eben später." "Geh ins Bett.", flüstere ich benommen von dem Schwall an Worten. "Du machst es schon wieder! Du drängst mich weg. Mia, bitte! Rede mit mir!", schluchzt er verzweifelt. "Du bist betrunken.", antworte ich. "Das ist deine Verteidigung?" "Was wenn du dich morgen an nichts mehr erinnerst? Dann ist es doch egal was ich jetzt mache oder?" Er starrt mich an. "So viel habe ich auch nicht getrunken. Aber keine Sorge, ich lasse dich jetzt wieder in Ruhe schlafen. Und auch danach lasse ich dich in Ruhe. Denn so kann ich das einfach nicht mehr. Diese Distanz bringt mich um. Und da du nicht weißt, was du willst, ist es besser so. Denn immer wenn du mich ansiehst, keimt Hoffnung in mir, dass das zwischen uns wieder normal wird. Dass es eines Tages funktionieren wird. Aber sofort wenn deine Haut meine berührt, zuckst du zusammen. Und ich weiß nicht was ich machen soll!", flüstert er. Bevor ich antworten kann, dreht er sich um und geht aus der Tür. Einfach so und lässt mich vollkommen überrumpelt liegen.

Ich drehe mich um und drücke mein Gesicht in ein Kissen. Dann fange ich an zu weinen. Nach ein paar Stunden öffnet jemand die Tür. Sofort spannt sich jeder Muskel in meinem Körper an. Gespannt warte ich, was jetzt passiert. Ich höre, wie jemand durch die Tür torkelt und etwas fallen lässt. Das etwas, war eine Flasche, die jetzt in tausend Teile zerspringt. "Verdammt!", höre ich jemanden fluchen. Es ist der Junge, Finn. Ich rolle mit den Augen und entspanne mich wieder. Nach etwa zwanzig Minuten atmet er gleichmäßig. Er muss eingeschlafen sein. Ich kann durch ein Fenster das Morgenrot sehen. Langsam atme ich aus und wieder ein. Jetzt oder nie. In den letzten Stunden sind mir Leons Worte nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Tausendmal habe ich sie wieder und wieder gehört, als wären sie für immer in meinen Kopf gebrannt. Und sie haben etwas in mir ausgelöst. Ich weiß nicht was, aber ich fühle mich anders. Vielleicht ist es Stärke, die mich die Bilder verdrängen lässt. Schnell rolle ich mich aus dem Bett und drücke die Tür auf. Ein Himmel in den schönsten Pastelltönen empfängt mich. Am Horizont sehe ich rosa und es verläuft immer weiter, bis es hellblau wird. Allerdings zieren violette Wolken den Himmel, wie ein Wolkenband. Ein paar Meter vor mir, kann ich Leon sehen, der, mit dem Rocken zu mir, den Himmel anstarrt. Ich gehe langsam zu ihm hin. Bei jeden Schritt werde ich nervöser. Denn ich weiß, was jetzt kommt. Aber ich habe Angst davor, wie er reagieren wird. Hat er alles, was er vor ein paar Stunden gesagt hat, ernst gemeint? Das kann er jetzt beweisen. "Das ist einer der schönsten Sonnenaufgänge, die ich je gesehen habe.", sagt er. Ich antworte nicht sondern gehe einfach weiter. Noch fünf Meter. Leon dreht sich um. Laut seinem Gesichtsausdruck hat er nicht mich, sondern Finn erwartet. Doch davon lasse ich mich nicht aufhalten. Immer schneller gehe ich auf ihn zu. Abrupt bleibe ich vor ihm stehen und ziehe seinen Kopf zu mir herunter. Erst jetzt kann ich die Tränen auf seinen Wangen sehen. "Was...", fängt er an, doch ich lasse ihn nicht ausreden.

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