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Mia

"Wo bin ich hier? Es sieht fast wie zu Hause aus. Und das würde auch den Deader erklären. Vielleicht ist das eine Art Zwischenstufe des Todes, wo man alles spürt und sich von seiner Welt noch Mal verabschieden kann.", murmle ich. Unter mir kann ich Bäume hin und her schwanken sehen und ich höre ein schweres Atmen. Das muss der Deader sein. Er hat also nicht aufgegeben. Schnell fliege ich ein paar Meter auf die Seite und sehe gerade noch, wie eine große Schnauze durch die Blätter bricht. Ohne mich nochmals umzusehen, fliege ich weiter, immer auf den Horizont zu. Meine Haare werden nach hinten geschmissen und meine Augen fühlen sich bald trocken an, da der Wind, der mir entgegen kommt, immer stärker wird. Nach etwa einer halben Stunde, in der ich nur in der Luft war, finde ich eine große Lichtung, was mir ein Lächeln auf mein Gesicht zaubert. Den Gedanken an Leon habe ich verdrängt, da ich ein mulmiges Gefühl habe, wenn ich an ihn denke. Außerdem ist es unlogisch, dass er in diesem Wald ist. Er ist nicht tot. Aber plötzlich schießt mir das Bild eines Wolfes, der ohnmächtig auf dem Boden liegt, durch den Kopf. Es ist eine Erinnerung. Was, wenn Leon sich so viele Knochen gebrochen hat, als der alte Elementor ihn gegen die Wand geschleudert hat, dass er sich nicht mehr selbst heilen kann? Geht das denn überhaupt? Wo liegt seine Belastungsgrenze? Und was ist mit Ly und Finn? Vor allem Finn? Denn er hat am meisten abbekommen, bis auf mich natürlich. Allerdings war mein Tod schmerzlos und Finn hat eine Feuerkugel Mitten auf die Brust bekommen. Wahrscheinlich sind auch einige Knochen gebrochen. Schnell schüttle ich den Kopf und fliege auf die Lichtung zu. Den Gedanken an meine Freunde verkrafte ich jetzt nicht. Allein die Vorstellung, sie nie wieder zu sehen, erfüllt mich mit Grauen. Aber vielleicht treffe ich auf andere wie ich. Jemanden, der zwischen Himmel und Hölle steckt. Vorsichtig lande ich auf dem weichem Gras. Ich habe noch immer die Kleidung an, die ich an meinem Todestag getragen habe. Allerdings sind sie verschwitzt und schmutzig.

Als ich mich zur Lichtung drehe, erkenne ich eine Hütte. Irgendwie kommt sie mir sofort bekannt vor, doch ich habe absolut keine Ahnung woher. Langsam nähere ich mich ihr und dann rutsche ich die Mauern entlang in Richtung Boden. Vorsichtig verbiege ich meine Beine so, dass sie zu einem Schneidersitz werden und schließe dann die Augen. Erst jetzt fällt mir auf, dass die Blumen, die auf der gesamten Wiese versteilt sind, unglaublich gut riechen. Langsam gleitet mein Kopf zur Seite auf die harte Mauer. "Ich kann jetzt nicht einschlafen!", murmle ich, doch ich weiß selbst, dass ich diesen Vorsatz nicht halten kann. Mein Herz schlägt langsamer und meine Atmung beruhigt sich. Plötzlich höre ich ein tiefes Grollen. Es ist mein Magen. Seufzend öffne ich meine Augen, da ich weiß, dass ich nur satt schlafen kann und werde. Doch als ich meine Augen öffne und sie auf die Hauswand richte, fange ich an zu schreien. Quietschend und so laut, dass sicher alle Tiere im großem Umkreis mich hören können. Ich habe meinen Körper nicht unter Kontrolle. Meine Beine, ohne dass ich den Befehl dazu gegeben hätte, verhelfen mir zum Aufstehen und ich stolpere von der Hütte weg, wobei mein Blick noch immer an ihr klebt. Die gesamte äußere Wand ist mit Totenköpfen erbaut worden. Sie sehen alle aus, als würden sie mich angrinsen. Es müssen tausende sein und über meinen Rücken jagt ein kalter Schauder. Meine Stimme wird langsam brüchig, da ich heißer werde. Also verstummt der Schrei, dennoch kann ich nur auf das Totenkopfhaus starren. Ich könnte schwören, dass die Wand vorher einfach nur weiß war. Schnell streiche ich mir ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und wirble herum. Wer baut so etwas und warum? Bevor ich jedoch darüber nachdenken kann, falle ich. In den ersten paar Sekunden kann ich es gar nicht realisieren, doch ich falle tatsächlich. Schneller und schneller zieht mich die Schwerkraft in eine scheinbar unendlich tiefe Schlucht. Mich hat die Panik vollkommen im Griff, als ich bemerke, dass ich meine Flügel aus irgendeinem Grund nicht erscheinen lassen kann.

Wenn ich in der Lage wäre zu schreien, würde ich das tun, doch der Wind nimmt mir jegliche Fähigkeiten zu atmen. Meine Augen tränen innerhalb von Sekunden und immer wieder versuche ich verzweifelt meine Flügel auszubreiten. Plötzlich und ohne Vorwarnung schlage ich auf dem Boden auf. Meine Lunge wird zusammen gepresst und ich bekomme keine Luft mehr. Dieser Zustand scheint eine Ewigkeit zu dauern, bis ich endlich rasselnd einamten kann. Was ist hier los? Wie habe ich den Sturz überlebt? Als ich mich aufrichte, erkenne ich eigentlich gar nichts, da ich in einem unendlich großem, weißem Raum stehe. Die Decke, die Wände und der Boden sind weiß. Ich kann nicht sagen, wann der Boden aufhört und die Wand anfängt, so eintönig ist es hier. "Hallo?", schreie ich und richte mich auf. Mein gesamter Körper schmerzt, doch es ist bei weitem nicht so schlimm wie ich es mir erwartet hätte. Und wie komme ich von der Wiese mit dem Totenkopfhaus überhaupt hierher? Als ich Schrutte höre, wirble ich herum. Es ist Ly. Sie hat einen emotionslosen Gesichtsausdruck, der an eine Maske erinnert. Mein Körper füllt sich mit Freude. Doch als ich loslaufen und zu begrüßen will, kann ich mich nicht mehr bewegen. Langsam geht sie auf mich zu. Dann, kurz bevor sie bei mir angekommen ist, macht sie eine Kurve und geht einfach an mir vorbei. "Ly! Bitte, komm zurück! Ich brauche dich!", rufe ich verzweifelf, doch sie geht immer weiter. Plötzlich erscheint Finn, der keine Narben geschweigedenn Verbrennungen am Oberkörper hat. "Ich bin so froh, dass es dir wieder gut geht!", begrüße ich ihn, doch er reagiert auch nicht auf mich, sondern geht mit starrem Gesichtsausdruck an mir vorbei. Zum Schluss, wie sollte es anders sein, taucht Leon auf. Ich fühle, wie die Trauer, dass er mich nicht einmal anblickt und Tränen rinnen mir über die Wange. "Bitte, zumindest du musst moch doch erkennen!", flüstere ich. So gerne würde ich meine Hand ausstrecken, doch mein Körper hört nicht auf mich. "Leon! Komm zurück!", bettle ich, aber er macht es Finn und Ly nach. "Nein! Das kann nicht sein! Warum helfen sie mir nicht?", flüstere ich immer wieder und wieder. Plötzlich höre ich ein Knacken. Ich versuche meinen Kopf zu wenden, doch es funktioniert nicht. Da fange ich an zu schreien. Meine gesamte Wut und Trauer liegt darin und plötzlich spüre ich meine Gliedmaßen wieder. Als ich mich allerdings umdrehe, sehe ich eine Blume. Sie ist violett und hat sich einen Weg durch den robusten weißen Untergrund gesucht. Wie ein Farbtropfen auf einer ansonsten weißen Leinwand sieht er aus. "Wo bin ich hier?", murmle ich.

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