eins

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Mia

Ich reiße meine Augen auf. Nur eine Sekunde später fange ich an zu schreien. Ich habe keine Ahnung, ob ich tot bin oder noch lebe. Und wenn ich lebe, wo ich bin. Ich brülle einfach in die Stille hinein, während ich gegen eine weiße Wand starre. Irgendwann höre ich Stimmen. Dann spüre ich ein Stechen am Arm, doch es ist mir egal. Stur schreie ich einfach weiter, bis der Schrei eher einem Gejaule ähnelt, da meine Stimme langsam versagt. Schlussendlich kommt nur noch warme Luft aus meinem Mund, als plötzlich alles zu verschwimmen beginnt. Mein Kopf fühlt sich schwer an, schwerer als je zuvor. Langsam sinke ich in die Dunkelheit hinab, meinen Mund immer noch offen.

Hart schlage ich auf dem Boden auf. Als ich die Augen öffne, sehe ich wieder eine weiße Fläche. Diesmal bleibe ich jedoch ruhig. Schnell rapple ich mich auf und bemerke, dass ich aus einem Bett gefallen bin. Die Decke liegt unordentlich auf der Matratze und der Polster ist nirgends zusehen. Alles wirkt etwas verzerrt. Langsam drehe ich mich um die eigene Achse. Plötzlich zucke ich zusammen. Mein gesamter Körper tut weh. Blaue Flecken zieren meine Arme und Beine. Um meinen Bauch ist ein Verband gebunden. Mein Kopf dröhnt und meine Knöchel sind angeschwollen. Völlig verwirrt blicke ich um mich. Jetzt endlich sehe ich klar. Ich stehe in einem vollkommen weißen Raum, in dem der Holztisch und der dazugehörige Sessel wie bunte Farbtupfer aussehen. Die silberne Eisentür leuchtet hell und reflektiert das Licht der Fliesen. Auf einmal wird die Tür aufgemacht und eine Frau kommt mit einem Tablett, auf dem Essen steht, herein. Sofort humple ich zu ihr hin. "Wo sind sie?", schreie ich sie an. Kurz halte ich inne. Meine Stimme klingt nicht wie normalerweise. Sie ist brüchig und leise. Jedoch fokussiere ich mich gleich wieder auf die Assistentin. Diese blickt mich jedoch nur an und geht an mir vorbei, zum Tisch, wo sie das Essen abstellt. In dem Moment kommt auch ein Mann durch die Tür. Er lächelt der Frau kurz zu, die nickt, ihren Blick senkt und sich dann an ihm vorbei aus der Tür schiebt. Auch ihm stelle ich dieselbe Frage. "Weißt du wer ich bin?", fragt er vorsichtig. Verwirrt starre ich ihn an. Ein Mann, Mitte vierzig, blickt besorgt auf mich hinunter. Ich schüttle den Kopf. "Ich bin Xaver. Einer der Leiter hier." "Wo ist er?", knurre ich. "Mia.", antwortet er leise. "An was kannst du dich erinnern?" Zuerst bin ich etwas verwirrt von der Frage, doch dann grabe ich in meinen Erinnerungen. Ein Raum, in dem ich festgebunden bin. Leon der mich retten will und ein Mann, der... Die ersten Tränen rinnen über meine Wangen und ich bedecke mein Gesicht mit meinen flachen Händen. "An alles.", schluchze ich. Traurig sieht er mich an. "Das kann aber nicht sein! Er muss es doch irgendwie geschafft haben!", flüstere ich, während ich versuche die riesige Panikwelle zu unterdrücken. Plötzlich verschwimmt alles um mich herum und ich stolpere ein paar Schritte nach hinten. Die Wand, an die ich stoße scheint mich vor dem Umfallen zu retten und ich lasse mich mit dem Rücken an die kalten Fliesen gepresst, zu Boden rutschen. Die Schmerzen die dadurch von der Verletzung in meiner Bauchgegend hervorgerufen werden, ignoriere ich. Ich ziehe meine Beine eng an meinen Oberkörper und schlinge meine Arme um meine Kniee. Meine Stirn lehne ich dagegen. Jetzt fange ich wieder an zu schreien. Irgendwann, da meine Stimme mich wieder im Stich lässt, höre ich auf und hebe meinen Kopf. Xaver steht immer noch an derselben Stelle und mustert mich mitleidig. Das Zeitgefühl habe ich verloren, also weiß ich nicht, wie er schon hier steht. Da in meinem Hals ein schmerzhaftes Kratzen entstanden ist, müssen schon länger als ein paar Minuten vergangen sein. "Und Ly?", frage ich verzweifelt. "Ihr geht es gut. Doch auch sie ist in einem Schockzustand." Ein Teil der Panik verwandelt sich in Erleichterung. "Darf ich sie sehen?", frage ich hoffnungsvoll. Zu meinem Bedauern schüttelt er bedrückt den Kopf. "Auch du bist noch nicht gesund. Aber schon bald wirst du sie sehen können.", verspricht er mir und macht mir Hoffnung. Deshalb versuche ich zumindest ein falsches Lächeln zu Stande zu bekommen. "Wie lange war ich ohnmächtig?", will ich mit zitternder Stimme wissen. "Über eine Woche." Ich nicke und lasse den Kopf wieder sinken. Eine Woche. Seit einer Woche ist Leon schon tot.

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