22. Wie das Innere eines Vulkans aussieht

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Mia

Stille. Alles ist schwarz. Ich kann weder etwas sehen, noch hören. Plötzlich spüre ich, wie etwas Kaltes meine Haut berührt. Ich keuche und bäume mich auf. Meine Augen öffnen sich endlich und auch meine Ohren funktionieren wieder. Ein Schmerz fährt mir durch meine Arme. Ich sitze in einem Bett und rund um mich herum ist alles nass. Meine Handgelenke sind an den Bettpfosten befestigt. Als ich an den Handschellen ziehe, höre ich ein Lachen. Sofort suche ich den Raum ab. Er ist, bis auf das Bett, nicht möbliert. Die einzige Lampe im Raum spendet nur wenig Licht, und flimmert immer wieder. Aus der dunklen Ecke tritt ein Mädchen. Sie ist etwa in meinem Alter. Das Lachen gehört also ihr. Sie ist groß, hat schwarze Kleidung an und ein Gürtel hängt locker um ihre Hüfte, an dem ein Dolch befestigt ist, der matt schimmert. Ihre braunen, langen Haare sind zu einem Zopf zusammen gebunden. Als sie auf mich zukommt, hallt das dumpfe Geräusch ihrer Schritte durch den Raum. Sie ist schlank, aber ziemlich muskulös. Ich bin froh, dass meine Flügel verschwunden sind. Auf den ersten Blick wirkt sie nicht sonderlich freundlich, eher furchteinflößend und mutig. "Wo ist Leon?", knurre ich. "Dein kleiner süßer Freund?", fragt sie grinsend. Ich spanne meinen Kiefer an. Das lässt sie nur noch mehr lachen. "Ihr seid einfach zu süß." "Wo ist er.", frage ich erneut. Sie zuckt mit den Schultern und tut so, als würde sie es nicht wissen. Allerdings bin ich mir sicher, dass sie es weiß. "Wer bist du?", wechsle ich das Thema. "Dieselbe Frage könnte ich dir stellen.", antwortet sie prompt. "Ich hab dich zuerst gefragt.", erwidere ich. Sie wirft mir einen abschätzigen Blick zu. "Funktioniert das da, wo du herkommst?", macht sie sich über mich lustig. Sie wartet gar nicht auf meine Reaktion, sondert redet sofort weiter. "Du bist zurzeit nicht in der Lage Gegenfragen zu stellen. Geschweige denn, Befehle zu erteilen. Also noch Mal: Wer bist du?" Da sie Recht hat, und ich mehr erfahren werde, wenn ich einwillige, antworte ich. "Mia.", spucke ich ihr entgegen. "Mia.", wiederholt sie meinen Namen. „Gut.", sagt sie und verlässt den Raum. Bevor die Tür geschlossen ist, schreie ich. "Hey! Bleibt hier!" Doch die Worte verhallen ungehört und dir Tür fällt leise ins Schloss. Es ist nur eine dünne Holztür, außerdem ist sie nicht verschlossen. Sie denken wohl, dass mich die Fesseln erfolgreich ans Bett fesseln. Damit könnten sie Recht haben. Mir fällt auf, dass ich etwas anderes anhabe. Einen weiten schwarzen Pullover und eine schwarze Jeans. Sie sind immer noch etwas feucht, von dem was mich aufgeweckt hat. Ich hoffe es war Wasser, aber wer weiß, wozu dieses Volk im Stande ist. Mit einem Ruck versuche ich meine Fesseln zu öffnen, aber sie sind zu stabil. Auch das Bett scheint robust. Da fällt mir etwas auf. Das Bett ist etwa fünfzehn Zentimeter von der Wand entfernt. Wenn ich dagegentrete, könnten die Pfosten brechen. Als ich gegen das Bett treten will, höre ich ein Geräusch. Es ist ohrenbetäubend und klingt so wie ein unglaublich lautes Brüllen. Auch als es schon aufgehört hat, hallt es in meinem Zimmer weiter. Was kann das für ein Tier gewesen sein? Und was tun sie ihm an, damit es so brüllt? Doch es kommt mir nur gelegen. Denn solange sie mit dem Tier, oder was auch immer das war, beschäftigt sind, kümmern sie sich nicht um mich. Also trete ich schnell gegen das Bett. Es ertönt zwar ein Geräusch, was auf brechendes Holz hindeutet, aber die Pfosten brechen nicht. Also trete ich noch Mal. Diesmal funktioniert es. Ich wiederhole die Prozedur bei dem anderen Pfosten. Auch dieser bricht. Grinsend rolle ich mich vom Bett. Die Tür öffne ich einfach so. Als ich durch die Tür trete, stockt mein Atem

Vor mir erstrecken sich Hängebrücken, die quer über eine Schlucht gehen. In der Mitte kann ich Pfeiler sehen, die die Brücken befestigen. Weit unter mir kann ich einen grünen, Boden sehen. Plötzlich bemerke ich, dass es keine Schlucht, sondern ein umgekehrter Trichter ist. Was hat Thea erzählt? Es soll Berge geben, die Feuer ausspeien. Vulkane, oder so ähnlich. Als ich nach oben blicke, kann ich eine kleine Öffnung und dahinter ist ein roter Himmel erkennen. Plötzlich höre ich das Brüllen wieder. Hier draußen ist es noch lauter und hallt ohrenbetäubend an den Steinwänden wieder. Das Brüllen ist nicht menschlich und ich warum auch immer, ich will unbedingt herausfinden was es ist. Schnell lasse ich meine Flügel erscheinen und bin in diesem Moment echt froh, dass ich gelernt habe, die verschwinden zu lassen. Wenn sie davon wissen würden, hätten sie mich sicher besser eingesperrt. Vor allem hier sind meine Flügel von unschätzbarem Wert. Mein einziges Problem ist, dass die Handschellen immer noch an meinem Handgelenk klappern. Die sind zurzeit mein kleinstes Problem, denn ich höre Stimmen. Hektisch suche ich die Brücken, die zu dieser Tür führen mit meinen Augen ab. Auf einer kommen mir etwa sechs Menschen entgegen. Einer hat mich entdeckt und fängt an zu schreien. Ohne zu zögern, stürze ich in den Abgrund und spüre das angenehme Kribbeln, was mir sagt, dass meine Flügel einsatzfähig sind. Plötzlich höre ich das Brüllen wieder. Es kommt von ganz unten. Also gleite ich um die Brücken herum und erschrecke einmal ein Kind, welches auf einer Brücke herumläuft, fast zu Tode. Wenn ich nicht auf der Flucht wäre, würde mir das Herumfliegen fast Spaß machen. Die grüne Fläche ganz unten, welche sich als Wiese entpuppt, kommt immer näher. Wieder höre ich das Brüllen. Sanft lande ich auf dem Graß. Von hier sieht sie viel größer aus. Es wird Getreide und Gemüse angebaut. Ich höre wieder den Bullen. Und da plötzlich sehe ich ihn.

Es ist Leon, der mit dem Kopf nach unten, auf einem kurz geschnittenen Rasen liegt. Ich laufe zu ihm hin und beuge mich über ihn. Sein graues T-Shirt ist zerrissen und darunter schimmert Blut. Er hat am ganzen Rücken rote Striemen. Haben sie ihn ausgepeitscht? Vorsichtig drehe ich ihn auf den Rücken. Er stöhnt laut auf. "Hey.", lächle ich ihn an. "Ich Bins. Alles ist okay. Ich hole dich da raus.", begrüße ich ihn. "Hast du das Brüllen gehört?", fragt er mit einem Unterton in der Stimme. Wie so oft kann ich ihn nicht einordnen, doch jetzt habe ich andere Probleme als mich mit einem Unterton in Leons Stimme zu beschäftigen. Ich nicke langsam. "Aber das Ding wird uns nichts tun.", versichere ich ihm, obwohl ich das selbst nicht genau weiß. Da fällt mir auf, dass er vorne genauso übel zugerichtet ist wie hinten. Sowohl an den Beinen, als auch am Brustkorb hat er blutige Kratzer. "Was haben sie mit dir gemacht?", frage ich entsetzt. "Nicht so wichtig. Wie geht es dir?", winkt er ab. "Nicht so wichtig?", frage ich empört. "Sie haben dich ausgepeitscht und danach hier liegen lassen!" "Alles nicht so schlimm.", spielt er es erneut herab. Ungläubig starre ich ihn an. "Du erzählst mir jetzt was los war.", beharre ich. "Da sind sie!", höre ich eine tiefe Männerstimme hinter mir sagen. Leon rappelt sich keuchend auf. "Wir müssen hier weg.", flüstere ich ihm zu. "Du musst hier weg.", verbessert er mich. "Hast du den Verstand verloren?" Ich starre ihn an. "Sie werden uns beide gefangen nehmen, wenn du nicht gehst!", flüstert er energisch. "Dann werden sie das wohl tun müssen.", meine ich schulterzuckend. "Sei nicht so naiv.", fleht er mich an. "Kommt zu uns!", höre ich es hinter mir. Leon wirft mir einem eindringlichen Blick zu, aber ich ignoriere ihn. "Wir tun euch nichts!", versuche ich zu kooperieren. "Dein Freund wollte uns etwas anhaben." Ich merke, wie Leon all seine Muskeln anspannt. "Er wollte mich finden! Nie wollte er auch nur einen der eurigen verletzen." "Er ist eine Gefahr für uns alle!" "Nun ist er bei mir, deshalb wird er euch nichts mehr tun." Die Männer scheinen davon nicht überzeugt und stecken ihre Köpfe zusammen.

"Wir bringen euch zu unserer Anführerin.", knurrt einer der Männer, nachdem sie seine Weile heftig diskutiert haben. Für ein paar Sekunden liegt mein Blick auf Leon. "Mach nichts unüberlegtes!", flüstere ich ihm zu. "Wir schaffen das schon." Er nickt wiederwillig, auch wenn ich sehe, dass er alle Männer am liebsten verprügeln möchte. Ich nehme seine Hand und ziehe zu der kleinen Gruppe. Kurz bevor wir bei ihnen ankommen, lasse ich meine Flügel verschwinden. "Ich finde immer noch, dass das eine schlechte Idee ist.", raunt Leon. "Ich auch.", stimme ich ihm zu. "Allerdings ist es auch der einzige Weg, wie wir hier lebend rauskommen. Und du hast ja gesehen, was sie tun, wenn du dich gegen sie auflehnst." Wir bleiben auf sicherer Entfernung stehen. "Ihr braucht Handschellen.", erklärt uns ein großer, glatzköpfiger Mann. Ich spüre, dass Leon von der Idee nicht begeistert ist und es dem Glatzkopf auf eine nicht ganz sympathische Weise mitteilen will. Doch ich stelle mich vor ihn und halte ihn so zurück. Langsam drehe ich mich zu ihm um. "Ich klär das. Bleib ganz ruhig.", sage ich und drehe ich wieder den Männern zu. "Die werden nicht nötig sein." Ich kann Leons unruhigen Atem in meinem Nacken spüren. "Da bin ich anderer Meinung.", bestreitet der Mann und wirft einen Blick zu Leon. "Wir werden euch nichts tun, solange das auf Gegenseitigkeit beruht." Skeptisch mustert er mich. Dann, zu meiner Erleichterung, nickt er. "Hier geht es lang", sagt einer der Männer und deutet mit der Hand auf eine kleine Höhle. Leon und ich folgen ihnen, aber wir halten etwa fünf Meter Abstand. "Das ist ein Fehler.", murmelt Leon. "Aber es ist nun Mal der einzige Weg, hier raus zu kommen.", antworte ich schulterzuckend. "Egal was dort drin passiert, ich werde dich beschützen.", versprich mir Leon. "Das weiß ich doch.", lächle ich ihm zu.

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