08. Eine Art Heldin

34 5 0
                                    

Mia

Meine Zähne graben sich so tief in meine Lippen, dass ich etwas warmen spüren kann. "Vielleicht probieren wir es mit einer anderen Frage. Wie wär mit: Warum bist du überhaupt von deinem kleinen, sicheren Zuhause weggelaufen?", fragt sie, nachdem die Elektrostöße aufgehört haben. Noch immer starre ich sie nur an. "Wie du willst.", antwortet sie schulterzuckend. Mein Körper fängt an zu zittern. Ich keuche auf und rolle mich so gut es geht zusammen. "Ich habe den ganzen Tag Zeit.", höre ich die Frauenstimme. Plötzlich hört es auf. Schwer atmend setzte ich mich wieder gerade hin. "Du bist wirklich tough.", gibt sie zu. Immer wieder rufe ich mir das Bild von Leon ins Gedächtnis. Wie gerne wäre ich jetzt bei ihm. Ich würde sogar die Bilder ignorieren, die auftauchen, wenn ich ihn berühre. Warum sehe ich diese Bilder überhaupt? Es muss irgendeinen Weg geben, diese Erinnerungen abzuschalten! "Denkst du an Leon?", fragt mich die Frau. Wehe sie nimmt seinen Namen noch einmal in den Mund! Aber ich bleibe still. "Hat Leon Angst vor dir?" So das reicht! Ich stemme mich mit dem Rücken an die Wand und stehe so auf. Dann laufe ich auf sie zu. Doch kurz bevor ich bei ihr ankomme, knalle ich gegen eine unsichtbare Wand. Ich werde nach hinten geschleudert. Die Frau fängt an zu lachen. "Dachtest du wirklich, dass ich ohne Schutz hier rein gekommen bin? Niemand wäre so dumm!" Ich starre sie hasserfüllt an. Plötzlich wird die Frau gegen die Wand geschleudert. Verdutzt beobachte ich, wir sie im Raum umher schwebt und dabei schreit. Plötzlich fällt sie auf den Boden und bleibt dort liegen. Eine Zeit lang passiert nichts. Dann rappelt sie sich auf und starrt mich an. "Du...Was bist du?", keucht sie. Verwirrt mustere ich sie. Was soll ich damit zu tun haben? Ich bin ja nicht einmal in ihre Nähe gekommen! "Die Befragung ist für heute beendet.", sagt sie, stürmt aus dem Raum und lässt mich vollkommen bestürzt zurück.

Ich schrecke aus einem sehr unruhigen Schlaf auf. Mein Nacken tut weh, da ich keinen Platz zum Schlafen hatte. Da entdecke ich Xaver auf der anderen Seite des Raumes. Aufmerksam beobachtet er mich. "Guten Morgen.", begrüßt er mich. Wütend starre ich ihn an. "Du hast Lilly wirklich verängstigt.", erzählt er weiter. Meint er die Frau, die mich gestern gequält hat? "Aber jetzt wissen wir, dass du deine Hände nicht benötigst, um deine Kräfte auszuüben." Was redet er da? Mein Magen unterbricht meine Überlegungen. "Hast du Hunger?", fragt er lächeln. "Natürlich hast du Hunger! Immerhin hast du seit etwa drei Tagen nichts mehr gegessen.", beantwortet er seine eigene Frage. "Ich schlage dir einen Deal vor. Du beantwortest die Fragen und wir geben dir etwas zu essen." Irgendwann muss ich etwas sagen, sonst komme ich hier nie raus. "Was ist mit Leon?", spucke ich ihm entgegen. Er lacht. "Ich wusste, dass deine ersten Worte etwas mit ihm zu tun haben würden." Ich mustere ihn. Seine Haare sind zerzaust und er hat tiefe Augenringe. "Ich denke er ist zurzeit nicht in der Verfassung etwas zu essen." "Was habt ihr mir ihm gemacht?", knurre ich. "Er hat die Elektroschocks nicht so gut vertragen." Die Wut, die ich bis jetzt verspürt habe, verwandelt sich in Hass. "Aber du hast sie mutig über dich ergehen lassen. Wie wäre es wenn wir ein Geschäft vereinbaren?" Ich schiebe mein Kiefer vor. "Du zeigst uns, was du mit deinen Kräften machen kannst und wir geben Leon etwas zu Essen und ärztliche Versorgung." "Ihr würdet Leon einfach so sterben lassen, wenn ich euch nicht helfe?", frage ich fassungslos. "Der Zweck heiligt die Mittel.", sagt Xaver schulterzuckend. Wie kann man so grausam sein? "Also was ist?", fragt er gespannt. Ich nicke langsam. Sofort beginnt Panik in mir aufzusteigen. Was werden sie machen, wenn sie herausfinden, dass ich meine Kräfte nicht kontrollieren kann?

"Mia? Hörst du mir zu?", reißt mich Xaver aus meiner inneren Diskussion. Ich nicke. "Wie schon gesagt, du bist mit einem unglaublichen Geschenk gesegnet. Wenn du willst, könntest du alles nach deinem Willen ändern." Wie denn? Ich habe keine Wunderkräfte. Die Dinge, die rund um mich passieren, kann man sicher physikalisch erklären. Obwohl ich sagen muss, dass manche Dinge, wie zum Beispiel die Steinhütte mein Werk gewesen sein muss. Also habe ich doch gewisse Kräfte. "Wo ist eigentlich deine Mutter jetzt?", fragt Xaver. Was hat meine Mutter damit zu tun? "Bei den Flux. Warum denn?", frage ich verwirrt. Er macht ein überraschtes Gesicht. "Dort hat sie überlebt?" "Ja.", antworte ich langezogen. "Warum denn auch nicht?", bohre ich weiter. "Nun sie ist doch keine von ihnen.", sagt er schulterzuckend. "Was reden sie da? Natürlich ist sie eine Flux! Sind sie sicher, dass du meine Mutter kennst?", frage ich skeptisch. Er nickt. "Bist du es denn?", stellt er mir als Gegenfrage. "Sie wollen mir ernsthaft sagen, dass die Frau, mit der ich mein ganzes Leben verbracht habe, nicht die ist, die sie zu sein scheint?" Er lächelt. Am liebsten würde ich ihm seine Zähne einschlagen. Aber ich will wissen, wen er für meine Mutter hält. "Genau das will ich damit sagen!", antwortet er und dreht sich um. "Wollen sie jetzt einfach verschwinden?", schnauze ich ihn an. "Ja.", sagt er, ohne sich umzudrehen. "Aber helfen sie Leon!", schreie ich ihm hinterher. Doch meine Worte verhallen ungehört im Raum. Xaver hat die Tür längst hinter sich zugezogen. Was fällt ihm ein? Zuerst kommt er zu mir und erzählt mir, dass er Leon so lange gequält hat, bis dieser nicht mal mehr in der Lage ist, zu essen. Und dann will er mich überzeugen, dass ich eine andere Mutter habe. "Komm zurück!", schreie ich. Zu meiner Überraschung geht die Tür auf. Aber es ist nicht Xaver. Die Person, die herein kommt, erkenne ich sofort wieder.

Es ist die Ärztin, die meine Narbe versorgt hat. Es fühlt sich an, als wäre es tausend Jahre her. "Was machen sie denn hier?", frage ich verdutzt. "Die Welt ist klein, nicht wahr?", sagt sie lächelnd. "Sie müssen doch sehen, dass das hier falsch ist! Ich tue niemanden was! Also besteht keine Verwendung für dieses Ding!", sage ich und deute mit dem Kopf auf das Oberteil, welches meinen Körper unbeweglich macht. "Das Ding ist eine Zwangsjacke und sie ist sehr wohl von Nutzen. Du hast, wie du vielleicht schon bemerkt hast, die Fähigkeit, Dinge oder Menschen zu bewegen." Ich schlucke. Das leuchtet sogar ein. Aber warum sollte ich sowas können. "Xaver hat gesagt, dass Leon etwas zu Essen bekommt, wenn ich die Fragen beantworte." Sie fängt an zu lachen. "Ich bin keineswegs an deinen Antworten interessiert." "Was wollen sie dann?", knurre ich. "Deine Kräfte. Ich will sie verstehen und dich lehren, sie zu benutzen." "Warum solltest du das wollen? Ich wäre mächtiger als ihr alle. Wenn ich es will, könnte ich auch hier ausbrechen." "Nun, ich appelliere an das Gute in dir und bitte dich uns zu helfen." "Helfen?", frage ich nervös. "Du wärst uns von großem Nutzen. Immer wieder verschütten Steine und Schlamm unsere Aufgänge und zerstören unsere Häuser. Du könntest uns helfen, diese Katastrophen zu beseitigen. Für alle wärst du eine Art Heldin." "Du bittest mich um meine Hilfe, während ihr mich einsperrt und Leon foltert?" Sie nickt. "War wäre mit Leon?", frage ich weiter. Ich muss sie davon überzeugen, dass ich ernsthaft darüber nachdenke. Ist sie wirklich so naiv und glaubt, dass ich ihnen vertraue? Nach all dem, was sie mir angetan haben? "Wir müssen erst entscheiden was mit ihm passiert.", antwortet sie zögernd.

FairytaleМесто, где живут истории. Откройте их для себя