drei

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Mia

"Gehen wir.", fordert Emma mich auf und ich nicke. Trotten gehe ich zu meinem Rucksack und schwinge ihn auf meinen Rücken, sodass er zwischen meinen Schulterblättern baumelt. Als ich zu Emma zurückkehre, sehe ich gerade noch, wie sich die Kapuzengestalt auflöst. "Das wirst du bereuen.", murmelt sie, doch ihre Vorhersage wird vom Wind weggetragen und wehen meine letzte Chance auf eine große, abenteuerliche Reise davon. Vielleicht hat sie aber auch Recht. Jedoch kann ich auch in ein paar Jahre diese Expedition machen, und dann kommt vielleicht auch Emma mit. In dem Moment als ich auf die Stelle trete, wo vor wenigen Sekunden noch die Gestalt stand, wickelt sich etwas um meinen Fuß. Erschrocken schreie ich auf, doch dann ist es schon zu spät. Im nächsten Moment hänge ich kopfüber in der Luft. Vorsichtig fahre ich zu meinem Fuß und kann ein raues Seil fühlen, dass sich wie eine Schlange um meinen Knöchel gewickelt hat. Frustried lasse ich mich wieder nach unten fallen und kopfüber erkenne ich meinen Rucksack, der auf dem weichen Boden liegt. Daneben steht Emma und mustert mich interessiert. „Hilf mir!", fluche ich und fuchtle mit meinen Händen herum. „Ich bin eine Einbildung, schon vergessen? In so einem Fall kann ich absolut nichts machen." Langsam wird sie transparent und als ich brülle, dass sie gefälligst hierbleiben soll, ist sie schon weg und niemand hört meine verzweifelten Rufe. Plötzlich höre ich ein Brüllen, welches mir das Blut in den Andern gefrieren lässt und in meinem Nacken entsteht Gänsehaut. Sofort schnellen meine Hände zu meinen Ohren, da ich Angst habe, dass das Trommelfell platzen würde, wenn ich meine Ohren nicht durch meine Hände schützen würde. Noch lauter werden meine Schreie und die ersten Tränen rinnen mir aus meinen Augen und kullern über meine Stirn, bis sie zu Boden fallen. Irgendwann verstummen meine Schreie, da sie so oder so niemand hören wird.

Aber jetzt male ich mir aus, wie groß das Tier sein muss, von dem das Brüllen kommt. Aber das lässt mich nur noch panischer werden, also schlage ich mit meinen Flügeln so lange, bis ich mit meinem Kopf auf der Höhe meiner Füße bin. Meine zitternden Finger ziehen an dem Knoten und versuchen ihn aufzubekommen. Doch alles scheint zwecklos. Schnell werfe ich meinen Blick über meine Schultern und sofort vergesse ich den Knoten wieder. Durch die wankenden Bäume kann ich genau sehen, wo das Monster gerade ist und es scheint direkt auf die Lichtung zuzulaufen. So weit wie es eben geht, fliege ich nach oben, bis das Seil auf das Maximum gespannt ist. Das gibt mir gut zwei weitere Meter vom Boden, und so vom Monster, weg. Die letzten Bäume, die mich bisher standhaft beschützt haben, beginnen zu wanken und noch kann ich mich nicht entscheiden, ob ich nun weg oder hinsehen soll. Bevor ich mich entschieden habe, löst sich eine gigantische Schnauze vom Schatten. Nur Millisekunden später bricht auch der Körper mit einem ungeheuren Krachen aus dem Unterholz. Die riesen Tatzen schlagen hart auf die Erde auf, als das Vieh in den Mittelpunkt der Lichtung trabt. Ängstlich und schockiert huschen meine Augen über das Tier. Es ist riesig und sieht einem Wolf sehr ähnlich. Schon öfter habe ich Wölfe gesehen, doch nie war einer auch nur annähernd so groß. Das graue, struppige Fell sieht in der Sonne verdreckt und ungepflegt aus und in seinem riesigen Mund sind Fangzähne, so groß wie Messer gewachsen. Auch sehen sie gleich scharf und gefährlich aus. Erst nach ein paar Momenten erkenne ich seine gelben, glühenden Augen. Aber das ist nicht einmal das Furchteinflößendste. Denn anstatt einen normalen Schwanz zu haben, ragt ein Skorpionschwanz mit spitzem Stachel in die Höhe. Ab der Hälfte des Schwanzes hört das Fell auf und die Schuppen fangen an und der Stachel sieht, mit den Zähnen wohl am gefährlichsten aus. So ein Ungeheuer habe ich noch nie gesehen. Weder in Bücher, noch im wirklichen Leben. Aber während alle Tiere die ich bisher gesehen habe, etwas Graziles an sich haben, weist dieses Ding nicht einen Funken Eleganz auf.

Eine Ewigkeit scheine ich das Tier einfach nur anzusehen, bis ich, so leise wie möglich, versuche im Baum Schutz zu finden, indem ich mich auf einen Ast in Stammnähe stelle und hoffe, dass mich die Zweige verdecken. Anscheinend braucht es seine Augen nicht einmal, denn langsam kommt es laut schnüffelnd in meine Richtung, bis seine große Nase über die Rinde meines Baumes schrappt. Plötzlich fängt das Monster an zu knurren, was eher wie Donnergrollen klingt, da es tief aus seiner Kehle kommt. Mit seinen leuchtenden Augen sucht er den Baum ab und ich presse mich, so flach und leise atmend wie möglich an den trockenen Baumstamm. Jedoch scheint es nicht auszureichen, denn das Geschöpf schlägt seine Krallen in den Baum Nach jedem Schlag erzittert dieser. Tief atme ich ein und wische mir über die Stirn. Wenn ich mir nicht bald etwas einfallen lasse, werde ich zum Mittagessen dieses Dings. Und es gibt mit Sicherheit bessere Wege zu sterben. Noch einmal versuche ich mich an dem Knoten, der mich an diesen Baum bindet, und wieder scheitere ich. Als ich das Knacksen höre, kann ich gerade noch rechtzeitig abheben bevor, wie könnte es anders sein, der Ast direkt auf die Nase des Wolfs fällt. Das macht sie nur noch wütender. Nun schlägt es die Krallen noch stärker und tiefer ins Holz. Rund um seine Pranken, schleudert es Rindenstücke umher. Ich werde immer panischer, da ich den verdammten Knoten nicht aufbekomme. Egal wem diese Falle gehört, derjenige war sich sicher, dass das gefangene Lebewesen sich nicht mehr heraus kann. Das Geschöpf ist jetzt schon gefährlich nah unter mir. Da es am Stamm nicht mehr wirklich sicher ist, fliege ich so weit es geht vom Stamm weg, bis sich das Seil wieder ganz aufgebraucht ist. Wie in Zeitlupe beobachte ich, wie er langsam zu dem Ast klettert, auf dem ich kurz zuvor gestanden bin. Von oben sehe ich auf ihn herab. Was, wenn ich nahe genug herankomme, dass er mein Seil durchtrennt aber mich selbst nicht verletzt? So könnte ich entkommen, ohne auch nur einen Kratzer zu bekommen.

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