05. Vielleicht gibt es Happy-Ends nur in Märchen

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Mia

"Ich will dich nicht verletzten.", flüstere ich. "Mia. Ich komme jetzt langsam auf dich zu und wir reden. Du kannst mir alles erzählen. Und das mache ich auch. Wir reden einfach.", versucht er mich zu beruhigen. Doch es funktioniert nicht. "Komm keinen Schritt näher! Bitte! Ich bin das Problem. Wegen mir sind alle in Gefahr." Leon fängt an zu laufen. Plötzlich höre ich ein Grollen und der Boden fängt an zu wackeln. Ich werde nach hinten geschmissen. Mein Kopf schlägt auf dem Boden auf und sofort durchzuckt eine Schmerzwelle meinen Körper. Dennoch rapple ich mich keuchen auf. Ich falle fast in Ohnmacht, als ich sehe, dass vor mir eine Art Steinhaus entstanden ist. Es sind vier große Steine als Mauern und auf ihnen liegt einer als Dach. "Mia?", höre ich eine Stimme. Es ist Leon. Noch immer brummt mein Kopf, dafür habe ich aber jetzt keine Zeit. "Hallo? Kannst du mich hören?" Er ist da drin gefangen. "Nein, nein, nein!", fange ich an zu schluchzen. "Das kann doch nicht wahr sein!", flüstere ich. "Mia?" "Warum bist du weitergelaufen?", schreie ich verzweifelt die Steine an. "Wir finden eine Lösung! Aber ich brauche deine Hilfe!", höre ich es von innen. "Du bist wegen mir da drin! Alles wieder wegen mir! Ich bringe alle ihn Gefahr.", sage ich leise vor mich hin. "Wehe du machst dir jetzt Vorwürfe!", höre ich es aus dem Steinhaus. "Es tut mir so leid.", meine ich und weiche Schritt für Schritt zurück. "Mia? Ich schaffe das jetzt nicht ohne dich!", bettelt Leon. Tränen rinnen mir über das Gesicht. Aber ich nicke, obwohl er es nicht sehen kann. "Bist du noch da?", fragt Leon nach einer Weile. "Natürlich!", flüstere ich. "Okay. Wir schaffen das, hörst du?" "Okay.", antworte ich leise.

"Was machen wir jetzt?", frage ich ratlos. Es sind einige Minuten vergangen, in denen ich tief ein und aus geatmet habe. So bin ich einigermaßen ruhig geworden. "Ich...vielleicht kann ich mich in einen Wolf verwandeln und die Steine so wegstoßen." "Du willst was machen?", frage ich fassungslos. Plötzlich fällt mir das Video ein, in dem Leon sich von einen Wolf in einen Menschen verwandelt hat. "Du kannst das wirklich?", frage ich verdutzt. Seit meiner Flucht habe ich nicht mehr an das Video gedacht. "Ja.", kommt die Antwort zurück. "Dann los.", fordere ich ihn auf. "Trete ein bisschen zurück. Nicht dass du unter den Steinen begraben wirst, wenn sie umfallen." Ich laufe schnell ein paar Meter zurück. "Kann losgehen!", rufe ich. Sofort merke ich, wie der Boden erzittert. Vom Inneren des Steinhauses kann ich dumpfe Schläge hören. Doch die Steine bewegen sich keinen Zentimeter. Plötzlich ist es wieder still. "Leon?", rufe ich panisch. "Es klappt nicht.", keucht er. Ich eile wieder zu der Wand. "Es tut mir leid.", flüstere ich. "Es ist nicht deine Schuld.", verteidigt er mich. "Wegen mir bist du eingeschlossen. Und du bist, wenn das wirklich ich war, auch in den See geflogen." "Mia, wir schaffen das." "Wegen mir bist du gestorben.", flüstere ich und lehne nach mit dem Rücken zur Wand. Dann rutsche ich hinunter. Eine Flut an Bildern überflutet meinen Kopf. Wie ich Leon küsse. Wie ich an der Wand festgekettet bin, als plötzlich Lärm von draußen in den Raum dringt und der Mann davongeht. Er lässt mir seinen Wachmann da. Dann kommt Leon herein. Der Soldat tritt nach vorne und zieht Leon sein Messer über die Kehle. Sofort bricht Leon zusammen. Blut quillt aus der Wunde und fließt auf den Boden. Verzweifelt versuche ich mich von den Ketten zu befreien. Sie gehen plötzlich auf und ich stürme zu Leon hin. Dann ziehe ich ihn auf meinen Schoß und flehe ihn an, dass er bei mir bleibt. Doch es ist zu spät und er stirb. Meine Beine sind voller Blut aber es ist mir egal. Auch die Wachen die bald hier sein werden sind nicht mehr von Bedeutung. Nur noch Leon zählt. Die Tränen strömen über mein Gesicht und plötzlich werde ich nach hinten geschleudert.

Leon

Ich kann ein leises Wimmern und Schluchzten hören. "Mia?", frage ich leise. Sie reagiert nicht. "Mia?", sage ich etwas lauter. Nur ein Wimmern. "Mia!", rufe ich. Plötzlich hört es auf. "Du bist auf mir gestorben. In meinem Schoß. Ich hätte irgendetwas tun müssen. Deine Blutung stoppen. Irgendetwas, was dich hätte retten können.", wispert sie. Die ersten Tränen rinnen mir über die Wange. In dieser Steinhöhle ist es dämmrig. Aber es kommt Licht zwischen den kleinen Spalten, an den die Steine nicht ganz zusammenpassen, hindurch. Noch immer kann ich Mia vor sich hin reden hören. "Ich bin hier. Jetzt! Ich bin real!", unterbreche ich sie. "Aber es ist einfach so unlogisch! Du bist Tod." Ich schlucke. "Solltest Tod sein.", korrigiert sie sich nach einer Weile. "Du hast mich gerettet.", sage ich zu ihr. "Nein! Niemand kann Lebewesen wieder auferstehen lassen." Meine Finger gleiten an meinen Hals. Dort kann ich eine kleine Narbe spüren. Sie überquert die Vorderseite meines Halses. "Du kannst es.", wiederspreche ich ihr. Jetzt ist es still. "Mia?", frage ich leise. Doch sie antwortet nicht. "Mia?", frage ich jetzt panischer. "Was ist?", kommt es unfreundlich zurück. "Du hast nicht geantwortet.", sage ich besorgt. "Ich muss nachdenken." Lange Minuten ist es still. Dann höre ich von draußen ein genervtes Stöhnen. "Verdammt!", flucht Mia. "Wir schaffen das schon.", verspreche ich ihr, obwohl ich eher mich als sie überzeugen muss. "Mir fällt einfach nicht sein!", ruft Mia frustriert. Ich weiß, dass sie eher zu sich selber redet als zu mir. Ich möchte ihr so viel sagen, ihr alles erklären. Warum ich meine Verwandlung vor ihr geheim gehalten habe, was ich gesehen habe, als ich starb und was Thea zu mir sagte.

Aber sie will nicht mit mir reden. Dass kann ich zwar verstehen, aber irgendwann müssen wir es hinter uns bringen. Nur dafür ist sie noch nicht bereit. Sie hat gerade mal so verkraftet, dass ich real bin. Und dann sind da noch ihre unglaublichen Kräfte, die weder ich noch sie verstehen. Ich würde sie so gern in den Arm nehmen. Natürlich würde ich sie auch gerne küssen, aber das würde sie niemals zulassen. Denn immer wenn sie mich berührt, kommen Erinnerungen in ihr hoch. Zumindest glaube ich das. Sonst kann ich mir ihr Verhalten nicht erklären. Aber sie kann mich nicht mal berühren ohne vollkommen auszuflippen. Deshalb ist eine Umarmung nur ein weit entfernter Traum. "Leon?", fragt sie nach Ewigkeiten, in der wir beide nachgedacht haben. "Hm?" "Hast du schon mal jemanden getötet?" Ich habe viel erwartet, doch sicher nicht diese Frage. "Mia...", fange ich an, doch dann stocke ich. Sie wiederholt die Frage nun lauter. Ich raufe mir mit den Händen durch die Haare. "Alles was ich dir jetzt erzähle, wäre vollkommen zusammenhangslos." "Beantworte meine Fragen!", fordert sie mich auf. "Ja.", antworte ich leise. Ich höre wie sie schwer atmet. "Aber ich...", versuche ich es zu erklären. Doch sie unterbricht mich. "Wie viele?" Da ich weiß, dass ich die Frage beantworten muss, egal wie lange ich es hinauszögere, sage ich: „Neun." Ich höre ein Keuchen von der anderen Seite. "Ich bin kein schlechter Mensch.", füge ich schnell hinzu. Doch ich erhalte keine Antwort. Warum muss das alles so schwierig sein? Habe ich kein Happy End mit dem Mädchen welches ich liebe verdient? Gibt es im echten Leben überhaupt etwas, was man mit einem glücklichen Ende betiteln könnte? Ich seufze und lehne mich gegen den kühlen Stein.

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