Kapitel 215

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Das Klingelzeichen beendete die letzte Stunde und Tobio verstaute seine Lernmaterialien in seiner Tasche.

„Wir sehen uns morgen, Schwuchtel!", rief Kato, während er fies grinsend auf die Tür zuging.

Tobio erwiderte das Lächeln. „Vielleicht sind dir bis morgen noch ein paar andere Begriffe eingefallen. Immer wieder nur ‚Schwuchtel' oder ‚Schwuppe' genannt zu werden, wird mit der Zeit langweilig, findest du nicht?"

Der Blick des Rothaarigen verfinsterte sich und er stapfte ohne ein weiteres Wort aus dem Raum.

„Ist das deine Definition von ‚nicht provozieren lassen'?", fragte Chiyoko und lehnte sich mit verschränkten Armen keck an das Fensterbrett unmittelbar vor Kageyamas Sitzplatz.

Tobio zuckte mit den Achseln. „Solange ich nicht handgreiflich werde, sollte Tetsu wohl nichts dagegen haben, wenn ich mich verbal verteidige."

Die Augen der Managerin wurden groß. Verbal, echote sie innerlich. Seit wann konnte sich der Setter so vornehm ausdrücken? „Trotzdem. Pass auf, dass es nicht aus den Fugen gerät."

„Ja, ja", antwortete Tobio genervt und stopfte das Stiftetui in seine Tasche, ehe er den Reisverschluss dieser zuzog.

Das Klassenzimmer leerte sich zusehends. Jeder Schüler, der zur Tür hinausging, warf für diesen Tag noch einen letzten Blick auf Kageyama – einen letzten, giftigen Blick.

„Kuroo hätte das vorhin nicht tun dürfen", platzte es aus Chiyoko heraus. „...dich küssen, meine ich..."

Lev wand sich unwohl. Mit Sicherheit hatte dieser leidenschaftliche Kuss zwischen den beiden Schwarzhaarigen auch Chiyoko tief im Herzen getroffen.

Tobio überlegte lange, ob er etwas darauf erwidern sollte und wenn ja, was er darauf erwidern sollte. Er verstand selbst noch nicht so ganz genau, was vorhin auf dem Flur geschehen war. Zunächst hatte er Tetsurou aus einem Reflex heraus von sich gedrückt, als dieser ihn küssen wollte. Doch schon in der nächsten Sekunde hatte er dies zutiefst bereut. Als Tetsurou sich dann schließlich umgedreht hatte und im Begriff war zu gehen, da hatte sich plötzlich eine unerträgliche Schwere auf sein Herz gelegt und das Verlangen, von seinem Freund geküsst zu werden, war ins unermessliche gewachsen. Jegliche Kraft war plötzlich aus ihm gewichen und er war sich sicher gewesen, dass er jeden Augenblick einfach zusammenbrechen würde. Er hatte das Gefühl gehabt, als würde etwas Schlimmes geschehen, sollte er Tetsurou ohne einen Kuss gehen lassen. Deshalb hatte er den Satz nach vorne gemacht, deshalb hatte er Tetsurou an den Sachen gepackt, deshalb hatte er so verzweifelt nach ihm gerufen... „Ich wollte, dass er mich küsst."

„Was? Wieso?", fragte Chiyoko ungehalten. „Damit habt ihr den Lästermäulern nur noch mehr Nahrung gegeben!"

Lächelnd sah Tobio zu seiner Managerin hinauf. Natürlich konnte er all das, was ihm gerade durch den Kopf gegangen war, nicht laut aussprechen – Chiyoko würde ihn für völlig bekloppt halten. Er selbst fand das, was er vorhin empfunden hatte, ebenso irrational. Aber gegen Gefühle war man machtlos, nicht wahr? Deshalb gab er dem Mädchen eine andere, jedoch nicht weniger wahre Antwort. „Jeder weiß jetzt, dass Tetsu und ich ein Paar sind. Es gibt keinen Grund mehr für uns, unsere Beziehung zu verheimlichen. Die Leute, die lästern wollen, werden auch weiterhin lästern, egal, was wir tun oder was wir nicht tun. Ich habe früh gelernt, mich damit abzufinden."

„Aber...", begann Chiyoko. „Aber das... das ist doch nicht richtig!"

Tobio zuckte mit den Schultern. „Ich kann damit umgehen, ehrlich."

Chiyoko blinzelte fassungslos. Dagegen konnte sie nichts mehr sagen, doch... sie hoffte inständig, dass Tobio mit seiner Selbsteinschätzung richtig lag.

Rivalität mit Folgen [Teil 2]Where stories live. Discover now