Kapitel 360

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Oikawa.

Tobio hatte wirklich sehr gehofft, diesen Namen nie wieder hören zu müssen. Doch nun war er bereits das zweite Mal innerhalb kürzester Zeit an seine Ohren getragen worden.

Oikawa.

Würde er sich am Mittwoch auch diesem Schreckgespenst aus seiner Vergangenheit stellen müssen? Er konnte sich nicht vorstellen, wie das ablaufen sollte. Wenn der Staatsanwalt Oikawa als Zeugen aufrief, dann bedeutete dies, dass Oikawa nicht GEGEN ihn, sondern FÜR ihn aussagte, was – wenn man mal ganz ehrlich war – abstruser nicht sein konnte. Und was genau würde Oikawa dann eigentlich aussagen? Würde es tatsächlich um die damalige Entführung gehen? Hatten Oikawa, Kunimi und Kindaichi wirklich auf Anweisung seiner Eltern gehandelt? Für Keiji und Tetsurou mag das vielleicht der einzig richtige Schluss sein, doch ihm fiel es noch immer schwer, auch diesen Vorfall auf das Konto seiner Eltern zu laden. Denn das würde bedeuten, dass einfach ALLES, was in seinem bisherigen Leben schief gegangen war, von seinen Eltern böswillig herbeigeführt worden war – wovon Tetsurou bereits fest überzeugt war. Das einzige, was er dann auf seine eigene Kappe zu nehmen hatte, war der Umstand, dass er in der Mittelschule Oikawas Hass auf sich gezogen hatte.

Hätte er Oikawa während ihrer gemeinsamen Zeit an der Mittelschule als Freund gewinnen können, wäre dieser vermutlich niemals zum Komplizen seiner Eltern geworden. ... und er selbst wäre niemals entführt, verprügelt und in der Kälte, in einer gottverlassenen Industrieruine zum Sterben zurückgelassen worden... und für Tetsurou hätte es dann niemals einen Grund gegeben, zu Tode verängstigt zu sein und in Sorge um ihn zu vergehen... Hätte, hätte, hätte... So viele Spekulationen, aber keinerlei Gewissheiten.

„—io!"

„Tobio!"

„Hm?" Endlich schreckte Tobio aus seinen Gedanken und fand sich sichtlich überrascht vor dem Eingang des Gerichtssaals wieder. Vor ihm stand Tetsurou, der eine Hand an seine Wange gelegt hatte und ihn besorgt musterte.

Es gab so viel zu sagen, so vieles, über das geredet werden musste, doch so wenig Zeit. Tetsurou hasste es, Tobio jetzt gehen und dessen eigenen Gedanken zu überlassen. „Versuch dich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, okay? Über das, was morgen und übermorgen kommt, machen wir uns nach der Verhandlung Gedanken."

„J-Ja, okay", erwiderte Tobio mit einem abgehackten Nicken.

Tetsurou wusste, dass seine Worte wenig Substanz hatten, doch im Augenblick konnte er nichts anderes tun. „Na, komm", sagte er und geleitete Tobio in seinem Arm nach vorne.

„Bis nachher", brachte Tobio mit schwacher Stimme hervor, ehe er sich mit viel Selbstdisziplin von seinem Freund löste und dem Staatsanwalt zur Klägerbank folgte.

Schwermütig sah Tetsurou dem Jungen nach. Für heute hatten sie eine ganze Palette an Zeugenaussagen auf der Agenda, was den Tag mit ziemlicher Sicherheit furchtbar in die Länge zog. Erst am späten Nachmittag würden sie zuhause ankommen und sich gemeinsam ins Bett kuscheln können. Er seufzte und wollte sich gerade in die Sitzreihe zu seinem angestammten Platz schieben, als ihn eine Hand auf der Schulter zurückhielt. Fragend sah er neben sich.

„Können wir heute die Plätze tauschen?"

Tetsurou blinzelte verdutzt. „Sicher", sagte er knapp und trat beiseite, um Akaashi den Vortritt zu lassen. Er schielte zu Kou, der von der neuen Sitzordnung sichtlich angefressen war und sich in Missfallen wand, dabei jedoch geflissentlich schwieg, um dem Streit mit Keiji keinen neuen Zündstoff zu liefern. „Weißt du noch immer nicht, was du angestellt hast?"

Der verzweifelte Blick des Grauhaarigen machte jede weitere Antwort unnötig. Tetsurou nickte und schob sich schließlich durch die Reihe zu seinem Platz. Ein kurzer Blick auf Akaashi verriet ihm, dass dieser fest gewillt war, seinem Freund keinerlei Beachtung zu schenken. In was für ein Fettnäpfchen Bokuto da auch getreten war, es musste sich um ein abnorm großes handeln. Seine Gedanken wurden unterbrochen, als er zu seiner Rechten eine Bewegung ausmachte: Suzume und Masato wurden von den uniformierten Polizisten in Handschellen in den Raum geführt. Hinter ihnen schritt mit wie üblich arroganter Miene der Verteidiger durch den Gang als wäre dieser ein Laufsteg.

Rivalität mit Folgen [Teil 2]Where stories live. Discover now