94 - Epilog Pt. II : Julia

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Epilog Pt. II
»Julia«

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Julia

Ich konnte den Gebäudekomplex ACRO Seoul Forest, in welchem ich von nun an leben würde, schon vor der Überquerung des Hangangs erkennen. Die hohen Wolkenkratzer fielen sofort auf durch ihre verschachtelten Fassaden, die vielen Balkone und die riesigen Fensterfronten, in denen sich das Sonnenlicht spiegelte. Unruhig begann ich auf meinem Ledersitz hin und her zu rutschen. Nicht, weil ich scharf auf den Luxus war, der mich in meinen neuen vier Wänden erwarten würde – dieser stimmte mich eher unbehaglich, da ich ihn eigentlich nicht verdiente. Der Grund für mein immer schneller schlagendes Herz und meine schwitzigen Finger war einzig und allein Taehyung, von dem mich inzwischen nur noch die Seongsu-Brücke trennte.

Ein Vierteljahr war vergangen, seitdem wir uns das letzte Mal in den Armen gelegen hatten, und ich hätte nie gedacht, dass mir läppische drei Monate einmal so lange vorkommen würden. Und das, obwohl in dieser Zeit so wahnsinnig viel passiert war. Maya und ich hatten uns entschieden, Berlin endgültig hinter uns zu lassen und auszuwandern. Ich war an der Sungkyunkwan-Universität in Seoul angenommen worden und hatte während eines fünfstündigen Facetime-Gesprächs mit Taehyung entschieden, mit ihm zusammenzuziehen. Meiner Familie hatte ich an einem langen Abend mit einer Flasche Wein und vielen Tränen von meinen neuen Zukunftsplänen erzählt, die sich am anderen Ende der Welt abspielen würden. Das hier war keine leichte Entscheidung für mich gewesen und ich hatte sie hunderte Male überdacht, besonders in dem Moment, in dem ich meine Geschwister vorerst fürs letzte Mal geknuddelt hatte. Doch immer wieder war ich bei der Erkenntnis gelandet, dass ich das hier dringend wollte.

Als mein Fahrer Sungho den Wagen an Perlmuttsträuchern vorbei auf das Gelände lenkte, kochte meine Aufregung über und ließ mich ganz hibbelig werden. Wir befuhren ein mit edlen Schieferplatten verlegtes und überdachtes Rondell, welches von weißen Einbaustrahlern beleuchtet und von hochwertigen Rundsäulen gestützt wurde. Hier befand sich der Parkplatz, an dem ich schließlich samt Gepäck eingehüllt in extreme Hitze stand und nur mit offenem Mund die moderne Anlage anstarren konnte. Gigantische Brunnensysteme, penibel gestutzte Grasflächen und vergoldete Skulpturen, so weit das Auge reichte. Das hier war überhaupt nicht meine Liga. Alles schrie Reichtum...Bonzen...Protzerei.

Meine butterweichen Knie schafften es schließlich irgendwie, mich durch die mit Marmor geflieste Eingangshalle zum Fahrstuhl zu tragen, der mich nach ganz oben in den 49. Stock transportierte. Doch hier verharrte ich vor der dicken Tür aus schwarzer Esche und konnte mich einfach nicht dazu durchringen, die Schlüsselkarte – die mir Sungho vor seiner Abfahrt überreicht hatte – durch den vorgesehenen Schlitz zu schieben.

Die Tür vor mir war nicht nur irgendeine Tür. Es war das schwarze Tor zu meinem neuen Leben. Von nun an würde ich ein Penthouse über den Dächern Seouls mit Kim Taehyung bewohnen und in Südkorea mein Studium beenden. Ich würde mich an Land und Leute sowie deren Gewohnheiten und Kultur gewöhnen müssen. Außerdem stand mir eine Beziehung voller Versteckspiele und Einschränkungen bevor, die mir ein dickes Fell und viel Rücksichtnahme auf Taes Beruf abverlangte. Ich war durchaus bereit, all dies in Kauf zu nehmen, doch den letzten Schritt in diese Richtung zu gehen, fiel mir in diesem Augenblick doch überraschend schwer.

Ich nahm einen tiefen Atemzug und stieß laut Luft aus, dann öffnete ich mit zittrigen Fingern die Tür und trat über die Schwelle in mein neues Zuhause. Sofort schlug mir eine Welle von Taehyungs typischem Geruch entgegen und versetzte meinem Magen ein intensives Kribbeln. Ich stellte meine Schuhe dort ab, wo Taehyung seine eigenen bereits hingekickt hatte, und eilte dann schnellen Schrittes an deckenhohen Hochglanzeinbauschränken vorbei durch einen langen Flur, der in einer riesigen, lichtdurchfluteten Wohnküche mündete. Hier stützten meterhohe, weiße Säulen die Gewölbedecke und eine gewendelte Treppe führte in die zweite Etage. In dieser Bude könnte man echt ein Tennis-Doppel veranstalten.

perfecт ѕтrangerѕWhere stories live. Discover now