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Nazar.

Heute ist Samstag. Diese Woche habe ich mich ausschließlich nur mit meiner Arbeit beschäftigt und mit dem Lesen. Ja, das Lesen lenkt mich ebenfalls ab. Aber dennoch denke ich an vielen Stellen an Hussein.

Ich kann es einfach nicht abschalten und das macht mir zu schaffen.

Jetzt gerade bin ich ebenfalls am Lesen und hoffe, dass ich mein jetziges Buch bald zu Ende haben werde. Doch ein Klopfen holt mich aus dem Lesen heraus.

„Ja?", rufe ich, aber hebe meinen Blick nicht von meinem Buch auf.

Jemand kommt ins Zimmer und schließt die Tür hinter sich. Die Person spricht nicht und ist ganz leise, was mich etwas irritiert. Sonst reden sie sofort.

Deshalb hebe ich meinen Kopf an und blicke geradewegs zu meinem jüngsten Cousin - Riza.

Was macht er hier?

„Was willst du?", frage ich ihn sofort und lese einfach weiter, ohne ihn großartig zu beachten.

Ich weiß wirklich nicht, was er von mir möchte. Ja, er hat sich daneben benommen in der Vergangenheit und ich weiß auch durch Samra, dass er sich entschuldigt hat und nur das beste für mich möchte. Doch ich weiß wirklich nicht, was er jetzt hier bei mir will.

„Ich wollte mit dir sprechen", antwortet er mir und bleibt immer noch unbeholfen auf der Stelle stehen. „Wenn du möchtest."

Wieso will denn jeder in letzter Zeit mit mir sprechen? Es gibt doch nichts mehr zu bereden.

Seufzend lege ich mein Buch weg und klopfe neben mich auf das Bett. Mit großen Schritten kommt der brünette auf mein Bett zu und setzt sich neben mich hin.

„Es tut mir Leid", beginnt er dann leise und schaut zu mir. Riza sieht mich entschuldigend an und ich sehe ihm die Reue an. Mein Cousin meint es ernst. „Für alles was in der Vergangenheit zwischen uns passiert ist. Was wir durchgemacht haben und was ich dir an den Kopf geworfen habe. Für all die Worte, die dich verletzt haben."

Ich sehe auf meine Hände und spiele an dem Ring herum, welchen ich wieder einmal trage.

„Ich weiß, dass eine einfache Entschuldigung meine Taten und Worte nicht rückgängig machen wird. Aber ich möchte, dass du es weißt", spricht er weiter und atmet tief durch. „Manchmal habe ich die Dinge auch nur gesagt, weil du mir einfach zu viel bedeutest. Du bist nicht meine Cousine, sondern schon immer meine große Schwester gewesen, die ich nie hatte. Vielleicht habe ich mich irgendwann nicht mehr glücklich geschätzt, dass ich jemanden wie dich in meinem Leben habe. Aber das hätte ich tun sollen. Denn du wolltest nur das beste für mich."

Und ich weiß, dass er es genau so für mich wollte. Deshalb hat er auch Samra geschrieben und ihm gesagt, dass er mich nicht verletzten soll. Riza hat sich an seine Worte gehalten und hat es nicht mehr getan. Samra dagegen hat sein Versprechen gebrochen und mich verletzt. Und ich weiß noch, als er meinte, dass es ihm viel mehr zusetzen wird, wenn er mich verletzt.

„Ist vergessen", sage ich auf seine Entschuldigung, mit Tränen in den Augen, denn ich habe einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass es zwischen meinem Cousin und mir wieder gut wird. Doch er schüttelt nur mit dem Kopf.

„Ich bin noch nicht fertig, Nazar", antwortet er mir. „Damals als du mich mit Samra abgeholt hast, habe ich Sachen gesagt, die dich und auch ihn bestimmt verletzt haben. Das war eigentlich nicht mein Ziel. Ich wollte nur nicht, dass du dich in etwas verwickelst, das dich kaputt macht. Ich selbst habe nicht auf dich gehört, als ich verliebt in Cansu war. Aber das zwischen dir und Samra ist anders. Und das weiß ich, seitdem ich mit ihm geschrieben habe."

„Riza, du-"

„Bekle", unterbricht er mich und hebt seine Hand. „Und hör auf zu weinen." Ich lache kurz und lasse meinen Kopf auf seine Schulter fallen. „Ich habe mit ihm geschrieben und ihm gesagt, dass er dich nicht verletzten soll. Und er hat mir geantwortet, dass er es nicht tun wird. Aber ich habe dennoch Angst, dass du wegen deinem Herzen Probleme bekommst."

Ich nicke leicht und schließe meine Augen. Gleich muss ich ihm sagen, dass Samra und ich nicht mehr zusammen sind und er sich keine Gedanken mehr darüber machen muss.

„Also, ich akzeptiere meinen Schwager", führt er dort und schaut zu mir. „Aber ich verstehe nicht, warum ihr morgen nicht zum Frühstück kommt. Ist was passiert oder hat er keine Zeit?"

Vor meinen Augen spielt sich eine Szene ab, wie wir bei meinem Onkel frühstücken und sich meine Familie mit dem Libanesen versteht. Wie er über die unlustigen Scherze meines Onkels lacht, nur damit er gut ankommt, obwohl er das schon tut. Wie er sich mit meinen Cousins versteht und meiner Yenge Komplimente zum Essen macht. Doch je länger ich diesen Traum sehe, desto mehr verblasst er auch wieder.

„Wir haben uns getrennt", beichte ich dann und seufze laut auf. Sofort setzt sich mein Cousin auf und schaut zu mir runter. Er sieht mich fragend an und deutet mir mit einem Nicken an, dass ich weiter sprechen soll.

Ich habe es vermisst, mich mit meinem Cousin über meine alltäglichen Dramen oder sonstigen Geschehnissen auszutauschen.

„Ich danke dir erstmal, dass du Nabil nichts über mich preisgegeben hast", bedanke ich mich dann und lächle ihn an. „Ich war echt überrascht, als er mir gesagt hat, dass er nichts von dir über mich herausbekommen hat."

„Ja okay", gibt er verblüfft zurück. „Wieso hast du mit Nabil gesprochen und was hat das mit der Trennung zu tun?"

„Samra war der Typ aus Kleopatra", antworte ich ihm und hoffe, dass er es versteht. Und das tut er auch.

Riza seufzt laut auf und schüttelt mit dem Kopf. „Nazar. Guck mal. Als wir uns in der Polizeistation gestritten haben, wegen ihm, hast du einen nicht Verwandten in Schutz genommen. Jemanden, der nicht dein Blutsverwandter ist. Du hast Samra in seiner An- und Abwesendheit so in Schutz genommen, dass ich sogar daran gezweifelt habe, ob ich überhaupt noch deine Familie bin. Aber ich habe auch im Nachhinein gemerkt, dass er dir viel zu viel bedeutet", erzählt er mir und lässt mich nachdenken.

Ja, ich hatte ihn in Schutz genommen. Und ja, ich würde es immer wieder tun. Schließlich ist er jemand, der mir viel bedeutet hat.

„Schau mal, egal wie das zwischen euch geendet hat. Ich glaube nicht, dass es das Ende ist. Die Leute, die wissen wie er zu dir steht, können dir sagen, wie sehr er dich liebt. Ich weiß es nicht. Ich habe nur mit ihm geschrieben und durch texten kann man eine Person nicht kennenlernen oder analysieren", fährt er fort. „Aber ich kann sagen, was du fühlst. Ich kenne dich gut genug, auch wenn wir die letzten Jahre nichts zu tun hatten und uns eher gehasst haben als zu lieben. Aber du liebst ihn. Und er ist dein erster Freund. Sowas sollte man wegen einer Kleinigkeit nicht enden lassen. Du hast diese Kündigung hinter dir. Du hast etwas aus dir gemacht und wäre diese Kündigung nicht passiert, würdest du nicht da stehen, wo du heute bist."

Wieso ist Riza so? Wieso platzt er in mein Zimmer, entschuldigt sich bei mir und wirft mir dann solche Worte an den Kopf, die mich zum Nachdenken bringen? Er und ich haben gerade erst einen neuen Start gemacht und ich erzähle ihm gleich, dass was er verpasst hat. Und mein Cousin sagt mir, dass ich Samra liebe und nicht aufgeben soll.

„Offf Riza", brumme ich auf und schlage ihm spaßeshalber gegen seine Schulter. „Studierst du Psychologie? Philosophie?"

„Noch nicht", lacht er. „Aber denk darüber nach. Denn ich glaube echt nicht, dass es euer Ende ist."

𝖥𝖫𝖮𝖶𝖤𝖱𝖲. | 𝙎𝘼𝙈𝙍𝘼. + BEARBEITUNG Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt