26 ✔️

1.7K 87 23
                                    

Nazar.

Samra und ich sitzen noch bis späten Nachmittag auf dem Balkon und genießen die Aussicht.

Es ist kalt, weshalb ich mir von drinnen eine Decke geholt habe. Auch für ihn. Er nahm es stumm an, sagte weder danke oder sonst was. Aber ich weiß auch so, dass er es zu schätzen weiß.

„Hallo?", höre ich dann eine Stimme von Innen und drehe meinen Kopf in die Richtung der Tür, welche zurück in das Wohnzimmer führt. Vladi ist anscheinend nach Hause gekommen.

Samra und ich haben bisher nicht darüber gesprochen, was wir machen würden, wenn sie zurück kommen. Wir haben eigentlich überhaupt kein Wort mehr miteinander gewechselt. Nicht mal gefrühstückt haben wir.

„Lebt ihr noch?", vernehme ich dann das Kichern meiner Freundin und dann Schritte, welche immer näher kommen. „Hier seid ihr ja. Und ihr lebt."

Samra und ich blicken uns sofort an und schmunzeln leicht. Ich glaube, wir sehen uns nur an, weil wir kaum miteinander gesprochen haben und deshalb noch am Leben sind.

„Wir kamen klar", antwortet der Libanese dann und erhebt sich von dem Stuhl. „Aber auch nur, weil wir nicht gesprochen haben."

In dieser Sekunde erscheint auch Capi hinter Rüya und sieht uns für einen Moment verwirrt an, ehe er lächelt. „Hey Bruder, du lebst und deine Augen sind nicht zerkratzt", lacht er und legt dabei einen Arm um Rüya. Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen und beobachte diese Szene, welche sich vor mir spielte. „Wie sieht's an deinem Rücken aus?"

„Was?", geben Samra und ich gleichzeitig von uns und sehen den Ukrainer verwirrt an. Was hat sein Rücken jetzt damit zu tun?

„Was für Rücken, lak? Willst du mich verarschen?", zischt Samra und drängelt sich an seinem Freund vorbei, während Rüya mich musternd ansieht. „Ich würde dieses Mädel nicht mal mit einer Kneifzange anfassen."

Das sitzt. Und wie es sitzt. Es tut weh, sowas zu hören, vor allem wenn man es selbst hört.

Seufzend schaue ich auf meine Hände und senke dabei meinen Blick.

Bin ich wirklich so anstrengend? So überhaupt nicht der Typ von Männern? Muss ich etwas an meiner Einstellung ändern, damit auch die größten Kanacken etwas von mir wollen?

Aber wieso ist es mir wichtig, was Samra von mir hält? Will ich überhaupt, dass er mich leiden kann? Es kann ja wohl nicht permanent so zwischen uns ablaufen. Irgendwann müssen wir uns ja verstehen, aber wenn er solche Kommentare abgibt, die mich einfach nur verletzen, dann kann ich nicht anders als ihn zu hassen.

„Pass lieber auf, wie du über sie sprichst, Akkouche", faucht Rüya ihn an und dreht sich um, sodass sie ins Innere sehen kann. „Sie wird dir niemals die Chance geben, dass du sie nur berühren wirst. Weder du noch ein anderer haben es bisher geschafft. Also rede nicht so, als wärst du einer dieser Möchtegern Kings."

Habe ich schon mal erwähnt, wie sehr ich sie liebe, aber auch hasse? In diesen Worten hat sie nun irgendwie erwähnt, dass mich keiner bis dato hatte. Bis zum gestrigen Abend, was mich fast zum Weinen gebracht hat. Aber ich halte meine Dämme aus Wasser fest zusammen. Ich reiße mich zusammen um stark zu wirken und nicht vor diesen beiden jungen Männern in Tränen auszubrechen.

„Hör mal zu, Miss Neun-Mal-Klug. Deine Freundin braucht nicht auf schwer zu haben zu machen", gibt Samra von Innen zurück und ich kann mir seinen Gesichtsausdruck ganz genau vorstellen.

Die Augenbrauen zusammen gezogen, die Lippen auf eine Linie gepresst und seine dunkeln Augen strahlen etwas wütendes aus.

„Irgendwann lässt ihr euch für einen X-beliebigen Typen fallen und werdet es anschließend bereuen, weil er euch nur verarscht hat", spricht er weiter. Ich schaue zu Rüya auf, welche in einer bordeaux roten Jacke steckt und ihre Hände in ihre Hüften stemmt.

„Was für Miss Neun-Mal-Klug? Willst du dich jetzt auch noch mit mir jedes Mal streiten?", erwidert sie und geht nun ebenfalls rein.

Capi und ich schenken uns einen ahnungslosen Blick, ehe ich aufstehe und mit ihm zusammen das Innere betrete. Samra und Rüya stehen sich gegenüber und sehen sich einfach nur an, bis der Libanese zu mir blickt und mich schweigend mustert.

„Hallo? Ich habe dir eine Frage ge-"

„Ich habe sie gehört, Rüya", brüllt Samra nun laut und aggressiv auf. „Und nein, ich hab keinen Bock mich auch noch mit dir zu streiten. Ich weiß nicht mal wieso Nazar und ich uns jedes mal anfauchen wegen nichts. Wenn sie es nicht provoziert, bin ich es. Und wenn ich es nicht tue, dann sie."

Als er das sagt, zeigt er mit seiner Hand in meine Richtung, doch behält seinen Blick stets auf Rüya gerichtet, welche selbstbewusst vor ihm steht und sich nicht unterkriegen lässt.

„Glaub mir, Rüya. Mir reicht eine Person dafür und möglicherweise wird's auch bei deiner kleinen, süßen Freundin bleiben", sagt er und betont die letzten Worte ziemlich ironisch und lässt nun seinen Blick zu mir wandern. „Ich bin weg. Hier geben sich nämlich welche als Engel aus, aber sind es dann wiederum doch nicht."

Samra geht. Er verabschiedete sich nicht mal von seinem Freund und verschwindet einfach aus der Tür. Das macht mich schon wieder so rasend, dass ich am liebsten hinterher gerannt wäre und ihn irgendwelche Worte an den Kopf geschmissen hätte. Aber ich bleibe stehen und schaue wie die anderen beiden einfach nur stur nach vorne.

„Krass", nuschelt Capi und schüttelt mit dem Kopf. „Krass, alter. Ich dachte, ihr streitet euch immer nur aus Spaß und wir haben deshalb versucht euch hier alleine zu lassen, damit ihr es klärt und es nicht mehr macht."

Ich schüttle nur mit dem Kopf und sehe zu Rüya, welche wie angewurzelt dort steht und sich nicht mehr bewegt. „Rüya?"

„Ich bringe ihn um, damit das klar ist!", zischt sie und dreht sich in unsere Richtung. „Was erlaubt er sich mit uns so zu sprechen? Was denkt er, wer er ist, huh?"

„Rüya-"

„Nein man, ich werde jetzt selbst nicht aus diesem Kerl schlau. Er soll mal nicht auf mysteriös machen oder auf Badboy, Fuckboy Kanacke, der niemanden an sich heran lässt", spricht sie einfach weiter und schnaubt genervt auf.

„Rüya-"

„Was ist?", faucht sie den Jungen zwischen uns an und sieht mit einem wütendem Gesichtsausdruck zu ihm. Ihre hellbraunen Augen strahlen nur Wut heraus.

„Hussein ist Libanese. Seine Kultur ist anders. Genau so wie die Frauen, welche sich nicht verteidigen, aber ihr tut es eben", versucht er es meiner besten Freundin zu erklären. „In seinem Leben gab es nur eine Frau, die ihm die Stirn geboten hat. Und jetzt sind es zwei. Versteh mich nicht falsch, Prinzessin. Aber er kennt es nicht anders. Das ist sein Lifestyle."

„Ich fick sein Lifestyle, Capi", zischt sie wieder wütend auf und läuft aus dem Wohnzimmer.

Während Rüya nicht mehr im Raum ist, setzen Capi und ich uns auf die Couch hin. Auch wir bleiben für einige Sekunden stumm, verarbeiten alles, bis er diese Stille beendet.

„Er hat dir aber nichts angetan oder?", höre ich ihn fragen, worauf ich nur mit den Kopf schüttle.

Doch mir kommt der Kuss in den Sinn, und dann seine Worte, dass er mich niemals anfassen würde. Aber das hat er ja irgendwie schon. Er hat mich geküsst und dann streitet er es ab?

Habe ich ihm an seinem Ego gekratz, weil ich ihn nicht gelassen habe und einfach gegangen bin?

Wieso hat er mich überhaupt geküsst?

𝖥𝖫𝖮𝖶𝖤𝖱𝖲. | 𝙎𝘼𝙈𝙍𝘼. + BEARBEITUNG Where stories live. Discover now