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Nazar.

Capi hält an einer Polizeistation nahe des Zentrums in Berlin an. Während Capi und Rüya entspannt aus dem Wagen steigen, springe ich aus diesem und falle fast auf meine Nase, wenn der Rapper mich nicht festgehalten hätte.

„Alles okay, Katze?", fragt er mich besorgt und sieht mich auch so an. „Du musst nicht so schnell machen. Wir holen ihn da raus. Unser Anwalt ist hier und einer der besten."

Anwalt. Er hat einen Anwalt angerufen, obwohl wir nicht mal wissen, ob wir einen brauchen. Aber vielleicht ist es auch besser so. Denn vielleicht, aber auch nur vielleicht, kommt er so schneller raus.

Mir wäre es dann gleichgültig, wenn er mich anbrüllt, weil ich über den Platz gelaufen bin. Denn jedes Mädchen weiß, es ist zur Abendstunde alles andere als sicher.

„Lass uns rein", nuschle ich und laufe dann mit ihm und Rüya rein. Dort sehe ich sofort viele der Blaumänner hin und her laufen, einige Bürger reden mit ihnen und andere sitzen in der Ausnüchterungszelle. Und dort erkenne ich den betrunkenen Mann von eben. Er sitzt auf einer Bank, sein Kopf ist an der Wand hinter ihm gelehnt und seine Augen geschlossen. Seine Arme hat er vor seinem Oberkörper gekreuzt. Wahrscheinlich schläft er.

Meine Augen haften an ihm und ich bekomme den Blick auch nicht mehr von ihm los. Es ist überhaupt seine Schuld, dass Hussein hier gelandet ist. Dass wir nun wegen ihm hier sind und hoffen müssen, dass alles glatt läuft.

„Jo Vinni Bruder", vernehme ich Vladislav's Stimme und schrecke kurz zusammen, ehe ich zu ihm schaue und einen großen, älteren Mann bei uns stehen sehe. Neben ihm ein Anzugträger mit Brille und Glatze. „Danke, dass du so schnell gehandelt hast. Schwöre, du hast was gut bei mir."

„Einen Monat Döner auf dein Nacken und wir beide sind quit", lacht der brünette Mann auf und richtet seine Augen dann auf mich. „Und du bist Nazar, stimmt's? Samra's Freundin oder?"

Samra's Freundin. Es klingt anders gut. Anders schön.

Ich lächle ihn nur an und nicke kaum bemerkbar auf. Denn ich fühle mich nicht danach zu sprechen. Nicht, wenn ich nicht weiß, wie es Hussein geht. Nicht, wenn ich nicht weiß, ob er heute noch raus kommt.

„Das ist übrigens unser Anwalt Herr Golding. Er ist einer der besten aus Berlin und hat uns schon seht oft raus geholfen", stellt dieser Vincent ihn mir vor. So höflich wie ich eben bin, reiche ich dem Anwalt meine Hand, welche er lächelnd annimmt.

„Ich sehe schon an Ihrem Gesichtsausdruck, dass Sie Bedenken haben", sagt er und schaut mich mit einem lächelnden Gesicht an. „Aber seien Sie gewiss, ich rette seinen Arsch da raus. Wie schon so oft."

Wie schon so oft. Hussein, was machst du bloß für einen Mist? Was hast du gemacht, als du mich noch nicht kanntest?

Ich nehme einen tiefen Atemzug und nicke dann, obwohl ich mir immer noch nicht sicher bin, dass alles ins Gute verläuft. Momentan bin ich pessimistisch und würde Hussein anschreien und schlagen, weil er sich in die Scheiße geritten hat, wegen mir. Am liebsten würde ich mir selbst eine reinhauen, weil ich so dumm gewesen bin und nicht auf mein Bauchgefühl gehört habe.

Doch am aller liebsten will ich dem Libanesen einfach nur in die Arme fallen und alles heraus weinen. Ich will weinen, schreien und das nur in seinen beschützenden Armen. Ich will einfach nur, dass er mich in die Arme nimmt und mir sagt, dass alles gut wird und ich mir keine Gedanken mehr darüber machen muss. Doch jetzt gerade wird das nicht passieren, denn ich weiß nicht mal, wo er sich befindet. Wir sind zwar im selben Gebäude, doch nicht im selben Raum.

„Herr Golding, ich bitte Sie zu ihrem Mandanten zu gehen. Er verlangt nach Ihnen", höre ich eine Stimme und schaue zu einen der Beamten, die hier am Arbeiten sind. Der glatzköpfige Mann nickt ihm zu, doch dreht sich im nächsten Augenblick zu mir.

„Sie waren dabei, oder?", fragt er mich und lässt alle anwesenden zu mir schauen. Capi und Rüya wissen halbwegs schon, was passiert ist. Doch weder Vincent noch der Beamte wissen Bescheid. Ich nicke auf seine Aussage, da sie sich kaum wie eine Frage angehört hat. „Gut. Wir haben dann eine Zeugin, die ich gerne zur Befragung zulassen würde, bevor ich mit Herrn Akkouche spreche. Wenn es für die Zeugin in Ordnung ist."

Sofort nicke ich, denn ich würde alles tun, nur damit es schneller geht. Für ihn.

Der Beamte nimmt den Vorschlag an und bittet uns beide in einen Raum zum Verhör, wo ich mich mit dem Anwalt auf eine Seite des Tisches setze und nervös darauf warte, dass jemand kommt, der mit uns spricht.

Zum ersten Mal in meinen 23 Jahren sitze ich in einer Polizeistation am Verhörungstisch und habe Angst. Nicht, dass es einer aus meiner Familie erfährt, sondern dass es schlimm endet.

„Kann ich Sie duzen?", fragt Herr Golding mich und blickt zu mir. Ich erwidere seinen Blick und  nicke. „Gut, ich bin Robert."

„Nazar."

„Also, bevor die Polizisten hier gleich herein stürmen und dich mit Fragen bombardieren; antworte nur auf das, was du für wichtig hältst und erzähle nur das, was auch wirklich passiert ist. Wenn Fragen gestellt werden, die nichts mit dem Thema zu tun haben, werde ich dazwischen gehen. Du musst nichts beantworten, wenn du nicht willst", erklärt er mir dann, bevor zwei Polizisten herein kommen und sich zu uns setzen. Einer mit einem Notizblock.

„Herr Zander und das ist mein Kollege  Oeldes", stellt der bärtige Mann sich vor und schaut dann zu mir. „Sie sind also die Zeugin, die es gesehen hat?"

Ich schaue zu Robert, welcher kurz nickt. „Ja", sage ich heiser und stütze mich ab.

„Und Sie haben nicht die Polizei benachrichtigt, weil?", fragt er weiter nach und schaut mich durchdringlich an.

Schluckend schließe ich die Augen und habe wieder das ganze Szenario vor meinen Augen. „Weil ich versucht habe, meinen Freund von dem betrunkenen Mann, welcher mich fünf Minuten zuvor belästigt hat, wegzuziehen." Nach dem Satz schlage ich sofort meine Augen auf und schaue in die überraschten Gesichter der Beamten. Damit haben sie wohl nicht gerechnet. „Ich war unterwegs zum S-Bahnhof, weil Hussein mich dort abholen wollte. Und während ich über den Alexa gelaufen bin, kam da dieser Mann, hat mich einfach am Arm gepackt und wollte mich nicht mehr loslassen, obwohl ich ihn sogar darum gebeten habe. Dann kam eins zum anderen."

Der mit dem Notizblock schreibt sich einige Dinge auf und schaut dann zu mir, zieht dabei seine Augenbrauen zusammen. „Haben Sie oder Herr Akkouche eine Bedrohung gesehen?"

Ich wende meinen Blick zu Robert, welcher mit dem Kopf nickt. Ich soll antworten. „Ganz ehrlich? Ja. Er hat mich berührt, wie mich sonst keiner berührt hat und noch dazu hinzuzufügen, habe ich gesehen, wie er was aus seiner Jackentasche heraus geholt hat. Es sah aus wie eine Spritze, hätte aber auch etwas anderes sein können."

Gerade als er mich wieder etwas fragen möchte, hört man aus dem Flur jemanden herum brüllen. Laut und aggressiv.

„Verfickte Scheiße, ich werde nicht reden, sobald nicht mein Anwalt hier am Tisch sitzt!"

𝖥𝖫𝖮𝖶𝖤𝖱𝖲. | 𝙎𝘼𝙈𝙍𝘼. + BEARBEITUNG Where stories live. Discover now