𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝙳𝚛𝚎𝚒𝚞𝚗𝚍𝚏𝚞̈𝚗𝚏𝚣𝚒𝚐

120 19 41
                                    

Vier Wochen vor dem Unfall:

Mein Leben war das reinste Chaos.
Julian wusste, was passiert war. Blake wusste es mittlerweile ebenfalls. Wir alle drei wussten, wer wirklich der Vater war und doch behauptete Blake das Gegenteil. Es stand zwei gegen eins, warum gewann Blake allein trotzdem?

Warum hatte ich nicht ahnen können, dass Blake sofort zu meinen Eltern rannte, bevor ich es überhaupt getan hatte? Nur weil ich zu feige gewesen war? Da hatte ich noch gedacht, vielleicht hätte er Verständnis. Vielleicht wollte er gemeinsam eine Lösung finden. Aber nein. Er war nur panisch und feige und zerstörte dadurch direkt mehrere Leben.

Gegenwart:

Der Montag nach meinem alles vernichtenden Wochenende ist grauenvoll. Am liebsten würde ich den ganzen Tag in meinem Bett unter der Bettdecke verkrochen bleiben und eine Tafel Schokolade nach der anderen in mich hinein stopfen.

Dummerweise bleibt es mir nicht erspart noch zwei weitere Wochen in die Schule zu gehen. Zumindest habe ich nicht mehr den Druck meiner Abschlussprüfungen auf mir. So kann ich mich in das Klassenzimmer setzen und genauso verträumt an die Wand starren, wie ich es zu Hause auch täte.

Leider habe ich Jo nicht mit eingerechnet, die zwar schlau genug war, mich am Abend des Balles nicht nach dem Grund für meinen Zusammenbruch zu fragen, sich aber jetzt nicht mehr zurückhalten kann vor lauter Sorge.

»Emi? Du bist ja in der Schule? Du siehst schrecklich aus!« Nicht einmal bei dieser lustig gemeinten Bemerkung bringe ich ein Lächeln zustande. Dabei hat Jo nicht ganz Unrecht. Immerhin habe ich zwar eine ganze Stunde unter der Dusche gestanden, das Shampoo allerdings kein bisschen angerührt. Ich muss ständig an das Was wäre, wenn denken und an alles, was stattdessen wirklich passiert ist.

Obwohl ich keine Vorstellung von einer Schwangerschaft habe, zieht sich in mir alles zusammen, wenn ich daran denke, wie sich eine Mutter fühlt, wenn sie ihr Kind verliert.

Eigentlich erwarte ich mehr von Jo als nur diese Bemerkung, aber anscheinend hat sie verstanden, dass ich keinerlei Reaktion zeige. Ich schlendere bloß leblos neben ihr zum Unterricht ohne den Kopf zu heben.

Kommt es mir nur so vor oder scheinen alle seit Samstag viel fröhlicher und lustiger unterwegs zu sein? Sie hatten vermutlich einen unvergesslichen Abend. Leider hatte ich den auch, nur ist das völlig nach hinten losgegangen.

»Willst du reden?«, fragt Jo noch einmal, bevor wir uns auf unseren Plätzen niederlassen. Es ist das erste Mal, dass ich etwas anderes als den kalten Betonboden sehe. Meine Enttäuschung ist zu groß, als ich bemerke, dass auch nach dem zweiten Klingeln kein hellbraunhaariger Kerl mit graugrünen Augen das Klassenzimmer betritt.

Der Tag ist komplett gelaufen für mich.

Wie soll ich denn die letzten beiden Wochen meiner Schulzeit genießen, wenn da ständig dieses Bild vor meinen Augen schwebt... Seit gestern deute ich auch meinen schrecklichen Albtraum anders. Es macht zwar alles mehr Sinn bisher, ich wünsche aber, das täte es nicht.

»Gerade nicht. Ich muss erstmal... nachdenken. Viel nachdenken!«
»Okay und du bist dir sicher, dass dir der Tisch dabei helfen kann?«, fragt Jo, als ich müde meine Stirn gegen die Tischplatte lehne. Ich schüttle mit dem Kopf. Das wird er nicht, aber die vielen Menschen um mich herum machen es auch nicht besser.

Jo zieht mich in den Pausen und beim Mittagessen von den Mädels weg, die sich ständig suchend nach uns umdrehen. Aber auch jetzt gibt mein Verstand keine Ruhe.

»Danke!«, murmle ich, als wir unser Essen mit nach draußen nehmen, um uns einen Platz im Schatten zu suchen. Das ist das erste Wort, das ich heute lauter sage und ich bereue sofort, kaum etwas getrunken zu haben. Mein Hals fühlt sich schon seit Tagen so kratzig an.

𝙻𝚘𝚜𝚝 𝙼𝚎𝚖𝚘𝚛𝚒𝚎𝚜 ~ 𝙼𝚢 𝚆𝚊𝚢 𝙱𝚊𝚌𝚔 𝚃𝚘 𝚈𝚘𝚞 ~Where stories live. Discover now