𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝚉𝚠𝚘̈𝚕𝚏

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Einen Monat vor dem Unfall:

Ich erinnerte mich gerne zurück an meinen ersten Kuss mit Julian, gerade jetzt, da alles wieder den Bach runter ging.
Es gab nur eine einzige Sitzbank in der gesamten Innenstadt und wir waren so lange gelaufen an dem Abend, dass das unser einziger Fluchtweg war.

Wann wir uns dann endlich geküsst hatten, wusste ich nicht mehr. Ich wusste nur noch, dass mir endlich klar wurde, wie falsch meine Beziehung zu Blake war und dass ich für ihn niemals so etwas empfinden konnte, wie für Julian.

Seitdem versuchte ich Blake irgendwie loszuwerden, aber er kreuzte ständig wieder auf. Er wusste genau, dass die Bank Julians und mein Ort war, deshalb lauerte er immer in der Stadt, um uns zu erwischen.

Irgendwann trafen Julian und ich uns dann in seinem Schrebergarten, bis er bei einem Unwetter zerstört worden war. Tja und jetzt hatte ich Julian seit fast zwei Wochen nicht mehr gesehen.

Gegenwart:

Ich bin auf dem Weg zu dieser gottverdammten Bank. Ja, ich weiß, dass ich mir fest vorgenommen habe, Julian nicht zu treffen. Nur leider hat Simon mich wiederholt daran erinnert, dass Julian mir irgendeine unbekannte Wahrheit sagen solle.

Um das zu klären, habe ich mich zu meinem Zwilling ins Auto gesetzt. Ich will dieses Gespräch bloß hinter mich bringen. Deswegen bin ich auf dem Weg zu dieser dämlichen Bank. Und auch nur deswegen. Nicht etwa, weil dieses Gefühl in meinem Magen, welches Julian in mir auslöst, mein Herz zum Beben bringt.

Genervt steige ich aus Simons Auto aus. Ich habe nicht genau gesagt, wo wir hinfahren, deswegen war es die ganze Fahrt über still.

»Viel Spaß!«, wünscht Simon mir nur augenzwinkernd als wisse er, was ich wirklich vorhabe. Ist anscheinend ziemlich offensichtlich, wie aufgeregt ich bin.

Nicht unerwartet ist Julian bereits da. Mit ausgestreckten Beinen sitzt er auf der Bank und genießt die Sonne. Auch als ich nähertrete, öffnet er kein Auge.
Ich räuspere mich laut und stelle mich direkt in sein Licht. Mein Schatten fällt über sein Gesicht. Das linke Auge offen bemerkt er mich.

»Ich wusste, du würdest kommen!« Schmunzelnd richtet er sich auf. »Setz dich doch!« Er hat mir gar nichts zu sagen. Höchstens, warum aus ihm von einem besorgten Fremden ein grinsender Idiot wurde.

So empfinde ich es zumindest. Oder stelle mir vor, es zu empfinden. Denn nur so ergibt das alles einen Sinn. Aber unglücklicherweise weiß ich ganz genau, dass Julian sich innerlich nur schwer zurückhalten kann, mir nicht zu nahe zu kommen, mich nicht in seine Arme zu schließen und mich nicht mehr loszulassen. Am meisten jedoch macht mir Angst, dass ich diesen Gedanken sogar äußert interessant finde.

»Ich wollte gar nicht kommen!« Er gluckst. »Du bist trotzdem da!«
Scheiße. Stimmt.
»Du wolltest mir von meiner Vergangenheit erzählen?«
»Allerdings.« Auch Julian hat sich jetzt hingestellt, zeigt mir aber die kalte Schulter.

»Du hast dich nicht verändert. Weißt du das?« Mir klappt die Kinnlade herunter.

»Ich hatte fast Angst, der Unfall würde dich verändern.« Er grinst nicht mehr und er scheint auch ganz und gar nicht mehr entspannt zu sein. In seinen Augen liegen wieder diese Enttäuschung und Sehnsucht. Laut hörbar seufzt er. Unruhig lasse ich mich neben Julian nieder.

»Du bist ziemlich gut in Bio, weißt du das?«
»Danke?«
»Weißt du, wann du wieder ins Training darfst?«
»Nächste Woche werde ich den Gips los.« Julian nickt verständnisvoll. Mehr kann ich nicht erwarten? Ich will kein Smalltalk führen.
»Wie geht es deinen Eltern?« Darf ich auch mal Fragen stellen?
»Ganz okay, schätze ich. Das hat sie alles ziemlich mitgenommen. Mom macht sich oft Vorwürfe, sie hätte es verhindern können. Sie hätte strenger sein können.«

𝙻𝚘𝚜𝚝 𝙼𝚎𝚖𝚘𝚛𝚒𝚎𝚜 ~ 𝙼𝚢 𝚆𝚊𝚢 𝙱𝚊𝚌𝚔 𝚃𝚘 𝚈𝚘𝚞 ~Where stories live. Discover now