𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝚅𝚒𝚎𝚛𝚞𝚗𝚍𝚟𝚒𝚎𝚛𝚣𝚒𝚐

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Fünf Monate vor dem Unfall:

Julian und ich waren mit ein paar Freunden in ein Restaurant gegangen. Nichts Spektakuläres. Wir beide saßen dicht nebeneinander auf der Bank und hörten Bennets Geschichten zu.

Julian hatte den Arm um meine Hüfte gelegt und merkte zunehmend, dass meine Gedanken abschweiften. Mein Tag war nicht bombastisch gelaufen und ich fühlte mich nach dem vielen Essen hier elend. Julian zog mich näher an sich heran und grinste. Fragend blickte ich zu ihm.

Er beugte sich zum meinem Ohr und flüsterte: »Weißt du eigentlich, dass ich dich liebe?« Verdattert blinzelte ich ihn an. Ehrlich gesagt, wusste ich das nicht. Es war das erste Mal, dass er das zu mir sagte. Mir kam gar nichts anderes in den Kopf als sofort zu antworten: »Ich liebe dich auch!«

Gegenwart:

Es ist ein reines Wunder, dass es im heißesten Monat des Jahres so stark regnet. Zusammengekauert sitze ich allein auf der Couch und betrachte jeden einzelnen Regentropfen, wie er am Fenster hinunterläuft. Im Hintergrund höre ich das leise Prasseln, wenn die tausend anderen Tropfen auf den Dächern und Straßen von Northbrook landen.

Mir fallen immer wieder die Augen zu, so angenehm ist es. Der Regen macht mich müde und auch ein wenig depressiv, was natürlich perfekt zu meinem Leben passt.

Ständig vergleiche ich die vielen Regentropfen mit anderen Menschen. Es gibt so viele von ihnen und trotzdem ist jeder irgendwie anders. Jede Geschichte, jedes Leben ist durch und durch unterschiedlich.

Aber wie kann es sein, dass ich die Einzige bin, dessen Schicksal schlimmer ist, als es Karma eigentlich zulassen sollte?

Bevor ich mich einer kompletten Depression hingeben kann, klingelt das Telefon und schreckt mich aus meinem Zustand. Vollkommen überrumpelt und in Eile stolpere ich mit Kuschelsocken, die ich zu jeder Jahreszeit trage, wenn ich mich mies fühle oder mich auf der Couch verkrümle, zur Telefonstation.

»Emilia Sant, guten Tag?« So haben es meine Eltern mir mal eingetrichtert, falls ein wichtiger Anruf kommt. Ganz ehrlich, in dieser Familie ist doch sowieso alles geschauspielert.

»Hallo Hübsche!«, erkenne ich Julians Stimme und ich lockere jeden angespannten Muskel meines Körpers wieder und lasse meinen linken Arm baumeln. »Wenn du wüsstest, wie ich aussehe!«, scherze ich und blicke an meiner kurzen Jogginghose, meinen Schneemannsocken und meinem Schlafanzugstop herunter.

»Ich kann es mir vorstellen!«, neckt er mich, woraufhin ich übertrieben mit den Augen rolle und mich zurück auf die Couch plumpsen lasse.

»Warum rufst du übers Festnetz an? Wenn meine Eltern an das Telefon gegangen wären, würde hier die Hölle ausbrechen!« Ich kann Julian am anderen Ende des Hörers leise Lachen hören, bevor er mir antwortet.

»Du gehst ja nicht an dein Handy. Deine Eltern arbeiten immer um diese Uhrzeit und seit Simon mit Jo zusammen ist, verbringt er wohl nicht mehr so viel Zeit zu Hause.«

»Erinnere mich nicht dran!«, seufze ich und suche in der Küche nach meinem Handy. Tatsächlich, zwei verpasste Anrufe. Ich muss mein Handy auf stumm haben. »Okay, okay. Falsches Thema. Cat vermisst dich!«, versucht Julian mich aufzuheitern, weil mein leises Murren wohl nicht zu überhören ist.

»Echt?«, hake ich interessiert nach. Diese Katze ist einfach zuckersüß und ich muss wieder an ihre niedlichen Pfoten denken, die sich beim letzten Mal auf meinen Schoß legten.

»Sie klagt Tag und Nacht, dass du nicht da bist!«, versichert mir Julian und lacht immer weiter. »Haha, ist klar!«, motze ich, doch lache auch noch, als Julian mir sagt, dass es natürlich nicht stimme.

𝙻𝚘𝚜𝚝 𝙼𝚎𝚖𝚘𝚛𝚒𝚎𝚜 ~ 𝙼𝚢 𝚆𝚊𝚢 𝙱𝚊𝚌𝚔 𝚃𝚘 𝚈𝚘𝚞 ~Where stories live. Discover now