𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝚂𝚒𝚎𝚋𝚎𝚗𝚞𝚗𝚍𝚟𝚒𝚎𝚛𝚣𝚒𝚐

111 20 30
                                    

Neun Wochen vor dem Unfall:

Julian hasste Partys. Er war nicht der Typ, der sich gern vor anderen volllaufen ließ und wild irgendwelche Lieder brüllte. Ich konnte ihn also nicht davon überzeugen mit auf Jo's Party nächste Woche zu gehen.

»Bittebitte?«, versuchte ich es erneut und Julian lachte auf. »Nein, ehrlich, Em. Geh du und hab Spaß. Ich bin da nicht gut aufgehoben.«
Na schön, wie er wollte. Und was für einen Spaß ich haben würde! Wir planen diesen Geburtstag seit Wochen. Außerdem könnte der Alkohol eine gute Ablenkung von meinem nervenden Ex sein, dem schon wieder langweilig geworden war und dachte, er kann sich durch billige Tricks die naive Emilia zurück holen.

Oh ja. Da würde eine Menge Alkohol fließen, um mich davon befreien zu können.

Gegenwart:

Einmal noch.

Einmal noch darf ich eine Ausnahme machen. Denn heute soll einer der schönsten Abende meines Lebens werden: Unser Abschlussball.

Per Handy habe ich mit Julian vereinbart, dass ich vorher zu ihm komme. Er hat zwar nur widerwillig zugestimmt, aber so macht es mehr Sinn, weil er deutlich näher an der Schule wohnt.

Und ich glaube mit mir möchte niemand gerne diskutieren. Schon gar nicht Julian nach unserem letzten Treffen. Denn seither ist alles perfekt und das ist noch untertrieben.

Jo und ich machen uns zusammen bei mir zu Hause fertig, was nicht nur mir seltsam erscheint. Immerhin geht sie mit Simon.

Ich muss zugeben, die beiden sind ziemlich gut im Verstecken. Ich habe sie noch nicht einmal in der Öffentlichkeit mehr machen sehen, als Händchenhalten. Ehrlich gesagt reicht mir das schon. Allerdings habe ich mittlerweile auch ein Händchen dafür, mein Liebesleben zu verbergen.

Zwar auch vor meinen Eltern, aber ich schaffe es sogar bei Jo meine immer noch anhaltende Freude wegen Julian und letztens zu kaschieren und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Dabei geht mir Julian nicht mehr aus dem Kopf.

»Bist du aufgeregt?«, fragt mich Jo, als ich ihr gerade die dritte Schicht Wimperntusche drauflege. Dreifach hält eben besser.

»Warum sollte ich?« Behutsam verschließe ich den Deckel der Mascara und mache mich über den letzten Schliff des Eyeliners her.

Ich habe es geschafft, Jo's langen Haare in Engelslocken zu verwandeln, die ihr nun über das peachfarbene Kleid fallen. Schon die ganze Zeit überlege ich, ob sie das Kleid nicht sogar im gleichen Laden gekauft hat wie ich meines damals.

»Weil das unser letzter richtiger Abend zusammen ist. Danach haben wir nur noch zwei Wochen und dann...« Jo senkt traurig die Lider.

»Ich weiß, was du sagen willst, Jo. Ich glaube, das war die kürzeste Schulzeit, die ich jemals hatte«, lache ich über mich selbst. Insgesamt kann ich mich ungefähr an vier Monate meiner Schulzeit erinnern. Mehr nicht. Ich fand es gar nicht mal so schlimm.

Jo schmunzelt in sich hinein, während ich mit ein wenig zu viel Haarspray einige Strähnen festige, die ich ihr aus dem Gesicht nach hinten streiche.
Heute soll alles perfekt sein.

»Früher hast du mal gesagt, dass du irgendwann die Tage hinunter zählen würdest, bis zum letzten Schultag und von da an jedes Jahr eine Party schmeißen würdest, um dich daran zu erinnern, dass du die Schulzeit überlebt hast!«, erinnert sich meine beste Freundin an mein altes Ich. Ich bezweifle, dass ich das heute auch gemacht hätte, aber die Idee klingt ganz lustig.

»Naja, überlebt finde ich ein wenig übertrieben. Aber wir haben es wirklich geschafft!«, mache ich mir selbst noch einmal bewusst.

»Jaja, sagt die mit dem Einserschnitt!«, neckt mich Jo und ich grinse.
»Streberin!«, ärgert sie mich und ich strecke ihr im Spiegel die Zunge heraus. Wenn es einen Vorteil meines neuen Gedächtnisses gibt, dann der, dass ich mir wirklich alles merke. Genau das hat mir dann doch zu einem wirklich guten Schulabschluss verholfen.

𝙻𝚘𝚜𝚝 𝙼𝚎𝚖𝚘𝚛𝚒𝚎𝚜 ~ 𝙼𝚢 𝚆𝚊𝚢 𝙱𝚊𝚌𝚔 𝚃𝚘 𝚈𝚘𝚞 ~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt