𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝙳𝚛𝚎𝚒𝚜𝚜𝚒𝚐

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Fünf Wochen vor dem Unfall:

So aufgebracht hatte ich Julian noch nie erlebt. Er kochte regelrecht vor Wut.
Ich wusste, er hasste Blake. Das war kein Geheimnis. Doch was er vorhatte, war Wahnsinn. Es überschritt all seine Prinzipien.

»Julian, das kannst du nicht machen!«, warnte ich ihn, doch er war wie geblendet. Selbst mich schrie er nun an.

»Doch! Es reicht mir. Was er macht... Dass er sich ständig noch in dein Leben einmischt. Und dann Jo's Geburtstag...«

Er war verletzt, das war verständlich. Anscheinend aber so schlimm, dass ihn jeglicher Verstand verließ. So kannte ich ihn nicht. Schon oft hatte er gedroht, Blake in seine Schranken zu verweisen. Doch gerade machte er mir wirklich Angst. Denn es sah nicht danach aus, als würde er dieses Mal einen Rückzieher machen.

Gegenwart:

Durch das Fenster strahlen vereinzelnd Sonnenstrahlen. Weil ich das Gefühl habe, lange genug gelegen zu haben, möchte ich aufwachen. Im Moment bin ich noch im Halbschlaf versunken. Meine Augenlider sind schwer, aber ich kann sie wage öffnen.

Ich erwarte, direkt neben mir meinen Nachttisch zu sehen, um nach meinem Handy greifen zu können. Doch obwohl ich alles wenigstens verschwommen wahrnehme, erkenne ich ihn nirgends.

Also will ich mich umdrehen. Gut möglich, dass mein Orientierungssinn noch nicht so ganz funktioniert. Bis es mir klar wird: Ich kann mich gar nicht umdrehen.

Zumindest nicht, wenn ich nicht zusammenstoßen will. Und zwar mit Julian.

Schlagartig reiße ich die Augen auf. Ich höre ein kurzes Fiepen in meinen Ohren und beiße die Zähne zusammen, um es zu unterdrücken.

Dann halte ich sofort die Luft an. Erst jetzt spüre ich Julians Arm um meine Taille und seinen Atem in meinem Haar. Wir befinden uns immer noch in seinem Garten.

Wage erinnere ich mich daran, dass ich schlaftrunken in die Hütte geschlurft bin und mich auf die Matratze geworfen habe.
O mein Gott.

Ich bin tatsächlich hier eingeschlafen. Zuerst überrennt mich sogar ein Glücksgefühl, denn Julian schien es nicht gestört zu haben, dass ich eingeschlafen bin, sodass er sich einfach dazu gelegt hat.

Doch dann holen mich immer mehr Erinnerungen ein und damit ist auch verbunden, dass ich schon längst nicht mehr hier sein dürfte.
Ich bin so etwas von tot.

Egal, wie mies ich mich dabei fühle, diesen fast perfekten Moment zu zerstören und Julian aufzuwecken; mein schlechtes Gewissen ist größer.

»Verdammt!«, fluche ich, schlage die Decke weg, die Julian und ich uns im Übrigen teilten, und springe vom Bett auf.

Julian murmelt etwas und dreht sich dann auf den Rücken. Jedoch habe ich mich nicht mehr unter Kontrolle. Oder besser; ich habe mich das erste Mal seit gestern Abend wieder völlig unter Kontrolle.

»Julian! Steh auf!«, brülle ich, ohne ihn zu berühren. Stattdessen suche ich verzweifelt nach meinem Handy. Mist. Das hatte Julian gestern ja eingesteckt, nachdem ich dauerhaft sorgenvolle Anrufe ignoriert habe.
»Hm?«, kommt bloß von der anderen Seite des Raumes.

»Verdammte Scheiße! Ich bin eingeschlafen! Meine Eltern bringen mich jetzt erst recht um!« So langsam setzt sich auch Julian in Bewegung. Er realisiert erst später, dass ich tatsächlich derbe in der Patsche sitze. Und nicht nur ich. Nach der leisen tickenden Uhr über dem Waschbecken haben wir schon die ersten drei Stunden in der Schule verpennt.

Bei einem kurzen Blick in den Spiegel, erschrecke ich vor mir selbst. Meinen Heulkrampf von gestern Abend sieht man mir deutlich an. Um die Augen herum ist alles geschwollen und noch immer bin ich leicht rot auf den Wangen.

𝙻𝚘𝚜𝚝 𝙼𝚎𝚖𝚘𝚛𝚒𝚎𝚜 ~ 𝙼𝚢 𝚆𝚊𝚢 𝙱𝚊𝚌𝚔 𝚃𝚘 𝚈𝚘𝚞 ~Where stories live. Discover now