𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝙰𝚌𝚑𝚝𝚞𝚗𝚍𝚍𝚛𝚎𝚒𝚜𝚜𝚒𝚐

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Sieben Monate vor dem Unfall:

»Du brauchst nicht aufgeregt sein!«, versicherte mir Julian vor seiner Haustür. Gerade war ich im Begriff seine Familie zum ersten Mal kennenzulernen.

»Meine Eltern sind wirklich korrekt. Da ist nur mein Bruder... Er ist-«

Bevor Julian weitersprechen konnte, öffnete jemand in unserem Alter die Tür.

»Ach, das ist also Emilia, mh? Hast du dir ja gut geangelt, Juli«, sprach Julians Bruder zu mir und ich stutzte. »Hallo, Schöne. Ich bin Jacob, der Bruder.«

Als Jacob grinsend seine Hand ausstreckte, um mich zu begrüßen, schlug Julian seine Hand sofort weg. »Komm lass den Scheiß!«, quittierte er die Situation und zog mich hinter sich durch die Haustür an Jacob vorbei.

Julian hatte mich vorwarnen wollen und jetzt verstand ich warum. »Wie gesagt, er ist-«
»Gewöhnungsbedürftig«, beendete ich den Satz für ihn und Julian nickte.

Gegenwart:

Als ich am Morgen neben Julian aufwache und von draußen die Vögel leise zwitschern höre, komme ich mir vor wie in einem Roman oder einem Film. Mein Kopf sagt mir, es zu lassen, aber ich zwicke mich trotzdem selbst, um sicher zu gehen, dass das kein Traum ist.

Mir wird schnell bewusst, wie real es ist und ich beiße mir fest auf die Unterlippe, um meine Freude zu kaschieren. Unter meinem Kopf hebt und senkt sich Julians Brust und ich will mich keinen Zentimeter bewegen.

Meine Augen melden Tränen an, so müde bin ich noch. Ich will sowieso nicht gehen und schließe deshalb wieder meine Augen.

Als ich eine gute halbe Stunde später aus meinem Halbschlaf erwache, ist Julian bereits aufgestanden und nirgends zu sehen.

Zum ersten Mal nehme ich den Raum überhaupt bei Tageslicht wahr. Das Bett mit der dunklen Bettwäsche steht direkt im Raum an einer Wand. Am Fenster befinden sich Schreibtisch und ein Regal. Direkt daneben an der Wand steht ein grauer Schrank. Alles sieht sehr ordentlich aus und das kenne ich eigentlich nur von einer Person. Julian.

Der Fakt, dass ich also in Julians Zimmer aufgewacht bin, lässt mein Herz schneller schlagen. Vorsichtig schiebe ich die Decke zur Seite und mache mich über meine Klamotten her, die neben dem Bett auf dem Boden ihre Nacht verbracht haben. Einen Spiegel habe ich leider nicht parat, weswegen ich wohl damit leben muss, wie meine Haare sitzen.

Als ich fertig bin wage ich es einen genaueren Blick ins Zimmer zu werfen. Besonders fasziniert bin ich von Julians verborgenem Talent der Fotografie. An der Wand hängen selbst aufgenommene Bilder von verschiedenen Motiven.

Besonders fallen die vielen Gewässer auf, die auf den Bildern so real erscheinen, als sei ich selbst dort. Ich erkenne einige berühmte Seen wieder und ansonsten strahlt mir das weite blaue Meer entgegen. Das ist einfach der Wahnsinn.

Auf dem Regal am Fenster stehen noch einige eingerahmte Bilder, auf denen teilweise auch Julian zu sehen ist. Ich erkenne Jacob auf einem von ihnen und vermutlich seine Eltern, die einen recht freundlichen Eindruck machen.

Man erkennt auch Bennet und den Rest aus Julians Freundeskreis auf einem Foto, wie sie alle in Feierlaune in die Kamera grinsen und ihre Becher in die Höhe strecken.

Das Bild in dem graugefärbten Rahmen gefällt mir am besten. Liegt bestimmt daran, dass ich dort mit Julian abgebildet bin, der schräg hinter mir steht und mich glücklich anlächelt, während ich lachend die Kamera halte. Dieses Foto versetzt mir ausnahmsweise keinen Stich, sondern zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht.

𝙻𝚘𝚜𝚝 𝙼𝚎𝚖𝚘𝚛𝚒𝚎𝚜 ~ 𝙼𝚢 𝚆𝚊𝚢 𝙱𝚊𝚌𝚔 𝚃𝚘 𝚈𝚘𝚞 ~Where stories live. Discover now