𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝙴𝚕𝚏

152 30 57
                                    

Eine Woche vor dem Unfall:

Dass Dad nicht mehr mit mir sprach, war vorhersehbar gewesen. Er hat zwar keine Ahnung, wie sehr er mich damit verletzt, aber ich weiß auch einfach nicht mehr, was ich tun soll.

Konnte das nicht einfach aufhören? Ich stritt mich mit jeglicher Person aus meinem Umfeld. Selbst Simon, mein eigener Zwilling konnte mir kaum noch in die Augen sehen.

Nur Mom fing langsam an zu brechen. Sie sah, wie sehr ich unter all dem litt, und näherte sich mir langsam an. Ein Kind braucht einfach seine Mutter, richtig?

Gegenwart:

Mit Magrit will ich nicht über meinen ersten Schultag sprechen. Ehrlich gesagt, will ich mit ihr über gar nichts sprechen. Mit niemandem sprechen. Außer vielleicht Julian.

Totsicher habe ich mir seine Nachricht nicht eingebildet. Schließlich muss er sich ja auch daran erinnern und das will ich ihn fragen.
Argh! Warum ist es so schwierig zu einer anscheinend schlechten Person aus meiner Vergangenheit Abstand zu halten?

Seine Stimme geistert mir im Kopf herum. Immer wieder muss ich an seine Augen denken, wie sie mir unbedingt etwas sagen wollen, aber ich kann es einfach nicht erraten.

Warum verbieten meine Eltern mir seinen Kontakt? Okay, Julian soll Mist gebaut haben. Und sie raten mir generell mich auf die wichtigsten Menschen zu reduzieren.

Das tue ich. Ich tue alles was sie sagen. Aber sie können nicht von mir erwarten, dass ich, nachdem ich alles verloren habe, keine Fragen stelle.

Deshalb frage ich. Entschlossen und selbstsicher. Einfach grade heraus.
»Mom?«
Sie sitzt am Computer und hämmert wie wild auf den Tasten herum. Fast schon mache ich mir Sorgen, dass sie jemanden umbringen will, so griesgrämig schaut sie drein.

»Mh?«, kommt es bloß zurück. Immer weiter rutscht ihr die Brille herunter. Bin ich eigentlich die Einzige in dieser Familie, die nicht einmal zum Lesen eine Brille hat? Selbst Dad läuft ständig mit seiner stylischen runden Brille herum, die ihn locker zehn Jahre jünger aussehen lässt.

»Ihr würdet mir doch sagen, wenn etwas ist, du und Dad?«
»Was soll denn sein, Schatz?« Sie rührt sich nicht vom Fleck.

»Ich weiß nicht, dass... dass ihr mir irgendwas nicht erzählt. Von damals.« Meine Besorgnis höre sogar ich aus meiner Stimme heraus.

Meine Mutter lässt zum ersten Mal seit einer Stunde die Tastatur eine Tastatur sein.
»Emi, wie kommst du denn darauf?« Sofort ist sie auch schon aufgesprungen und setzt sich zu mir auf das Sofa.

Zum ersten Mal habe ich das echte Bedürfnis nach Liebe. Nach Familie. Nach meiner Mutter. Unkontrolliert rollen mir die Tränen übers Gesicht. Sie landen auf dem weichen Stoff und versickern darin. Dann sind sie verschwunden. Nichts zu wissen, macht mich hilflos.

Ihre Tochter scheint Magrit wichtiger zu sein als die Arbeit, denn sie legt ihre Brille weg und nimmt mich in den Arm.

»Ist was passiert? In der Schule? Mit Blake?« Die letzte Frage fragt sie mit besonderer Vorsicht. Unter Tränen schüttle ich den Kopf. Wo kommt bloß das ganze Wasser auf einmal her?

»Nein. Ich weiß auch nicht. Es ist bloß so beängstigend, nichts zu wissen. Du erzählst mir doch alles, oder?« Mein Blick trifft direkt auf ihren. Ich bin so deprimiert wie nie zuvor.

Wenn ich ihr nicht vertrauen kann, wem sonst?
»Aber sicher doch!« Auch Magrit kommen mittlerweile die Tränen.

Lange noch liege ich in ihrem Arm. Irgendwann haben wir es uns auf der Couch bequem gemacht und meine Mutter streichelt liebevoll meinen Kopf, während ich auf ihrem Schoß fast einschlafe. So sehr erschöpft mich all das hier.

𝙻𝚘𝚜𝚝 𝙼𝚎𝚖𝚘𝚛𝚒𝚎𝚜 ~ 𝙼𝚢 𝚆𝚊𝚢 𝙱𝚊𝚌𝚔 𝚃𝚘 𝚈𝚘𝚞 ~Where stories live. Discover now