𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝚅𝚒𝚎𝚛𝚣𝚎𝚑𝚗

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Eine Woche vor dem Unfall:

Langsam musste ich mich wirklich entscheiden. Es war nicht zu bestreiten, dass mir die Zeit davonlief. Aber wie zur Hölle sollte ich jemals eine Wahl treffen? Dieses Thema war zu heikel. Zu viel hing davon ab.

Es fühlte sich so an, als würde mein Kopf jeden Moment explodieren. So viele Gedanken kann ein Mensch doch gar nicht gleichzeitig denken.
Ich wünschte, ich könnte alles vergessen. Alles rückgängig machen und nochmal von vorne anfangen.
Das wäre jetzt genau das richtige gewesen. Aber man sollte ja vorsichtig sein, was man sich wünschte.

Gegenwart:

Leider habe ich überhaupt keinen Anhaltspunkt, wo ich Julian finden soll. Deswegen muss ich wohl bis morgen in der Schule warten. Ich muss die Sache endlich klarstellen. So stur, wie ich am Anfang war, kann ich verstehen, dass er mit mir nie über Details sprechen wollte.

Beziehungsweise muss ich ehrlich gestehen: Ich habe nur noch Julians Variante der Geschichte zur Option. Blake kann sich sein lästiges Grinsen sonst wo hinstecken, wenn er glaubt, ich sei noch immer fest davon überzeugt, er sei das Beste, was mir je passiert sei.

Bevor ich aber irgendwen suchen kann, muss ich wohl den Abend allein zu Hause verbringen.

***

Der Morgen danach ist eine Katastrophe. Nach meinem fünften Wecker und drei Mahnungen von Mom stehe ich endlich auf. Mir bleibt keine Zeit für das Frühstück.

Blake holt mich wie gewohnt ab und es herrscht unangenehme Stille im Auto, weil ich dauerhaft angespannt bin. Eigentlich möchte ich keine Probleme verursachen, aber der Kerl wurde mir gegenüber handgreiflich. Wie soll ich ihm je wieder in die Augen sehen.

Bevor ich nicht weiß, warum und was es ist, was los ist, passiert hier erstmal gar nichts mehr. Ungewöhnlicherweise bemerkt Blake einmal meine schlechte Laune und macht sich Sorgen.

»Was ist denn bloß los mit dir heute?« Sein genervter Unterton entgeht mir nicht. Ich erspare mir einen Seufzer und richte meine Haare im Spiegel. In Blakes Gegenwart bin ich manchmal ein ganz anderer Mensch. Eine komplett falsche Persönlichkeit.

»Was soll denn sein?«
»Ja was weiß ich denn, was du manchmal hast.« Unter Kontrolle habe ich mich kaum noch. Angestrengt versuche ich den Spiegel nicht ganz so aggressiv zuzuklappen, wie ich es gerne möchte.

»Ja, genau Blake. Das wird es wohl sein. Es liegt einfach daran, dass ich ein Mädchen bin«, lächle ich gespielt. Kopfschüttelnd dreht Blake etwas zu scharf nach links und mein Puls geht auf hundertachtzig. Obwohl ich keinerlei Erinnerungen an meinen Unfall habe, weiß ich noch ganz genau, wie sich der Schock anfühlt. Dieses Gefühl wünsche ich niemandem.

Fest umgreife ich den Türgriff zu meiner Rechten und versuche bis zur Schule meinen Herzschlag zu beruhigen.

Trotz unseres Streits ergreift Blake nach dem Aussteigen meine Hand. Schließlich hat er einen Ruf zu verteidigen und ich scheine das beste Mittel zum Zweck zu sein.

Auf dem Weg zu Sport ist für Blake fast alles vergessen und er verabschiedet sich mit dem Versprechen, mich nach dem Training mitzunehmen.

Kaum eine Sekunde ist Blake um die Ecke gebogen, sprinte ich zu Bio. Ich muss einfach wissen, wo Julian ist. Die Enttäuschung trifft mich wie ein harter Ball, als ich Julians leeren Stuhl hinten am Fenster erblicke.

Bio und Kunst sind eine Qual und als ich auch in der Pause kein Glück habe, will ich schon aufgeben.

In Mathe liegen alle meine Nerven blank. Ich kann nicht mal mehr die binomischen Formeln anwenden. Jo schiebt mir einen Zettel zu. Seufzend entfalte ich ihn unter dem Tisch, damit es unbemerkt bleibt.

𝙻𝚘𝚜𝚝 𝙼𝚎𝚖𝚘𝚛𝚒𝚎𝚜 ~ 𝙼𝚢 𝚆𝚊𝚢 𝙱𝚊𝚌𝚔 𝚃𝚘 𝚈𝚘𝚞 ~Onde histórias criam vida. Descubra agora