𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝙳𝚛𝚎𝚒𝚞𝚗𝚍𝚍𝚛𝚎𝚒𝚜𝚜𝚒𝚐

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Acht Wochen vor dem Unfall – Jo's Geburtstag:

»Emi! Wir freuen uns seit Wochen auf diesen Tag! Bitte tue wenigstens so, als würdest du dich amüsieren!«, bat mich Jo und hielt mir einen Shot vor die Nase. Aufgrund des ganzen Julian-Blake-Dramas hatte ich so schlechte Laune, dass ich eigentlich nicht mal hatte kommen wollen.

Aber Jo war meine beste Freundin, und sie hatte recht damit, dass wir uns schon ewig auf diese Party gefreut hatten.

Also griff ich nach dem Shot und kippte ihn sofort runter. Der Alkohol brannte in meiner Kehle, doch irgendwie war es genau das, was ich gebraucht hatte.
»Hast du noch einen?«

Gegenwart:

So still ist es noch nie im Auto gewesen. Simon ist durchaus bewusst, wie genervt ich von ihm bin. Das lasse ich ihn durch mein Schweigen und verachtendes Schnauben deutlich spüren.

Nach dem letzten Streitgespräch vor zwei Tagen schulden sie mir alle mehr als eine Entschuldigung. Bisher hat niemand den Anschein gemacht, mit mir ausführlicher darüber sprechen zu wollen.

Schön, ich habe alle Zeit der Welt.

Bevor wir auf dem Parkplatz vor der Schule ankommen, durchfliegt mich ein Hauch von Angst. Den Ärger, den ich bekommen werde, weil ich gestern die Schule habe ausfallen lassen, mache ich mir jetzt erst bewusst. Ganz zu schweigen von dem Tag davor, an dem ich in Julians Hütte verschlafen habe...

Haare zurückwerfend denke ich an die vielen Fragen, die auch unter meinen Freunden aufkommen werden. Vor allem kann ich mir Jo vorstellen. Sie wird ausrasten.

Außerdem ist sie eine der wenigen Personen, die heutzutage noch Eins und Eins zusammenzählen können, was bedeutet, dass sie auch bemerkt haben muss, dass Julian gefehlt hat. Oje, dann kann ich mich ja noch auf etwas gefasst machen.

»Emi!«, versucht es Simon, nachdem er die Handbremse festzog. »Lass stecken, Simon! Du kannst mir nicht erzählen, dass du von nichts gewusst hast!« schnauze ich ihn an. Mein Ton ist so scharf, dass ich Angst habe, mich selbst du verletzen.

»Habe ich aber nicht!«, protestiert mein Bruder und legt seine Stirn in Falten. Mir wird ganz übel dabei, mitanzusehen, wie ein Achtzehnjähriger mit Falten zu kämpfen hat.

Deswegen seufze ich schwer. Meine Hand hat den Türgriff schon fest umschlossen, doch jetzt entgleitet meinen Fingern der eiserne Griff und ich lasse meine Hand auf den Schoß fallen.

»Und das soll ich dir glauben? Würdest du es glauben, wenn du in meiner Situation wärst?«, argumentiere ich. Darauf weiß Simon nichts mehr zu antworten und richtet seinen besorgten Blick aus der Windschutzscheibe. »Nein«, kommt bloß kratzig aus seinem Mund.

»Habe ich mir gedacht.« Damit quittiere ich das Ganze und steige hastig aus dem Wagen aus.
Heute ist Julians und meine Präsentation fällig. Das heißt, ich komme nicht drum herum, ihn zu sehen.

Dabei bin ich noch so wütend und so unfassbar enttäuscht. Ich weiß gar nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll. Bis ich mir darüber den Kopf zerbrechen kann, habe ich ohnehin noch einen langen Weg vor mir.

Er beginnt mit Englisch. Unserer Lehrerin hat nichts Besseres zu tun, als jede Unterrichtsstunde damit zu verbringen, uns eine Predigt über unseren Abschluss zu halten. Von wegen wir seinen ja nun die Ältesten an der Schule und hätten eine besondere Verantwortung zu tragen.

Wir sollen uns anstrengen, um einen guten Eindruck zu hinterlassen, der allerdings bloß dem Ruf der Schule gilt. Ich mache meinen Abschluss für mich und meine Zukunft und nicht, damit nächstes Jahr mehr Zehntklässler auf diese Schule kommen.

𝙻𝚘𝚜𝚝 𝙼𝚎𝚖𝚘𝚛𝚒𝚎𝚜 ~ 𝙼𝚢 𝚆𝚊𝚢 𝙱𝚊𝚌𝚔 𝚃𝚘 𝚈𝚘𝚞 ~Where stories live. Discover now