𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝚂𝚎𝚌𝚑𝚜𝚞𝚗𝚍𝚣𝚠𝚊𝚗𝚣𝚒𝚐

122 23 27
                                    

Zwei Jahre vor dem Unfall:

Meine Eltern hatten schon immer darauf bestanden, dass Simon und ich so schnell es ging unseren Führerschein machten. Sie sagten immer, sie seien es leid, uns herumzukutschieren. Eines Tages würden wir sie verstehen.

Das war der Grund, warum ich direkt mit sechzehn meine Fahrprüfung hatte und es nicht besser hätte machen können. Ich war unglaublich nervös, weil ich eigentlich ungern am Steuer saß. Mit der Zeit hatte ich mich daran gewöhnt, aber mir hallten immer, wenn ich mich aufs Neue in ein Auto setzte, die Worte meines Fahrlehrers im Kopf:

»Und denke immer daran, Emilia: Wenn du einmal die Kontrolle verlierst, reißt du nur weitere in deinen Bann. Das Gefühl von Schuld ist schlimmer als jeder physische Schmerz.«

Gegenwart:

Montag. Während sich die ganze Welt heute quält, eine neue Woche zu starten und zur Arbeit zu fahren, kann ich es kaum noch erwarten, endlich das Haus zu verlassen und dieser Irrenanstalt zu entkommen.

Glücklicherweise hat Dad nach unserer kleinen Auseinandersetzung Julian nicht angezeigt.

Es hätte mich auch ehrlich gewundert, zumal ich keine Ahnung habe, warum und was um alles in der Welt mein Vater gegen ihn in der Hand hätte.

Nach meinem Nervenzusammenbruch habe ich fast nichts mehr mitbekommen.
Als ich das nächste Mal hinuntergekommen bin, was der Dunkelheit entsprechend mitten in der Nacht sein musste, war meine Verwandtschaft bereits weg.

Meine Eltern hörte ich gedämpft durch die Arbeitszimmertür und Simon hatte sich mal wieder bei irgendwelchen Kumpels verkrochen.
Nach Essen war mir nicht. Ist mir auch jetzt noch nicht.

Mit meinem Vater habe ich kein Wort mehr gesprochen und ich fürchte, dass das auch erst einmal eine Weile lang anhalten wird. Mom muss ihn noch irgendwie beruhigt haben, sodass er nicht völlig durchdrehen konnte. Noch nie war ich ihr so dankbar wie jetzt.

Weil ich garantiert nicht auf Blake warte und mein Bruder lange vor mir das Haus verließ, setze ich mich selbst ins Auto.

Eigentlich will ich das Radio anschalten, um mich abzulenken. Doch meine innere Stimme warnt mich vor der Gefahr, nicht aufmerksam genug zu sein. Und derzeitig ist meine Angst größer als jede andere Emotion.

Auf dem Parkplatz bei der Schule angekommen, steigt sofort ein protziger blonder Kerl aus seinem teuren Auto und marschiert auf mich zu.

»Emilia!«, brüllt Blake über den ganzen Parkplatz hinweg in meine Richtung.
Mist. Auf den habe ich jetzt wirklich keine Lust.

Immer größer werden meine Schritte, die ich zum Eingang der Schule gehe. Ich tue so, als habe ich ihn nicht bemerkt. Doch Blake ist wie immer schneller. »Emilia, warte!«

Augenrollend bleibe ich stehen und drehe mich erst um, als ich mir sicher bin, dass er direkt hinter mir steht. Ich richte meine Tasche auf meiner Schulter, weil ihr Riemen mir mal wieder das Blut abschnürt.

Vor mir steht ein bettelnder Blake mit großen Hundeaugen, verzweifelt, irgendwie meine Aufmerksamkeit zu bekommen.

Leider weiß ich es besser. Blake ist ein guter Schauspieler. Lasse ich mich einmal auf ihn ein, wie am Anfang, dauert es nicht lange, bis man seine wahre Seite kennenlernt.

Obwohl ich nicht behaupten kann, dass Blake mich bis auf das eine Mal schlecht behandelt hat (es gibt immer auch gute Momente), reichen mir die kurzen Augenblicke, in denen seine Augen aufblitzen. Und anders als bei Julian deutet dieses Blitzen in den tiefsten Abgrund.

»Soll ich dich morgens nicht mehr mitnehmen? Du weißt, ich würde es tun«, bietet er mir an. Genervt wedle ich mit dem Autoschlüssel in der Hand vor seiner Nase.
»Ich bin selbst mit dem Auto hier!«

𝙻𝚘𝚜𝚝 𝙼𝚎𝚖𝚘𝚛𝚒𝚎𝚜 ~ 𝙼𝚢 𝚆𝚊𝚢 𝙱𝚊𝚌𝚔 𝚃𝚘 𝚈𝚘𝚞 ~Where stories live. Discover now