𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝚉𝚠𝚊𝚗𝚣𝚒𝚐

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Eine Woche vor dem Unfall:

Jemand packte mich fest am Unterarm und zog mich heftig zu sich herum.
Jo stand mit besorgter Miene vor mir und verlangte augenblicklich Antworten. »Ich schwöre dir, wenn du nicht endlich Klartext redest, liefere ich dich Satan persönlich aus!«, drohte sie mir nicht ganz ernstzunehmend.

»Bist du noch mit Julian zusammen?«, fragte sie vorsichtig, da ich wieder einmal bloß den Kopf senkte.
»Ich weiß nicht.«
»Und mit Blake?«, hakte sie nach.
»Ich weiß nicht.«

Gegenwart:

Das hält ja kein Mensch aus. Was soll ich denn mit dieser Aussage von Julian anfangen? Will er damit auf irgendetwas anspielen? Ich verstehe nichts mehr.

Deshalb schalte ich Simon ein. Mein fünf Minuten älterer Zwilling sitzt auf meinem Schreibtischstuhl und ich ihm gegenüber auf meinem Bett.

Gerade habe ich ihm erzählt, dass die Sache mit Blake zu Ende ist. Kurz erwähnte ich auch die sehr komplizierte Beziehung zwischen Julian und mir. Außerdem bitte ich ihn um Rat.

Den Kopf an die Decke gerichtet dreht Simon sich im Kreis. »Was soll ich denn jetzt machen?«, hake ich nach, weil ich das Gefühl habe, dass Simon in eigenen Gedanken schwelgt.

Immer weiter dreht er sich im Kreis. Langsam macht mich das echt wahnsinnig.
»Simon!«
»Rede mit ihm. Mit Julian. Du magst ihn doch, oder?«

Als er eine Antwort erwartet, zucke ich mit den Schultern. »Doch, doch. Das weiß ich!«, schmunzelt er.

»Ich verstehe ihn manchmal einfach nicht. Einerseits will er immer, dass ich über meine Vergangenheit Bescheid weiß, damit er besser dasteht. Trotzdem meint er mich dadurch irgendwie zu beschützen, wenn er nichts sagt. Was soll ich denn damit anfangen?«

Ich lasse meine Arme auf meine Oberschenkel fallen. Simon kehrt mir den Rücken zu, doch ich habe genau gesehen, dass er sich auf die Lippe beißt.
Was verschweigen mir alle?

»Simon, wenn du etwas weißt, sag es mir!«, fordere ich gebieterisch. Von meinem Bruder kann ich wohl erwarten, dass er mir die Wahrheit sagt.

Tatsächlich öffnet Simon seinen Mund.
»Blake ist ein Idiot. Er hat dich benutzt und verascht und das über ein Jahr lang. Du warst zu naiv, um das zu checken, bis Julian kam.«

»Aber weißt du, was ich dann nicht verstehe?«
»Hm?«, fragt Simon, als wisse er genau, dass mir seine Aussage nicht reicht.
»Warum hat Blake dann versucht, mich wieder auf seine Seite zu ziehen und nicht Julian? Und warum hassen Mom und Dad Julian so?«

Schwer seufzt mein Bruder. Mein Blick fordert ihn zu einer Antwort auf.
»Vor deinem Unfall war wohl alles ziemlich kompliziert. Ich glaube, am Ende warst du mit keinen von beiden mehr so richtig zusammen.« Ich muss zugeben, das sind mehr Antworten, als ich mir je erhoffte. Aber wenn wir schon einmal dabei sind...

»Und warum mag niemand Julian?«
Plötzlich springt Simon von meinem Stuhl auf.
»Weil, ja, keine Ahnung, etwas vorgefallen ist und alle Welt glaubt, Julian sei daran schuld, wobei...«

»Wobei was?« Aufgebracht dränge ich ihn zu einer Antwort, doch Simon blockt ab. »Ich habe schon genug gesagt.« Kopfschüttelnd dreht er sich zur Tür.

»Aber, Emi?« Er bleibt stehen. »Du kannst nicht leugnen, dass etwas zwischen euch ist. Und das musst du auch nicht!«
Mit diesen letzten Worten verlässt er den Raum.

Das sind mehr Antworten, die ich in den letzten zehn Minuten bekommen habe, als in den letzten Wochen insgesamt.

Ich weiß, dass Simon mir insgeheim helfen will, aber irgendetwas blockiert ihn. Das kann er nur schwer überwinden.

𝙻𝚘𝚜𝚝 𝙼𝚎𝚖𝚘𝚛𝚒𝚎𝚜 ~ 𝙼𝚢 𝚆𝚊𝚢 𝙱𝚊𝚌𝚔 𝚃𝚘 𝚈𝚘𝚞 ~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt