𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝚉𝚎𝚑𝚗

201 36 112
                                    

Drei Wochen vor dem Unfall:

»Emi?«, sprach Jo mich besorgt am Telefon an. »Was ist bloß los mit dir?«
Von mir kam nur ein schwerer Seufzer. »Tut mir leid, Jo, ich kann da gerade wirklich nicht drüber reden!«, blockte ich ab und versuchte sie abzuschütteln. Doch sie ließ wie immer nicht locker. »Wieso? Was ist passiert?«

Nach einer kurzen Pause wagte sie sich weiter an mich heran. »Habt ihr euch getrennt?«
Weil ich auch darauf keine Antwort gab, versuchte Jo es mit tröstenden Worten. »Ich bin für dich da, okay?« Dann legte sie wenig später auf.

Verdammt. Ich hätte es ihr sagen sollen. Sie war meine beste Freundin, sie unterstützte mich bei allem. Selbst wenn ich dabei in den Tod stürzte.

Gegenwart:

Wie erwartet komme ich nicht drum herum mit Gips in die Schule zu gehen.

Am Tag zuvor habe ich mit Jo telefoniert. Sie hat mir irgendwie versucht, die Angst zu nehmen. Ich fühle mich nämlich, wie als würde ich auf eine ganz neue Schule gehen, auf der mich niemand kennt. Dabei ist es andersherum. Jo versuchte mir also beizubringen, wie normal mein Alltag eigentlich sei.

»Du musst unbedingt so schnell wie möglich ins Training gehen. Ich vermisse unsere kleinen Abstecher danach zum Kiosk, um für den Matheunterricht gewappnet zu sein!«, lacht sie durchs Telefon. Ich versuche mich darauf zu konzentrieren, dass ich zumindest sie habe, bei der ich mich einklinken kann, wenn ich allein bin. Und das werde ich definitiv sein.

Dank ihrer Vorbereitungen auf die Schule fühle ich mich ein bisschen besser, als ich vom Flur aus Blakes schwarzes Auto vorfahren sehe. An den Service könnte ich mich gewöhnen.

Ich stehe schon seit zehn geschlagenen Minuten vor dem Spiegel unten im Flur und betrachte mein sorgfältig ausgewähltes Outfit für meinen ersten Schultag. Mein lockeres Top ist in den hellblauen Rock gestopft und die vorderen Strähnen habe ich mit einer Klammer an meinem Hinterkopf befestigt. Meine Wimpertusche ist für meine Verhältnisse gut gelungen und ich habe sogar ein wenig Liedschatten aufgetragen, der zu meinem weißen Top passt.

Schon seit Tagen plane ich dieses Outfit. Jetzt stecke ich drin und bin mir nicht ganz sicher, ob das die beste Entscheidung war von den Punkten, die auf meiner Liste stehen.

Tatsächlich habe ich mir eine Liste gemacht. Eine To-Do Liste. Und ganz oben von dieser Liste steht, dass ich mir mein altes Leben zurückholen will. Genau das ist mein Plan für den langen ersten Tag. Ich kenne alle Namen, die ich wissen muss und habe mir mein aufgesetztes Lächeln bei Blake abgeguckt.

Zur Begrüßung gebe ich ihm einen freudigen Kuss. Ja, ich freue mich auf diesen Tag. Den meisten würde es vermutlich anders ergehen, aber ich war voller Stolz, als Blake mir meine Tasche abnimmt und sie im Auto platziert.

Ich schwinge mich auf den Beifahrersitz und Blake startet das Auto. Wie auf dem Weg in ein neues Abenteuer fühle ich mich vor der kühlenden Klimaanlage, die mir einzelne Strähnen meines langen Haares ins Gesicht weht. Blake streicht mir liebevoll einige davon hinters Ohr, als mir bewusst wird, dass wir bereits an der Schule angekommen sind.

»Aufgeregt?«, fragt Blake mich.
»Ja«, gebe ich zu, doch strahle ihn an. Genauso stelle ich mir das alte Leben von Emilia Sant vor und ich bin bereit, mich wieder vollkommen hineinzustürzen.

Wir bekommen nicht wenige Blicke zugeworfen, als Blake mit mir an der Hand vom Parkplatz zum Eingang schlendert. Mir ist durchaus bewusst, dass die Blicke nicht nur mir und meinem Gips gelten. Blake ist einfach ein echter Hingucker.

Wie ein echter Gentleman führt er mich in der Schule herum. Seine raue Hand schleppt mich letztlich zu meinem Schließfach. »Tadda!«, präsentiert er mir den spektakulären Inhalt von zwei Büchern und einer Tasche mit Trainingsklamotten.

𝙻𝚘𝚜𝚝 𝙼𝚎𝚖𝚘𝚛𝚒𝚎𝚜 ~ 𝙼𝚢 𝚆𝚊𝚢 𝙱𝚊𝚌𝚔 𝚃𝚘 𝚈𝚘𝚞 ~Where stories live. Discover now