Kapitel 77

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Leise lief ich in die Küche und befüllte dann ein Glas mit Leitungswasser.
Die rotleuchtende Uhr des Backofens sagte mir, dass es halb vier in der Früh war. Draußen war es noch stockfinster und bis auf eine Straßenlaterne, die ständig flackerte, bewegte sich draußen nichts.
Mathea lag schlafend auf der Couch, während ich noch kein einziges Auge zugetan hatte.
Mit dem Glas in der Hand lief ich auf die Dachterrasse.
Es war arschkalt, weshalb ich mir die Decke nahm, die auf einem der Gartenstühle lag.
Dick eingemurmelt starrte ich in den Himmel.
Man konnte keinen einzigen Stern sehen, aber irgendwie waren der kalte Wind und die Dunkelheit angenehm.

Nach ca fünfzehn Minuten zog ich mein Handy hervor und wählte die Nummer von Leon.
Mein Finger schwebte über der Anruf-Taste und noch bevor ich mir es anders überlegen konnte, drückte ich drauf.
Selbstverständlich nahm niemand ab, aber völlig in Rage wartete ich auf das Piepen: "Wie konntest du nur?! Du hast damals gesehen, was das bei Jamal und mir zerstört hat! Gott Leon, du hast so eine riesen große Scheiße gebaut!
Deine Freundin liegt betrunken auf eurem dämlichen Sofa und wird morgen den größten Kater ihres Lebens haben, wenn sie nicht sogar wieder anfängt sich wahllos zu besaufen!", damit drückte ich wütend auf rot und legte mein Handy neben mich.
Am liebsten hätte ich jetzt Jamal bei mir gehabt, aber das war natürlich nicht möglich.
Ich wusste nicht mal, was ich tun sollte. Leon hatte damals immer zu mir gestanden, mir keine Vorwürfe gemacht, nichts.
Und nun war ich in seiner Lage und ich wusste absolut nicht, wie ich mich verhalten sollte.
Ich atmete tief ein und legte dann meinen Kopf in meine Hände.

"Gott, was tust du hier draußen?!", Matheas erschrockene Stimme ließ mich hochschrecken.
Es war schon hell und ich sah mich verwirrt um.
Mir war schrecklich kalt und ich hatte Halsschmerzen.
"Ich", meine Stimme war ein Krächzen.
"Pscht, nicht mehr sprechen, als nötig. Komm rein, ich mach dir erstmal einen Tee.", damit half sie mir hoch und lief mit mir in die Wohnung.

"Sie hat total Fieber und sie kann auch nicht sprechen.
...
Ja, komm gerne vorbei.
...
Nein Jamal, ich will nicht darüber sprechen. Es reicht, dass ich mir gestern den größten Kater angetrunken habe, den ich jemals hatte.
...
Komm einfach her, danach sehen wir weiter.", meine Augen waren weiterhin geschlossen und irgendwie war ich zu schwach, um sie zu öffnen. Es fühlte sich an, als würde ich mit jeder kleinsten Bewegung einen ganzen Betonklotz bewegen und von meinem Hals wollte ich erst gar nicht anfangen.
"Hatschii!", angewidert verzog ich mein Gesicht und nahm mir ein Taschentuch von dem Nachttisch.
"Hey.", mitleidig kam Mathea in das Gästezimmer und setzte sich an den Bettrand.
"Jamal weiß Bescheid, er kommt gleich."
"Was? Wie spät ist es?", meine Stimme war noch immer total im Eimer.
"Es ist gleich 20 Uhr.", sie strich mit mitleidig eine Strähne aus meinem Gesicht.
Ich sah entsetzt auf den Wecker. Wie hatte ich bitte den ganzen Tag verschlafen?!
"Das Spiel... Ich..."
"Ganz ruhig, schon deine Stimme! Willst du nochmal einen Tee?", ich nickte leicht.
"Bitte dazu noch eine Halsschmerztablette."
"Natürlich.", Mathea lächelte, strich mir nochmal über den Kopf und verließ dann den Raum.
Gott, was war ich nur für eine schreckliche Freundin. Ich sollte mich eigentlich um sie kümmern, nicht andersrum.
Ich nahm mein Handy und sah auf meine Nachrichten. Jamal hatte mehrmals versucht, mich zu erreichen, aber von Leon war absolut nichts gekommen.

"Juli!", Jamal stürmte besorgt in das Zimmer und schlang seine Arme um mich.
"Pass auf, ich will dich nicht anstecken.", erschöpft lächelte ich ihn an und drehte mich dann weg, weil ich nießen musste.
"God bless you.", Jamal sah mich mitleidig an und reichte mir ein Taschentuch.
"Danke.", ich schnäuzte mich, "Ist Leon auch da?"
Jamal nickte leicht: "Die beiden sitzen unten together und reden keinen Ton."
Ich atmete geräuschvoll ein: "Hast du mit ihm darüber geredet?", angeekelt schnäuzte ich mich erneut, da meine Nase schon wieder lief.
Und genau deshalb liebte ich den Herbst und den Winter so. Man wurde mindestens einmal krank und das war einfach widerlich.
"Naja, ich habs versucht, aber er hat abgeblockt. Juli, he is different seit ein paar Tagen. Keine Ahnung, was exactly mit ihm los ist, aber irgendwas stimmt nicht."
Ich runzelte die Stirn und sah dann zur Tür, die sich gerade öffnete. Mathea kam herein und sie wirkte psychisch ziemlich instabil.
Ihre Hämde zitterten und Tränen glitzerten in ihren Augen. Mit ihren Fingern spielte sie unruhig an einem Haargummi und sie stand ziemlich hibbelig.
"Juli, kann ich dir noch irgendwas bringen?"
Ich sah entsetzt zu Jamal, der sofort aufstand und sie stützte. Dies war definitiv notwendig, denn sie wirkte, als würde sie jeden Moment weinend zusammenbrechen.
"Okay, es reicht.", mit aller Kraft setzte ich mich auf und blinzelte im nächsten Moment, da gefühlt alles schwarz wurde.
"Hell Juli, leg dich wieder ins Bett! Du bist sick!"
"Nein, ich rede jetzt mit Leon!"
"Do not even think about it! Du bleibst im Bett und ruhst dich aus!", Jamal sah mich eindringlich an und ich ließ mich schließlich augenrollend zurück in das Bett fallen.
"Ganz ruhig. Everything will be fine.", Jamal umarmte Mathea und mein Herz schmolz mal wieder.
Sie ließ währenddessen ihre Tränen fließen und am liebsten hätte ich sie ebenfalls in den Arm genommen.

"Jamal, dann trag mich runter!", zischte ich flüsternd.
Mathea war im Bad und ich konnte das echt nicht länger mitansehen.
Jamal stöhnte auf: "You are still sick!"
"Na und? Die Tabletten, der Tee und von mir aus auch deine Anwesenheit haben mich wieder fitter gemacht. Du siehst doch selbst, dass es nicht so weitergeht! Die beiden waren für uns beide da, als wir in ca der gleichen Situation waren, also ist das Mindeste, was wir tun können, mit den beiden zu reden!"
Er rollte leicht mit seinen Augen, hob mich dann aber aus dem Bett: "Hell, du bist really schwer geworden..."
"Oha?! Vielleicht solltest du anstatt deinen Beinen mal deine Arme trainieren."
"Maybe.", er setzte mich auf die Couch im Wohnzimmer und sah sich dann suchend um, ehe er mich eindringlich ansah: "Lass Leon am Leben, okay?"
"Ha ha, du bist heute ja wieder ganz lustig unterwegs. Zuerst der Kommentar zu meinem Gewicht und jetzt das?! Natürlich lebt er nach dem Gespräch noch. Ich will nur mit ihm reden."
"Fine. Ich hole ihn dann mal und lasse euch alone.", damit verschwand er in Richtung Küche und kurze Zeit später kam Leon herein.
"Wie geht's dir?", er sprach ziemlich tonlos.
"Geht so. Leon, was sollte das?!", er sah auf den Boden.
"Hallo?", endlich sah er mich an, seine Augen wirkten müde.
Ich runzelte die Stirn und stand langsam von der Couch auf.
Er kam auf mich zu und fiel mir überraschenderweise in die Arme: "Gott Juli, ich weiß es selbst nicht. Mathea verschweigt mir seit mehreren Wochen etwas. Letze Woche, als ich krank im Bett lag, war sie ohne Handy einkaufen. Es hat die ganze Zeit vibriert und eigentlich wollte ich es nur auf lautlos stellen, aber dann waren da ein paar Nachrichten.", oh no. Ich ahnte, was hier passiert war, "Sie waren alle von irgendeinem Typen. Irgendwas wie
Du musst es ihm sagen.
Das könnte eure Beziehung beenden.
Bitte sag es ihm! Das tust du nicht nur für dich, sondern auch für ihn.
Ich hatte daraufhin irgendeine Kurzschluss-Reaktion und habe mich abweisend verhalten.
Gestern hat sie mich dann darauf angesprochen und ich hab, frag mich nicht wieso, einfach gesagt, ich hätte jemand anderes geküsst."
Warte was?
"Wait, du hast niemanden geküsst?!"
"Nein, natürlich nicht! Das könnte und würde ich nie tun. Ich checke ja selbst nicht, warum ich das überhaupt gesagt habe."
"Oh mein Gott, ich...", ich sah hoch und sah ihn eindringlich an, "Rede mit Mathea. Jetzt. Gott, das ist bestimmt ein riesen großes Missverständnis.", er sah mich hoffnungsvoll an und in dem Moment sah ich nicht den starken Mann, sondern einen kleinen Jungen, der Angst hatte, verletzt zu werden. Mein ganzes Herz zog sich zusammen.
"Ganz sicher. Geh hoch und redet. Du kommst eh nicht dran vorbei.", er atmete tief ein und nickte dann.
"Gut. Aber könntest du mir zuerst zurück auf die Couch helfen? Langsam knicken meine Beine ein..."
"Oh Gott, ja klar!", er trug mich den Meter und lächelte mich dann dankbar an.
"Na los.", ich schob ihn in Richtung Treppe und sah dann nach draußen. Ich hoffte wirklich, dass die beiden das nun klären würden.

Young Love - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now