Kapitel 57

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Freitag Abend, 19 Uhr.
Um die weiteren 3 Wochen waren seit Matheas Geburtstag vergangen.
Das allerletzte Bayern-Spiel der Saison hatte ich mir im Internet angesehen und konnte so dem Stadionbesuch entgegen. Das war das einzige, was Leon akzeptiert hatte. Um genau zu sein, war sein Zitat gewesen: "Wenn du schon nicht herkommst, schau es dir wenigstens im Fernsehen, im Bayern-Trikot, an."
Er selbst hatte ja nichtmal gespielt, sich dafür aber auf die Tribüne gesetzt. Demonstrative Fotos hatten meinen Abend begleitet, da er es wohl als wichtig empfunden hatte, zu zeigen, dass er trotzdem im Stadion war.
Lächerlich, weil er immerhin Spieler der Mannschaft war.
Aktuell konzentrierte sich der Witzbold aber zum Glück darauf, schnellstmöglich für die EM fit zu werden.
Deshalb war Leon, mit dem restlichen EM-Kader, seit heute auch in Seefeld.
Jamal war ebenfalls auf Löws Liste gelandet, was dazu führte, dass ich seit der Bekanntgabe ständig Nachrichten über ihn vorgeschlagen bekommen hatte.
Auch die 3-J-Story wurde von den Medien wieder aufgegriffen, da einige Seiten vergeblich nach einer Antwort auf die Frage, "ob er aktuell in einer Beziehung wäre", suchten.
Das hatte leider wieder zu vermehrter Aufmerksamkeit für mich geführt, die durch Jamals Instagram-Anfrage getoppt wurde.
Nach einem Gespräch mit Mathea hatte ich ihn dann aber reingelassen, anscheinend versuchte er den Anschein zu erwecken, wir wären noch immer zusammen, oder zumindest im Guten auseinander gegangen.
Ich selbst hatte ihn allerdings noch nicht wieder abonniert, was ich aktuell aber auch nicht vorhatte, zu ändern.

Das Gästezimmer war im Moment ständig durch Magdalena und Samuel besetzt, weil meine Schwester wohl Unterstützung von meiner Mutter wollte, die diese ihr liebend gerne gab. Jonas kam bis jetzt jedes Wochenende her, da er Werktags arbeiten musste.
Vor kurzem hatten sich Samuel, Mathea und Leon dann per Video Call kennengelernt, und sowohl die beiden, als auch der kleine Bub, waren ziemlich fasziniert voneinander.
Soweit ich das nach dem Anruf und den Begegnungen mit Joshuas und Linas Kinder beurteilen konnte, gingen die beiden mit Kindern unglaublich gut um und ich war mir zu 100 Prozent sicher, dass sie mal großartige Eltern werden würden.

Ich machte mich gerade fertig, da Chris, Fabi, Eli, Leo und ich es uns tatsächlich Mal wieder trauten, uns außerhalb der Schule zu treffen. Mittlerweile gab es ja zum Glück die Testung in der Schule, weshalb wir kein komplett schlechtes Gewissen hatten.
Leo hatte vor kurzem sein Abi geschafft, was wir nun ein wenig feiern wollten.
Ich tuschte mir meine Wimpern und betrachtete mich dann im Spiegel. Ich sah nicht perfekt aus, aber für die Truppe würde es reichen.
Ich sah auf mein vibrierendes Handy und nahm stirnrunzelnd den Anruf an.
"Eli?"
"Ja, hey. Sorry, aber ich kann nicht kommen. Mein Vater hat mitbekommen, dass ich weggehe und denkt wir würden trinken. Du weißt ja, wie er ist, wenn es um Alkohol geht...", ihr angepisstes Gesicht konnte ich durch den Hörer schon beinahe sehen.
"Oh no. Sollen wir es dann absagen?"
"Was? Nein, geht ihr. Und hey, eine gute Sache hat das ganze."
"Ach ja?", ich zog eine Augenbraue hoch und nahm einen Schluck Wasser.
"Mhm, ich muss nicht den ganzen Abend mit Chris verbringen.
Gott, der Junge soll sich endlich outen, dann wird er vielleicht erträglicher.", bei ihren Worten verschluckte ich mich und das Wasser verteilte sich im halben Bad. Fluchend nahm ich ein Handtuch und wischte den Spiegel sauber.
"Was meinst du bitte mit outen?!"
"Hä, merkt doch jeder, dass der schwul ist."
"BITTE WAS?", ich riss meine Augen auf. Nicht, dass ich es schlimm finden würde, überhaupt nicht, aber ich kannte Chris seit Jahren und der Gedanke war mir noch kein einziges Mal gekommen.
"Fuck, schrei doch nicht so! Meine armen Ohren man.
Und jetzt sag mir bitte nicht, dass du das nicht wusstest.", ich überlegte.
"Naja vielleicht erklärt das was im Nachhinein, aber ich wäre nie von selbst draufgekommen.
Wie genau kamst du drauf?"
"Hallo? It's me, your favourite lesbian?!"
"Also merkt man das, wenn man selbst homosexuell ist?!", ich hatte einen skeptischen Unterton, das war doch Kappes.
"Nö, aber ich merke das.", im nächsten Moment entschuldigte sie sich mit einem "Sorry" und schrie dann wohl durch das halbe Haus:
"WAS?! Oah ja, ich komme.
Sorry, aber ich muss runter. Meine Schwester hat irgendeine Scheiße gebaut.", sie seufzte, "Habt ihr einen schönen Abend."
"Danke, du auch. Das nächste Mal kommst du einfach heimlich mit.", meinte ich scherzhaft.
"Ich habe ein Monster erschaffen.", meinte sie gespielt ängstlich und ich musste lachen.
Ich war in letzter Zeit wirklich deutlich lockerer geworden. Nur beim Thema "Jamal", verkrampfte ich schneller als Leon beim Thema vielleicht verpasste EM.
Wir legten auf und ich nahm meine Tasche, um mich anschließend von meinen Eltern zu verabschieden.
Leo hatte angeboten uns alle abzuholen, da er der einzige mit einem Führerschein war.

"Hey!", ich umarmte ihn.
"Hey.", er lächelte und fuhr los, nachdem ich mich angeschnallt hatte.
"Eli kommt übrigens nicht, ihr Vater hat es vor ein paar Minuten verboten..."
Er seufzte genervt: "Fabi hat auch abgesagt, er ist noch bei seiner Freundin und kommt da anscheinend irgendwie nicht weg."
"Sag mal, kennen wir die Freundin eigentlich? Er hat noch nie ihren Namen genannt und gesehen hab ich die auch noch nie. Und es ist ja jetzt nicht so, als wären die erst seit gestern zusammen."
"Das denke ich mir auch jedes Mal. Er zeigt halt auch nie Bilder. Entweder ist sie zu hässlich um sie zu zeigen, oder wir kennen sie. Oder sie existiert überhaupt nicht.", er fing an zu lachen, ich boxte ihn.
"Oha?!"
"Die erste und dritte Option waren ziemlich gemein, findest du nicht?"
"Ich tippe tatsächlich auch eher auf Option 2.", ich zog die Augenbrauen hoch.
"Wer denn bitte?"
"Sahra.", meinte er kurz angebunden. Ich riss die Augen auf. Auf den Gedanken war ich ja noch nie gekommen. Allerdings hatte ich vor heute auch nicht gedacht, dass Chris schwul sein könnte.
Oh Gott, bitte nicht Sahra...
Noch bevor ich antworten konnte, vibrierte Leos Handy und er zog es aus seiner Hosentasche.
"Schaust du mal? Ist, glaube ich, von Chris."
Ich sah auf das Gerät und seufzte dann.
"Was ist los?"
"Chris hat gerade auch noch abgesagt..."
"Wow. Klingt so, als würden wir alleine bleiben..."
"Anscheinend... ej der Kreis schrumpft echt mehr und mehr..."
Er schnaubte: "Oh ja. Hätte mir jemand vor einen Jahr erzählt, dass wir Sahra und Sophia verlieren würde, hätte ich spöttisch aufgelacht... Und wäre das mit Jamal aufgegriffen worden, hätte ich demjenigen vermutlich den Vogel gezeigt. Ich meine, zuerst kommst du mit einem Fußballer zusammen, dann verliebt sich sein bester Freund in dich, auch ein Fußballer, und daraufhin trennt ihr euch in einem ewigen Drama?!"
"Wem sagst du das...", meinte ich und sah seufzend aus dem Fenster.
"Juli, also ich ... ähm kann es verstehen, wenn du wieder nach Hause willst.", er strich sich, fast schon nervös, durch seine Haare und sah zu mir rüber.
"Ach komm... was soll ich denn allein Zuhause. Wäre mit den anderen sicher ziemlich lustig geworden, aber geht jetzt halt nicht. Außer du willst, dass ich gehe?", ich sah ihn fragend an.
"Was? Nein, natürlich nicht. Ich meine, wenn du bleiben willst, würde ich mich sehr freuen.", ich war ein wenig irritiert, er wirkte echt ein wenig nervös.
"Na dann passt ja alles, oder?", er nickte und konzentrierte sich dann wieder auf das Fahren.

"Was? Oh Gott...", ich lachte auf. Leo schüttelte lachend seinen Kopf.
"Ja, das war schon ne Erfahrung fürs Leben..."
"Das glaube ich dir!", ich beruhigte mich langsam und nahm einen weiteren Schluck aus dem Glas.
Verhältnismäßig hatte ich ziemlich viel getrunken und allein bei dem Gedanken an Jamal, könnte ich mir noch ein Glas mehr reinkippen.
Irgendwie war heute Abend wieder einiges hochgekommen.
Leo trank mit, er verstand mich wohl, oder er wollte mich einfach nur nicht alleine trinken lassen.
Ich sah von meinem Glas auf, denn ich spürte seinen Blick auf mir.
"Sorry...", Leo sah auf den Boden.
"Nein, du musst nicht...", keine Ahnung weshalb, vermutlich lag es am Alkohol, legte ich meine Hand auf seine Schulter.
Er beäugte das und sah dann mich an. Der Moment war seltsam und irgendwie war die Luft komplett aufgeladen.
Ohne zu wissen, was wirklich passierte, starrte ich zurück und plötzlich lagen seine Lippen auf meinen.
Ich checkte in dem Moment gar nichts mehr.

Young Love - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now