Kapitel 28

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Ich schloss ab, während sich die Jungs ins Auto setzten. Ich hatte zuvor noch schnell die Adresse des Typen herausgefunden, unfassbar, was alles im Internet zu finden war.

"Also laut Navi ist das die richtige Adresse.", wir sahen alle angeekelt auf das versiffte Haus, das aussah, als würde es gleich zusammenbrechen. Die Fassade bröckelte ab und war mit Graffiti besprüht. Es stand in einem etwas weniger ansehnlichen Viertel der Stadt, wenn etwas passierte, dann hier.
Die Fenster waren zerbrochen, oder so dreckig, dass sie schon einen Lichtschutzfaktor darstellten.
Wir stiegen aus dem Auto aus und liefen auf die eklige Türe zu und suchten nach der richtigen Klingel.
Ein Surren ertönte und wir liefen durch das Treppenhaus, das halb verschimmelt war.
Jamal nahm meine Hand, während Leo sich angewidert umsah.
"Was wollt ihr und wer seid ihr überhaupt?", ein bösartig aussehender Mann stand oben am Geländer und sah uns mit verschränkten Armen an. Er hatte breite Schultern, trug ein dreckiges Unterhemd und hatte riesige Tattoos, die seinen Arm verzierten.
Eingeschüchtert standen wir da, bis sich Leo räusperte.
"Wir, äh, sind Freunde von Sahra. Wir wollten sichergehen, dass die IP-Adresse wirklich zu...", weiter kam er nicht, denn der Typ sprang vor und hielt Leo den Mund zu.
"Was soll das, geht's noch?", ich sah den Mann wütend an.
"Seid ihr denn total durchgeknallt? Ihr könnt doch sowas nicht einfach auf dem Flur ansprechen. Scheiße! Kommt rein, aber zackig!"
Wir wechselten einen Blick und folgten dem bulligen Typen dann in seine Wohnung. Die war noch widerlicher, als der Flur. Überall lagen Bierdosen, Pizza- und Burger-Kartons herum und es stank nach einer Mischung aus Schweiß, Bier und vergammeltem Essen. An der Wand wucherte der Schimmel noch schlimmer, als im Flur, und der Boden sah aus, als wäre er 2017 zu letzt geputzt worden.
"Also, was wollt ihr genau?", der Typ ließ sich in sein dreckiges Sofa fallen und machte eine Bierdose auf.
"Es geht um diese Nachrichten, die Sahra bekommen hat. Sie haben doch die IP-Adresse zurückverfolgt. Wohin genau hat sie geführt?"
Er stöhnte auf: "Die Kleine ist ja wirklich süß, aber ich hatte gehofft, sie könnte ihre Klappe halten.", er nahm einen Schluck aus der Dose und sah uns dann mit zusammengekniffenen Augen an.
"100 Mäuse."
Wir sahen ihn stumm an. Scheiße, in was hatte ich uns hier nur reingeritten? Diese Szene hätte locker aus einem Film stammen können.
"Hey, ganz locker. Das war n Witz.", der Mann grinste uns plötzlich an und nahm einen weiteren Schluck Bier. "Ihr seid Freunde der Kleinen meines Bruders, da gibts n Sonderangebot.", er beobachtete uns nochmals, bis er Jamal ins Visier nahm: "Ich bin ein riesen Fan!", er grinste breit, während sich mein Freund neben mir verkrampfte. Sofort stellte ich mich vor ihn: "Egal was Sie wollen, Jamal wird nichts tun. Sie wollen Geld? Okay, dann bezahle ich eben, aber lassen Sie ihn bloß in Ruhe!", ich funkelte den Mann an, dieser hob seine Hände.
"Hey, ganz ruhig, Kleine. Ich hab an was ganz harmloses gedacht. Wartet kurz.", damit stand er auf und ging an uns vorbei in ein anderes Zimmer. Ich beobachtete ihn bei jeder seiner Bewegungen und ließ erst ab, als er im Nebenraum verschwunden war.
"Sollen wir abhauen? Nicht, dass der ne Waffe holt.", Leo sah uns gestresst an.
"Pscht. Wenn er ne Waffe holt ist es sowieso schon zu spät. Und ich dachte wir wollen die Wahrheit kennen?", wisperte Jamal.
"Wenn du gehen willst, dann gehen wir. Der Typ ist mir suspekt, irgendwas stimmt hier absolut nicht.", ich starrte noch immer auf die Türe des Nebenzimmers. Leo reagiert nicht, während Jamal mir meine Hand drückte: "Danke übrigens für eben. Das wäre aber nicht nötig gewesen!"
"Doch, war es. Wir machen keine krummen Dinger, schon gar nicht du. Wenn das raus kommt, ist deine komplette Karriere zerstört und das nur wegen eines dämlichen Teenie-Dramas...", ich sah ihn schuldig an. Ich fühlte mich absolut schlecht, weil er hier mit reingezogen wurde. Und das nur, wegen mir.
"Hey, ich hab selbst entschieden, dass ich mitkomme. Ich bin so gut wie erwachsen und ich habe beschlossen das mitzumachen.", er drückte erneut meine Hand und lächelte mich an.
Die Türe öffnete sich und der Typ fing an zu summen: "Bro, würdest du die unterschreiben? Lässt sich prima auf eBay verkaufen.", damit zeigte der Typ auf einige DFB-Trikots und einen Stapel voller weißer Karteikarten. Wir sahen Cans Bruder irritiert an. War das jetzt sein Ernst? Er wollte eine Autogrammstunde haben?
Jamal räusperte sich: "Alle?"
"Ja genau. Und suche ich die Adresse heraus."
Jamal nahm sich den Stift, den der Mann zu den Karten und Trikots gelegt hatte, und machte sich an die Arbeit.
"Ist das okay? Wenn du das nicht willst, dann lassen wir es.", ich sprach leise, sodass nur Leo und Jamal mich hören konnten.
"Juli, hey! Es ist eine harmlose Autogrammstunde. Gut, vermutlich sind die Trikots fake, aber ist doch egal. Ich signiere das und dann kennen wir hoffentlich die Wahrheit. Also entspann dich und gib mir lieber den Stapel Karten.", er sah mich ermutigend an und noch bevor ich Jamal die Karten reichen konnte, hatte Leo das schon übernommen.
"Leute, Liebeserklärungen könnt ihr noch später machen. Beeil dich bitte, ich will hier endlich raus.", Leo sah Jamal bittend an, der tatsächlich direkt eine Karte nach der anderen unterschrieb.
Ich fühlte mich trotz Jamals Ansprache nicht ganz wohl. Ja, es war nicht illegal, was wir hier taten, aber dennoch fühlte es sich so an und ich war mir auch nicht sicher, ob die Autogramme wirklich auf e-Bay verkauft werden würden. Außerdem wollte ich mir erst gar nicht ausmalen, was die Presse oder der FCB hierzu sagen würde.

"Mhm, ja, lässt sich wirklich sehen. Können wir noch ein Foto machen?", er schaute Jamal erwartungsvoll an.
"Die Autogrammstunde ist beendet, Punkt. Gib uns jetzt die dämliche Adresse.", ich sah ihn eindrücklich an, was er mit einem Augenrollen quittierte: "Ist ja schon gut. Also, kommt her.", er zeigte uns auf seinem Computer eine Satellitenkarte.
"Lass mich raten, das ist komplett illegal?"
"Ja.", meinte er und zuckte desinteressiert mit den Achseln. "Da könnt ihr sehen, dass das Signal aus diesem Haus kommt.", er zoomte näher ran und zeigte ein großes, weißes Haus, mitten im Neubaugebiet.
Ich zog die Luft ein, Leo schloss die Augen.
"Fuck.", Jamal sprach leise, aber dennoch konnte es jeder hören.
"Wolltet ihr was anderes sehen?"
"Ja. Zumindest hatten wir es gehofft..."
"Na dann, sorry Kids, dass ich euch nicht das gewünschte Ergebnis liefere, aber die Wahrscheinlichkeit, dass das hier nicht stimmt ist ziemlich, ziemlich gering."
Wir nickten.
"Also dann, danke. Wir gehen jetzt", ich machte eine Kopfbewegung in Richtung Tür und die Jungs liefen an mir vorbei in den Flur.
"Hey, noch eins.", wir erstarrten.
"Du", er ging auf Jamal zu, "hast wirklich Talent. In ein paar Jahren wirst du einer der besten Mittelfeldspieler überhaupt sein.", er klopfte ihm auf die Schultern und ich atmete erleichtert aus.
"Danke.", Jamal rang sich ein Lächeln ab, bevor er sich mir zuwandte und mir seine Hand entgegen streckte. Ich nahm sie und wir liefen zu dritt aus dem ekelhaften Haus und setzten uns ins Auto.
Still saßen wir in dem Auto, keiner traute sich irgendwas zu sagen, bis ein Schluchzen ertönte. Es kam von Leo.
"Hey, man. Es tut mir so unendlich leid.", Jamal legte seine Hand auf die Schulter unseres völlig zusammengesunkenen Freundes.
"Ich verstehe nicht mal, weshalb ich hier heule. Das will ich nicht mal. Gott, ich bin so ein Idiot. Warum ist uns das nie aufgefallen Juli?"
"Ich hab keine Ahnung. Sie wirkt immer wie ein Engel. Ich ... vielleicht liegt es auch an mir. Ich hätte mehr für sie da sein müssen, eine bessere Freundin sein müssen, ich hätte ...", weiter kam ich nicht, denn Leo unterbrach mich.
"Nein Juli, du bist definitiv nicht schuld. Jeder ist selbst für seine Handlungen verantwortlich und das war unterste Schublade von ihr. Sie hat mich für ihren persönlichen Rachefeldzug benutzt."
Ich nickte, aber machte mir trotzdem innerlich weiter Vorwürfe.
"Du kommst jetzt erstmal mit zu Juli und mir. Und dann können wir weiterschauen.", Jamal warf mir einen fragenden Blick zu, ich nickte.
"Danke. Euch beiden! Ohne dich Juli, hätte ich immer noch keinen blassen Schimmer.", er sah mich dankbar an und ich lächelte ihm vorsichtig zu.

"Ich hab keine Ahnung, wie ich Sophia jetzt gegenüber treten soll.", ich stand mit Leo im Bad und machte mich für die Schule fertig, Jamal schlief noch. Leo hatte hier übernachtet, nachdem wir sein Zeug geholt hatten. Unsere beiden Mütter fanden es zwar nicht toll, unter der Woche eine Übernachtungsparty zu feiern, hatten aber, nachdem sie unsere Gesichter gesehen hatten, nichts mehr gesagt.
"Ich ignoriere seit gestern ihre Nachrichten. Ich bin so froh, dass ich auf eine andere Schule gehe, ich kann sie heute einfach nicht sehen."
Ich legte ihm meine Hand auf seinen Arm: "Es tut mir so unendlich leid Leo. Hätte ich von der ganzen Kacke gewusst, dann hätte ich das direkt unterbunden."
"Ich weiß Juli, danke. Für alles! Jamal und du habt euch gestern pausenlos um mich gekümmert und das weiß ich wirklich zu schätzen. Vor allem, weil ich es gut verstanden hätte, wenn ihr eure letzten gemeinsamen Tage hier allein genießen wolltet."
"Hey, du bist unser Freund und wir kümmern uns liebend gerne um dich. Allein bei dem Gedanken an Sophia könnte ich ihr ins Gesicht schlagen..."
Er lachte leise: "Ich meins ernst, danke!"
Ich lächelte ihm zu und fing dann an meine Zähne zu putzen.

"Hey.", ein komplett verschlafener Jamal stand vor mir.
"Hey, warum bist denn du schon wach?", ich lächelte und gab gab ihm einen Kuss, den er sofort erwiderte.
"Keine Ahnung, bin aufgewacht.", murmelte er zwischen zwei Küssen.
"So gerne ich hier jetzt noch bei dir bleiben würde, ich muss leider los, Schatz.", ich gab ihm einen letzten Kuss und ließ dann seine Hand los, die er mir hinterher gestreckt hatte.
"Hab einen schönen Tag und bitte, versuche ihr nicht ins Gesicht zu schlagen."
"Ich gebe mir Mühe...", murmelte ich und winkte, bevor ich meine Schultasche nahm.
"Leo, kommst du jetzt endlich?", er war noch kurz auf die Toilette gegangen.
"Jaha.", ein Wasserrauschen ertönte, anscheinend wusch er sich die Hände.
Dann trat er in den Flur: "Hey Mann, was tust du denn schon hier?"
"Bin wach geworden.", meinte Jamal, verabschiedete sich und ging dann wieder ins Bett.
Kopfschüttelnd lächelte ich ihm hinterher, bis Leo vor meinem Gesicht mit dem Autoschlüssel rumwedelte: "Erde an Juli. So süß ich eure Liebe auch finde, wir sollten jetzt los."
Ich gab ihm einen genervten Blick, setzte mich aber in Bewegung und ließ mich in den Sitz des Autos fallen.

Young Love - Jamal MusialaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt