Kapitel 51

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Ich richtete meine Haare und verließ mit einem letzten, prüfenden Blick, die Zug-Toilette.
Ich hatte die letzte Woche lange darüber nachgedacht und mich dazu entschieden, das schwachsinnige Freundschafts-Angebot anzunehmen. Ich hatte eh nichts zu verlieren und vielleicht würden meine Gefühle, auch wenn ich das ziemlich bezweifelte, auf wundersame Weise verschwinden.
Die wenige Zeit mit meinen Freunden hatte mich irgendwie wieder daran erinnert, dass ich mein Leben endlich wieder auf die Reihe kriegen musste. Mit oder ohne Jamal an meiner direkten Seite.

Ich klingelte an der Tür und knetete nervös meine Finger.
"Juli?", Jamal rieb sich verschlafen über seine Augen. Er war noch im Schlafanzug und ich musste ein wenig über sein Erscheinungsbild grinsen. Er hatte tatsächlich einen Bayern-Schlafanzug an und irgendwie waren seine Haare verwuschelt.
Auch wenn ich nicht ganz verstand wie das ging, denn bis jetzt hatte ich das noch nie gesehen.
"Ja, hey.", meine Stimme war total am Arsch, es war mir in dem Moment aber völlig egal.
"Komm rein. Was machst du hier?", er kam unschlüssig auf mich zu und umarmte mich dann.
Dann sah er an sich herunter, sah in den Spiegel und versuchte peinlich berührt seine Haare zu richten.
"Ich hab noch ein Geburtstagsgeschenk... ich weiß, ziemlich spät, aber...", ich sah ihn gequält lächelnd an, er sagte nichts und starrte mich einfach nur an.
"Ist das ein Friedensangebot?", fragte er leise.
"Sieht so aus.", erleichtert sah er mich an und schloss mich dann erneut in eine Umarmung.
"Willst du einen Kaffee?"
"Äh, ja klar.", er drehte sich um und ich betrat mit einem tiefen Atmenzug die Wohnung.

[Jamals Sicht]
Sie war hier.
Zum Glück!
Ich hätte auf der Stelle 10 Luftsprünge machen können.
So oft hatte ich die letzten 2 Wochen überlegt, ob mein Vorschlag einfach nur schwachsinnig war. Ob es überhaupt ging, dass wir Friends wurden.
Aber ich konnte das nicht nochmal durchmachen.
Diese Nachricht von Jude hatte innerlich irgendwas in mir zerbrochen. Ich wusste noch immer nicht was, aber da war plötzlich eine so tiefe Eifersucht gewesen und ich hatte Angst sie an ihn zu verlieren.
Ihr Besuch bei Leon hatte mich völlig ausflippen lassen. Sie hatte das, was ich dachte, das ich brauchte, total ignoriert und war einfach zu meinem Mitspieler gegangen.
Mittlerweile war mir klar, dass das ihr gutes Recht war, Leon und Mathea waren wie 2 Geschwister für sie und eigentlich war ich den beiden sogar dankbar, dass sie für sie dagewesen waren.
In dem Moment hatte ich mich aber einfach nur verraten gefühlt.
Von allen dreien.

"Also, es ist nichts sonderlich großes, aber hoffentlich gefällt es dir trotzdem.", sie sah mich vorsichtig lächelnd an.
"Ist doch völlig egal.", ich sah sie an, sie war noch immer der Engel, der sie schon immer gewesen war. Der Raum war endlich wieder erfüllt und am liebsten hätte ich sie zu mir hergezogen, um sie zu küssen.
Sie sah wie immer wunderschön aus und in dem Moment fragte ich mich wirklich, wie ich es aushalten sollte nur ein Freund von ihr zu sein.
Unsicher hielt sie mir eine Tasche hin. "Alles Gute nachträglich, Jamal.", für eine kurze Zeit wirkte sie wieder deutlich bedrückter, ehe wieder ein Lächeln auf ihrem Gesicht erschien.
In der Tüte drin war, sauber verpackt, das Parfüm, das mir kurz nach Weihnachten ausgegangen war. Außerdem einige meiner Lieblingsüßigkeiten.
Überrascht sah ich sie an.
"Ich,... wo hast du das her? Das war überall aus?"
"Hab so meine Quellen.", sie lächelte und in ihren Augen war wieder ein Strahlen zu sehen, das ich zuletzt im Tromsø-Urlaub gesehen hatte.
Ich freute mich unglaublich über das Geschenk, nicht, weil ich endlich wieder mein Parfüm hatte, sondern weil sie noch immer wusste, dass es mir fehlte.
"Danke Juli, das ist total ... ich ... danke!", ich lächelte sie an, sie grinste zurück.
"Schön, wenn es dir gefällt."
"Das tut es! Ähm, wenn es für dich okay wäre, würde ich kurz unter die Dusche gehen..."
"Ja klar, mach nur.", sie lachte und ich erwischte mich dabei, wie ich auf ihre perfekten Lippen sah. Schnell riss ich mich los und lief die Treppen nach oben.
So ging das nicht weiter!

[Julis Sicht]
Die Wohnung hatte sich, seit meinem letzten Besuch, kein einziges Stück verändert. Lediglich eine Bilderwand zierte nun die Wand, die ich neugierig betrachtete.
Das Bayern-Siegel und einige Bilder von seinen Erfolgen hingen dort.
Nebendran war er mit seiner Familie zu sehen, egal ob im Urlaub, an Festen oder als Kinder.
Ich entdeckte Bilder mit seinen Freunden, Teamkameraden und dann sah ich plötzlich in mein Gesicht.
Es hingen die Bilder aus dem Fotoautomaten an der Wand, die wir ganz am Anfang unserer Beziehung gemacht hatten, einige Selfies, wir beide im Stadion mit dem 42er-Trikot, wir beide vor dem Weihnachtsbaum und wir beide in Tromsø.
Tränen schossen mir in die Augen. Fuck, wir hatten in diesem halben Jahr soviel gemeinsam erlebt und ich war für diese Zeit so dankbar.
Ich konnte nicht glauben, dass das nun einfach vorbei sein sollte.
Nein, nun waren wir Freunde.

"Gefällt sie dir?", ich zuckte zusammen und drehte mich um.
Auf der Treppe stand ein frisch geduschter Jamal und lächelte unsicher.
"Ja, sie ist ähm, sehr schön.", ich blinzelte eine Träne weg, er sollte definitiv nicht sehen, dass ich geheult hatte.
Er lächelte, steckte seine Hände in die Hosentaschen und kam dann auf mich zu.
"Wo schläfst du eigentlich?"
"Äh, Mathea und Leon hätten mich aufgenommen, warum?"
"Also ... ich meine ich hab sonst auch noch ein Gästezimmer.", er sprach ziemlich leise, die indirekte Frage war ihm sichtlich unangenehm.
"Äh ... ich, ja, warum nicht? Dann gebe ich den beiden kurz Bescheid.", ich zog mein Handy hervor.

Meine Cousine ist in München, ich würde bei ihr übernachten. Ist das okay?

Klar, so wie es dir passt :)

Ich steckte es wieder weg und lächelte dann Jamal an.
"Geht klar."
"Cool.", er lächelte unsicher.
Ich fühlte mich ziemlich schlecht, weil ich Mathea angelogen hatte, aber ihnen jetzt per Nachricht mitzuteilen, dass ich bei Jamal übernachten würde, würde beide total austicken lassen. Egal ob es nun positiv oder negativ gewesen wäre.

"Jetzt wirklich?", ich musste lachen. Jamal hatte eben vom letzten Training erzählt und laut ihm hatte sich Leon nicht ganz an die Anweisungen des Trainers gehalten.
"Das ganze war ziemlich ... funny."
"Glaube ich.", ich grinste in mich herein.
Wir hatten uns an einen relativ abgelegenen Ort gesetzt und genossen die Sonne.
"Sorry für die Störung, aber seid ihr zusammen?", vor uns stand ein Junge in unserem Alter.
Ratlos sah ich zu Jamal, der sich räusperte und dann verneinte.
"Cool, ich finde dich nämlich ziemlich hübsch.", der Lockenkopf drehte sich zu mir.
"Äh, danke", ich lächelte zurückhaltend, während ich aus dem Augenwinkel sehen konnte, wie sich Jamals Haltung versteifte und er den Typen mit zusammengekniffenen Augen anstarrte.
"Könnte ich vielleicht deine Nummer oder dein Insta haben?", oh Gott, bitte nicht.
Noch bevor ich mir irgendeine Ausrede einfallen lassen konnte, fing Jamal an zu sprechen.
"Bro, das wird nichts, sie hat einen Freund."
"Aber ich dachte ihr wärt nicht ..."
"Sind wir auch nicht, es gibt aber noch andere Jungs."
"Aber weshalb bist du dann mit ihr?", der Typ sah uns verständnislos an, Jamal stöhnte auf.
"Mein Freund ist sein Bruder, der ist gerade noch beim Arzt da drüben.", sprang ich Jamal zur Hilfe und zeigte auf eine nahegelegene Praxis. Dann verzog ich das Gesicht, da es sich um einen Gynäkologen handelte.
"Er ... was? Was macht dein Freund beim Frauenarzt?"
"Er informiert sich für sie über die Pille und jetzt verzieh dich.", Jamal verzog nicht mal das Gesicht,  während ich kurz vor dem Lachkrampf war.
"Ist ja schon okay Bro...", mit einem letzten irritiertem Blick wendete der Typ sich endlich ab.
Sobald er außer Sichtweite war, konnte ich mich nicht mehr halten und lachte los.
"Was war das denn bitte?!"
"Ich schätze du bist jetzt mit Neo zusammen, der sich beim Gynäkologen über die Pille informiert..."
"Das wäre illegal.", ich verzog mein Gesicht.
"Alter spielt doch keine Rolle?", er grinste, ich schüttelte meinen Kopf.
"Er ist 5!", Jamal lachte los, bis er plötzlich in mein Gesicht sah und verstummte.
In seinem Blick war irgendwas. Etwas, was ich nicht zuordnen konnte und um ehrlich zu sein, wollte ich das auch gar nicht.
Das Freundschaftsding tat weh, aber seine Worte hallten seit heute ständig in meinem Kopf herum.
Es war ziemlich deutlich, dass er noch was von mir wollte, allein seine Reaktion bei dem Typen sagte alles, aber dennoch hatte er möglicherweise recht.
Vielleicht brauchten wir diese Bindung um entweder wieder bei einem besseren Zeitpunkt zusammenzukommen oder miteinander abzuschließen.

Young Love - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now