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In dieser Nacht finde ich nur sehr schwer in den Schlaf. Immer wieder gehen mir Mamas Worte durch den Kopf.

Ist es das wirklich? Ist es ein Liebesbeweis von Wincent, dass er mich aufgibt, um mich vor dieser Welt zu schützen? Wäre es denn nicht der viel größere Beweis, wenn er darum kämpfen würde?

Immer wieder versuche ich Wincents Entscheidung irgendwie nachvollziehen zu können. Ich verstehe, wieso er so entschieden hat. Dennoch kann ich nicht glauben, dass er das wirklich möchte. Er möchte mich doch nicht aus seinem Leben streichen. Oder?

Am nächsten Morgen werde ich schon früh von Mama geweckt.

"Wenn du möchtest, kannst du noch einen Tag zu Hause bleiben.", schlägt sie mir vor.

"Mit welcher Begründung denn? Liebeskummer?", lache ich ironisch und schüttel den Kopf. "Nein, das geht schon."

"Ich bin mir sicher, dass das geht. Aber ich bin mir nicht sicher, was Amelie dir zu sagen hat.", meint sie vorsichtig.

Da hat sie Recht. An Amelie hatte ich gar nicht mehr gedacht. Natürlich hat sie all das mitbekommen. Spätestens als die Presse im Geschäft angerufen hat, wusste sie endgültig Bescheid.

"Okay, na gut.", seufze ich und nicke. "Setzt du mich zu Hause ab?"

"Klar.", nickt Mama lächelnd und verlässt das Wohnzimmer wieder.

Ich stehe langsam von der Couch auf und schlürfe hinüber ins Badezimmer, um mich ein wenig frisch zu machen.

Kurz darauf setzt mich Mama auf dem Weg in die Arbeit vor meinem Haus ab.

Als ich gerade meine Wohnungstür aufschließe, klingelt mein Handy. Es ist Samira.

"Hi", hebe ich ab, während ich das Gerät zwischen meiner Schulter und meinem Ohr einklemme, damit ich meinen Koffer in die Wohnung schieben kann.

"Na, endlich hört man auch mal wieder etwas von dir!", stöhnt Samira gespielt empört.

Da ich nichts darauf erwidere, fragt sie mich wie es mir denn geht und ob alles soweit in Ordnung ist.

"Ja, weitestgehend.", gebe ich ehrlich zu. "Die ganze Sache beschäftigt mich schon sehr."

"Möchtest du heute in der Mittagspause mit mir etwas Essen gehen und über alles quatschen?", schlägt meine beste Freundin vor.

"Ich bin heute noch zu Hause. Aber du kannst gerne vorbei kommen, wenn das für dich okay ist."

Sie stimmt zu. Wir machen noch eine Uhrzeit aus und verabschieden uns dann.

Ich mache mich daran meinen Koffer auszupacken. Ich nehme als Erstes die Wäsche heraus und sortiere sie gleich nach Farben in meine Wäschekörben. Danach platziere ich meine Schuhe wieder ordentlich in meiner Garderobe und bringe meinen Kukturbeutel ins Badezimmer.

Nachdem ich dann auch die erste Ladung Wäsche angestellt habe, kuschel ich mich auf mein Sofa und versuche noch einmal ein bisschen Schlaf nachzuholen.

Ich werde von meiner Türklingel wieder geweckt. Erschrocken springe ich auf und sehe auf meine große Wanduhr. Ich habe tatsächlich noch einmal knappe drei Stunden geschlafen.

Schnell gehe ich an meine Wohnungstür und drücke auf den Türöffner für die Eingangstür, damit Samira herein kommen kann.

"Du siehst zerknautscht aus.", begrüßt sie mich lachend und umarmt mich.

"Ja, habe bis eben geschlafen.", murmle ich.

"Dafür ist normalerweise die Nacht da.", sagt sie grinsend und stellt ihre Schuhe ab.

"Da ging mir viel zu viel durch den Kopf.", seufze ich und setze mich auf einen der Stühle am Küchentisch.

"Okay, Süße.", sagt Samira ernst und setzt sich mir gegenüber. "Dann erzähl mal alles."

Wieder beginne ich die ganze Geschichte von Vorne zu erzählen. Immer mal wieder merke ich ihr an, wie überrascht Samira von Wincent ist. Ich weiß ja, dass sie nicht viel von ihm hält, aber es scheint sie zu wundern, dass er zu seinen Gefühlen mir gegenüber stehen könnte.

Als ich mit meiner Erzählung fertig bin, ist sie allerdings eher wütend.

"Es tut mir echt weh, dich so enttäuscht zu sehen.", beginnt sie. "Aber ich an deiner Stelle wäre stink sauer auf Wincent! Wie kann er von heute auf morgen alles hinwerfen? Nur wegen einem Artikel und ein paar hässlichen Kommentaren? Immerhin wusstest du ja wer er ist und was da auf dich zukommen wird. Das ist unfair von ihm, dir diese Entscheidung abzunehmen. Das sollte ganz allein deine Entscheidung sein. Aber damit bestätigt sich leider das Bild, das ich immer schon von ihm hatte. Er ist ein egoistischer, arroganter Arsch, dem nichts außer seiner Karriere und seinem Image wichtig ist. Ich hatte gehofft, dass du das irgendwann auch siehst. Aber ich wollte das sicherlich nicht auf diese Art."

"Wincent ist kein Arsch!", sage ich empört.

Kurz zucke ich selbst bei meiner lauten Stimme zusammen.

"Er ist eben gerade nicht egoistisch, weil er mich schützen will. Wäre er egoistisch, wäre es ihm doch vollkommen gleichgültig, ob ich an dem Druck kaputt ginge oder nicht.", sage ich wieder etwas ruhiger.

"Er hat dir gerade das Herz gebrochen, Kathi. Wie kannst du ihn da noch so verteidigen?"

"Ich verteidige ihn doch gar nicht. Ich...", widerspreche ich.

"Doch, genau das tust du.", unterbricht sie mich. "Das tust du immer."

Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll, denn ich weiß, dass sie Recht hat. Ich habe Wincent immer vor allen verteidigt und in Schutz genommen, egal ob ich es gut fand, was er getan hatte, oder nicht. Aber egal wie sehr er mich verletzt hat, ich werde immer hinter ihm stehen und ihn verteidigen. Denn ein egoistischer, arroganter Arsch ist er einfach nicht. Das ist nicht wahr.

In dem Moment vibriert plötzlich mein Handy.

"Von Sebastian.", sage ich und sehe Samira verwundert an.

Sie zuckt die Achseln und macht eine Handbewegung, die mir sagt, dass ich die Nachricht öffnen soll.

>> Können wir uns sehen? Ich möchte gerne über alles mit dir reden. <<

Ich halte Samira mein Handy hin, damit sie den Text lesen kann. Sie zieht die Augenbrauen in die Höhe und sieht mich an.

"Du willst doch nicht ernsthaft mit ihm sprechen, oder?", fragt sie.

"Na ja, zumindest eine Erklärung hat er verdient. Das bin ich ihm schuldig.", antworte ich nachdenklich.

"Okay, ja. Aber wehe du ziehst auch nur eine Sekunde lang das in Betracht, was Wincent dir geraten hat!", mahnt sie mich.

Weil ich darauf nichts antworte, sondern nur Gedanken verloren auf mein Handy starre, packt sie mich an meinen Schultern und sieht mich eindringlich an.

"Nein, Kathi! Das machst du nicht. Er hat seine Chance verspielt."

Mit Dir bin ich irgendwie anders - WincentWeiss (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt