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Irgendwie habe ich es geschafft, Sebastian davon zu überzeugen, dass wir das Gespräch über Wincents Bemerkung erst zu Hause führen. Mehrmals habe ich ihm versichert, dass es ein kompaktes Thema ist, welches ich ungerne im Auto besprechen möchte. Schließlich lenkte er ein und nun sitzen wir seit einer Dreiviertelstunde schweigend nebeneinander. Etwa die Hälfte der Fahrt ist erst um, es kommt mir aber vor wie eine Ewigkeit. Seit er los fuhr, hat Sebastian kein einziges Wort mehr gesprochen. Man sieht ihm an, wie verunsichert er durch die ganze Geschichte mit Wincent ist. 

Ich krame mein Handy aus meiner Handtasche, welche vor meinen Füßen im Fußraum liegt, und checke meine Nachrichten. Eine ist von Samira. Sie fragt, wann ich sie heute Abend anrufe, weil sie noch zum Sport möchte und sich dementsprechend zeitlich nach meinem Anruf richtet. Ich schreibe ihr, dass ich es noch nicht genau sagen kann, sie sich aber nicht nach mir zu richten braucht. Wir bekommen das auch so hin. Die zweite Nachricht ist von Mama, die mir mitteilt, dass sie morgen bei meiner Oma vorbeifährt und fragt, ob ich mitkommen möchte. Ich denke, dass das gar keine schlechte Idee wäre. Ich vermisse meine Oma sehr. Sie wohnt zwar nur eine knappe Fahrstunde außerhalb von München auf dem Land, sehen tun wir uns leider trotzdem viel zu selten. Außerdem kann ich Mama dann gleich davon berichten, dass Angela sie um ein Gespräch wegen unseres Urlaubs bittet. Ich sage ihr zu und frage, wann sie mich abholen kommt. Dann lege ich mein Handy wieder beiseite und drehe mich sogut es geht zu meinem Freund. Meinem Freund? Ist er das denn?

"Bitte, sag doch irgendetwas.", bitte ich ihn leise.

In den letzten Minuten habe ich ihn bestimmt fünf mal darum gebeten, doch nie hat er gesprochen. Jetzt aber seufzt er tief.

"Warum? Warum soll ich irgendetwas sagen, wenn du mir nie etwas sagst? Du bist doch diejenige, die mir hier irgendetwas verheimlicht.", sagt er endlich, ohne seinen Blick von der Straße abzuwenden.

Ich erschrecke über die kühle Art, wie er plötzlich mit mir spricht. Aber ich bin froh, dass er überhaupt wieder mit mir spricht. 

"Ich habe nichts bewusst vor dir verheimlicht. Ich habe dir lediglich das ein oder andere vorenthalten, um es zu einem passenden Zeitpunkt in Ruhe mit dir besprechen zu können.", gebe ich zu. "Und ich wollte ohnehin abwarten, bis du Wincent kennengelernt hast. Ich wollte dir nicht von einem geplanten Urlaub mit einem Mann erzählen, den du noch nicht kennst."

Sebastian tritt auf die Bremse und sieht mich mit großen Augen an.

"Guck auf die Straße!", schreie ich und greife hinüber zum Lenkrad, um das Auto wieder zurück in die Spur zu lenken.

Erschrocken sieht er zurück auf die Straße und gibt wieder mehr Gas. Ein Blick in den Außenspiegel sagt mir, dass zum Glück gerade kein Auto hinter uns ist. Langsam beruhigt sich mein Puls wieder.

"Wie war das? Urlaub? Ihr fahrt zusammen weg?", sagt Sebastian aufgebracht.

Ich senke feige meinen Blick und betrachte meine Finger in meinem Schoß. Ich beginne nervös an meiner Nagelhaut zu pulen.

"Siehst du! Genau deshalb wollte ich das in Ruhe zu Hause klären und nicht im Auto.", sage ich.

Es klingt vorwurfsvoller, als es sollte. Um die Situation zu entschärfen lege ich ihm eine Hand auf den Oberschenkel, welche er aber sofort wieder abschüttelt.

"Wieso fährst du hier ab? Wir müssen erst zwei Abfahrten später runter von der Autobahn.", frage ich, als er den Blinker setzt und auf die Abfahrtsspur wechselt.

"Wir reden. Jetzt.", sagt er in einem so bestimmten Ton, dass ich mich nicht traue zu widersprechen.

Sebastian fährt von der Autobahn ab und steuert den nächst möglichen Parkplatz an. Er parkt, stellt den Motor ab und steigt aus. 

Ich atme zwei mal tief durch und öffne dann auch meine Tür. Ich steige aus, schließe die Tür und gehe hinüber zu Sebastian, der am Auto lehnt.

Wortlos wirft er mir einen auffordernden Blick zu.

"Also gut.", seufze ich. "Wincent und ich fahren in drei Wochen zusammen in den Urlaub. Wir haben das schon öfter gemacht und es hat mittlerweile eine gewisse Tradition. Wir hatten den Urlaub schon geplant und gebucht, bevor ich dich überhaupt kennengelernt habe."

"Ach? Und wenn du mich schon gekannt hättest, hättest du ihm abgesagt, oder was?", fragt er spöttisch.

"Ehrlich? Ich weiß es nicht. Es ist eben unsere Tradition und wir sehen uns sowieso so selten. Ich weiß nicht, ob ich es trotzdem gemacht hätte. Aber zumindestens hätte ich vorher mit dir darüber gesprochen. Diese Möglchkeit hatten wir schon gar nicht mehr, da schon alles fix war, als wir uns trafen."

"Aber du hättest mit mir reden können, bevor dieser Penner mir solche Tatsachen um die Ohren haut. Du hättest mir diese Provokation ersparen können!", schimpft er.

Er stößt sich vom Auto ab und beginnt aufgebracht auf und ab zu laufen.

Ich ignoriere, dass er gerade meinen besten Freund beleidigt hat und ihm bewusste Provokation vorwirft, und gehe einen Schritt auf ihn zu. Ich greife nach seiner Hand und zwinge ihn so, stehen zu bleiben.

"Es tut mir leid. Ich dachte nicht, dass Wincent das zur Sprache bringen würde. Wirklich nicht. Hätte ich das gewusst, hätte ich dir vor dem Treffen von unseren Plänen berichtet.", sage ich sanft.

Im ersten Moment versucht er mir seine Hand wieder zu entreißen, doch mein Griff ist fest. Er seufzt wieder schwer, gibt auf und hebt seinen Kopf, um mich forschend anzusehen. Seine Wut hat ein wenig nachgelassen.

"Wieso sollen dann eure Mütter überhaupt miteinander sprechen, wenn ihr gemeinsam in den Urlaub fahrt? Ihr seid doch alt genug.", will er in einem ruhigeren Ton wissen.

"Ach so, nein.", lache ich kurz. "Wir fahren zu viert. Wincent und ich fahren nicht alleine! Wir nehmen unsere Mütter mit, wie jedes Jahr."

In dem Moment wird Sebastians Blick noch ein wenig weicher, da er begreift, dass ich nicht alleine mit Wincent in den Urlaub will.

"Okay.", nickt er. 

"Hör zu. Wenn du darauf bestehst, sage ich den Urlaub ab.", biete ich an.

Ehrlich gesagt bin ich mir gar nicht sicher, ob ich das wirklich tun würde. Aber ich hoffe darauf, dass Sebastian nicht darauf besteht und ich mir keine weiteren Gedanken darüber machen muss.

"Um mir dann die ganze Zeit von dem Arsch vorhalten lassen zu müssen, dass ich meine Freundin nicht mit ihm weg lasse? Nein, darauf kann ich verzichten!", schnaubt Sebastian und verdreht die Augen.

Mein Herz macht einen kleinen Sprung, als er mich als seine Freundin bezeichnet. Gleichzeitig stößt es mir aber auch unangenehm auf, wie er wieder von Wincent spricht.

"Sprich bitte nicht so von ihm.", sage ich und sehe ihn mahnend an.

"Wieso denn nicht? Es stimmt doch! Das hast du selbst gesagt! Du hast selbst zugegeben, dass er sich wie ein Arschloch verhält!"

"Ja, aber ICH darf das sagen. Du nicht.", stelle ich klar. "Ich finde sowohl seine, als auch deine Reaktion nicht cool. Und das habe ich ihm gesagt und das sage ich jetzt auch dir. Ihr müsst lernen miteinander klar zu kommen, sonst seht ihr mich beide nie wieder!"

Ich lasse seine Hand los und stampfe wütend ums Auto herum, um einzusteigen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Sebastian die Schultern hängen lässt, und ebenfalls die Autotür öffnet. Ich habe gewonnen. Ich habe den Spieß umgedreht und jetzt hat er ein schlechtes Gewissen, weil er schlecht über meinen besten Freund geredet hat. Dabei habe eigentlich ich den Mist gebaut, indem ich ihm nichts vom Urlaub erzählt habe. Irgendwie fühlt es sich nicht an wie ein Sieg.

"Okay. Lass uns nach Hause fahren und dort nochmal in Ruhe über alles sprechen.", schlage ich in einem versöhnlichen Ton vor.

"Nein, lass mir bitte etwas Zeit, um darüber nachzudenken. Ich bring dich nach Hause und rufe dich morgen an, einverstanden?"

"Ja, okay.", stimme ich zu.


Mit Dir bin ich irgendwie anders - WincentWeiss (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt