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Am Freitag verlasse ich schon mittags das Autohaus, um mich in Ruhe auf das bevorstehende Kennenlernen mit Sebastians Eltern vorbereiten zu können.

Zu Hause arbeite ich das volle Beautyprogramm durch. Ausgiebig duschen und sogar eine Haarkur einmassieren. Den ganzen Körper rasieren - obwohl ich das erst gemacht hatte, es also noch gar nicht nötig wäre. Ich trage eine Gesichtsmaske auf und lackiere mir dann die Finger- und Zehennägel frisch, während die Masse in meinem Gesicht trocknet. Danach stelle ich fest, dass das nicht so schlau war, denn nun muss ich die Maske abwaschen, obwohl mein Nagellack noch nicht vollständig getrocknet ist. Ich gebe mir größte Mühe, möglichst wenig Lack zu verschmieren und bessere die betroffenen Stellen anschließend wieder aus.

Kurz darauf stehe ich unschlüssig vor meinem Kleiderschrank. Wie es eben immer so ist, habe ich natürlich nichts passendes anzuziehen. Nach langem Suchen und vielen Outfitwechseln trage ich schließlich ein schlichtes, schwarzes Kleid, welches mir bis zu den Knien reicht. Um das Ganze nicht zu übertreiben, ziehe ich dazu flache Ballarinas an anstatt hoher Schuhe. Meine Haare binde ich zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen - wie eigentlich fast immer. Das Make-Up ist gewohnt schlicht.

Dann ist es auch schon soweit und Sebastian schreibt mir, dass er mich gleich abholen kommt. Ich werfe schnell noch einen prüfenden Blick in den Spiegel und gehe dann hinunter an die Straße, damit er sich die Parkplatzsuche sparen kann.

"Bist du nervös?", fragt er, als ich mich neben ihm anschnalle.

"Nein.", lüge ich, doch mein heiseres Lachen verrät mich.

"Brauchst du nicht."

Er sieht mich lächelnd an und streicht mir zärtlich über den Oberschenkel. Dann fädelt er sich zurück in den Verkehr ein.

"Du bist ja wirklich aufgeregt, was?", sagt er grinsend, als er bemerkt, dass ich etwas zittere.

Ich schlucke und nicke nur.

"Das ist aber echt nicht nötig. Sie sind alle cool. Mein großer Bruder kommt ohnehin nicht, weil er heute irgendwo eingeladen ist. Und meine Eltern sind da ganz entspannt.", beruhigt er mich.

"Wenn du das sagst.", murmle ich.

Ich überlege, wann ich denn das letzte mal so nervös war wie jetzt. Vielleicht bei meinen Abschlussprüfungen? Oder als ich das erste mal das Autohaus einen ganzen Tag lang ohne meine Eltern schmeißen musste?

Zwanzig Minuten später parkt Sebastian sein Auto vor einer Doppelgarage. Ich öffne die Autotür, steige aus und sehe mich interessiert um. Das Haus ist nicht besonders groß, kostet aber aufgrund der guten Lage bestimmt trotzdem ein halbes Vermögen. Der Garten darumherum ist nämlich noch dazu mindestens doppelt so groß wie das Haus selbst.

"Kommst du?"

Sebastian steht schon vor der Haustür und dreht sich lächelnd zu mir um. Er streckt mir seine Hand entgegen, welche ich dankend ergreife. Sanft zieht er mich die zwei Stufen zu sich hinauf und drückt dann auf die Klingel.

"Hast du keinen Schlüssel?", frage ich.

"Doch, klar. Aber das kommt doch irgendwie doof, wenn wir dann plötzlich einfach da drinnen stehen.", lacht er.

Ich nicke und drücke mein Gesicht an seine Schulter, woraufhin er meine Hand loslässt und mir seinen Arm an die Hüfte legt.

In diesem Moment öffnet sich die Tür und eine blonde, hübsche Frau begrüßt uns strahlend.

"Hallo, Kathi. Schön dich kennen zu lernen. Ich bin Marianne.", sagt sie und schüttelt mir die Hand zur Begrüßung.

"Hi.", sage ich nur schüchtern.

"Kommt doch rein.", sagt Marianne zu uns, obwohl wir beide ohnehin schon im Hausflur stehen.

"Deine Schuhe kannst du hier abstellen.", sagt Sebastian leise zu mir und zeigt in die Ecke hinter der Haustür.

Ich ziehe sie aus und stelle sie artig neben Sebastians, die er dort ebenfalls gerade abstellt. In dem kurzen Flur kann ich keine Garderobe ausmachen. Sebastian fängt meinen suchenden Blick auf und deutet nur auf eine Tür auf der linken Seite.

"Hauswirtschaftsraum.", flüstert er.

"Wir warten schon auf euch.", flötet Marianne, als sie in die Küche geht. "Hermann, sieh mal wer da ist."

Wir betreten die Küche, wo sich gerade ein großer, graumelierter Mann von einem der Stühle erhebt.

"Hallo.", sagt er mit einem schiefen Lächeln und schiebt sich die Brille über den Nasenrücken nach Oben zurück. "Setzt euch doch bitte."

Er macht eine einladende Bewegung zum Küchentisch und den drum herum verteilten Stühlen.

"Er ist kein Mann der vielen Worte.", sagt Marianne entschuldigend und lacht.

"Alles gut.", lache auch ich und winke ab.

Sebastian zieht mich an die andere Seite des Tisches, wo er einen der beiden Stühle herauszieht, sodass ich mich darauf setzen kann.

"Julia? Kommst du dann bitte runter?", ruft Marianne in den Flur hinaus.

Es kommt zwar keine Antwort, aber ich höre, wie eine Tür im ersten Stock geöffnet und dann wieder geschlossen wird. Dann hören wir auch schon, wie jemand die Treppe hinunterläuft.

Kurz darauf erscheint ein junges, blondes Mädchen im Türrahmen, welches ihren Blick starr auf das Handy in ihrer Hand gerichtet hat.

"Julia, bitte! Leg das Ding weg.", sagt Sebastians Vater in einem genervten Ton.

"Begrüß doch wenigstens unseren Gast.", sagt jetzt auch seine Mutter.

Da hebt das Mädchen den Blick vom Display und mein Magen dreht sich auf der Stelle um.

Mit Dir bin ich irgendwie anders - WincentWeiss (Teil 1)Where stories live. Discover now